Father John Misty – God’s Favorite Customer
God’s Favorite Customer beweist: Josh Tillman hat selbst begriffen, dass auf die erschlagende Opulenz seines 2017er-Mammutwerk Pure Comedy (alleine schon als seelsorgender Reinigungsprozess) notwendigerweise ein Schritt zurück erfolgen musste, um Maß, Ziel sowie die eigene Gesundheit nicht aus den Augen zu verlieren.
Als zu prätentiös deklarierte Father John Misty sein bisheriges Konzept-Schaffen im Vorfeld von God’s Favorite Customer – und servierte als Vorboten seines vierten Studioalbums unter dem kapriziösen Alias mit Mr. Tillman kurzerhand eine Single, die sich prätentiös selbst therapiert: „Mr. Tillman, good to see you again/ There’s a few outstanding charges just before we check you in/ Let’s see here, you left your passport in the mini fridge/ And the message with the desk says here the picture isn’t his/ And oh, just a reminder about our policy:/ Don’t leave your mattress in the rain if you sleep on the balcony/ Okay, did you and your guests have a pleasant stay?/ What a beautiful tattoo that young man had on his face„.
Der Consierge des Bowery Hotel ist mitleidig genervt von Tillman und seinen Eskapaden, bleibt aber professionell, wo Jason Isbell schon deutlich besorgter reagiert. Der Father schwebt derweil in seine eigenen Sphären fort: „I’m feeling good, damn, I’m feeling so fine/I’m living on a cloud above an island in my mind/ Oh baby, don’t be alarmed, this is just my vibe/ No need to walk around, no it’s not too bad a climb„. Schon diese weihevoll gen Beck bimmelnde und munter klimpernde Erzählung im drogenvernebelten Hangover-Exzess mit schwelgender Patina plätschert eingängig und pfeift sich eins, macht aber auch klar: Für God’s Favorite Customer ringt Tillman diesmal vor allem mit den eigenen inneren Dämonen, verkriecht sich in Hotelzimmern und tänzelt schwermütig um sie herum, begegnet ihnen im patentierten Midtempo aber vor allem mit der ihm typischen Ironie und dem penetranten popkulturellen Zynismus.
Der Fokus verschiebt sich jedoch nicht nur inhaltlich von dem Drama Menschheit im Allgemeinen wieder auf den Hipster-Melodramatiker im Speziellen (wobei: war das tatsächlich jemals anders?), auch stilistisch fährt die Platte das kammermusikalische Spektrum um zwei Gänge zurück.
Zehn vergleichsweise kompakt gehaltene und locker aus der Hüfte kommende Songs fühlen sich in ihrer nichtsdestotrotz borniert mitschwingenden Bedeutungsschwere unmittelbar als lose verbundener Appendix und aufräumender Nachhall zum vorausgegangenen Opus Magnum an, wenn der (passenderweise ganz generell von Elton John zu den Beatles weitergewanderte Haupteinfluss-Eklektizismus von Misty) bei John Lennon borgende Opener Hangout at the Gallows zwar entspannt ein breites Instrumentarium auffährt: Ein letzter Abstecher in das Studio von Jonathan Wilson besorgen dessen patentierten organischen Bass- und trockenen Drum-Sound, Orchesterstreicher sowie einen souligen Chor rund um sporadische Gitarren, ein flapsiges Piano und jazziges Ambiente. Doch all diese Ingredienzen wechseln sich diesmal eben eher dezent akzentuiert ab, anstatt sich wachsend zu überlagern und in die Auslage zu drängen.
God’s Favorite Customer ist immer noch elaboriert und theatralisch, aber keineswegs so pompös inszeniert wie sein Vorgänger, denn Tillman schraubt zwar nicht sein Ego, aber sehr wohl die Bandbreite der Arrangements und Ambitionen auf eine gesunde Perspektive zurück. Damit übersetzt er den MO von Pure Comedy schließlich zurückhaltender und weicher, indem es kaum dessen selbstgefälligen Charakter aufwiegt (die Lyrics der Platte animieren abermals wahlweise zum Schmunzeln oder Kopfschütteln), als vielmehr das Songwriting an sich ungezwungener durchlüftet und zu einer weniger gleichförmigen Bandbreite zurückfindet, die durchaus den Abwechslungsreichtum von Fear Fun und I Love You, Honeybear akzentuiert.
Auf wattiert stampfende Klavierballaden samt ziseliert aus dem Softrock bratenden Gitarre (Just Dumb Enough to Try) oder die dritte Wand mit dem traurigen Piano durchbrechende Meta-Fragen an den Hörer (The Songwriter) folgen ungewöhnlich energische, mit monotonem Stooges-Ton schellengetriebene, vom Hall angerührt stacksenden Heuler mit Blur–Patent (Date Night) oder feierlich beschwingt Streicheleinheiten wie Disappointing Diamonds Are the Rarest of Them All, in dem hinten raus die jubilierende Bläser aufmarschieren. Please Don’t Die orientiert sich mehr am Country und Americana, während der Titeltrack die Mundharmonika vor dem elegischen Folk mit engelsgleich flötendem weibliche Backinggesang auspackt und die Partitur The Palace nicht aus seinem Anwesen des Wohlklangs kommen kann, weil sich Tillman in eine schmusende Decke aus Resignation und Melancholie kuschelt.
Wo gefühltermaßen auch viel Potential und der letzte Kick im gefälligen Easy Listening liegen bleibt, beantwortet Father John Misty aufgeworfene Fragen und Probleme dann eigentlich allesamt mit dem Titel des ungeniert mit seinen Fab Four-Referenzen aufwartenden Closer: We’re Only People (And There’s Not Much Anyone Can Do About That) – und baut mit dieser Erkenntnis noch einmal den Rahmen um God’s Favorite Customer, wie er den Bogen zum Drittwerk von 2017 spannt.
Dass Tillman Album Nummer 4 seinerzeit scherzhalber als „Pure Comedy 2“ ankündigte, trifft den Nagel insofern ebenso sehr auf den Kopf, wie es am Wesen der versammelten 37 Minuten dennoch komplett vorbei geht. Die zehn neuen Nummern haben schließlich weder das Gewicht ihrer Vorgänger (das in Summeeben aber auch durch viele leere Meter entstand). Weswegen die schwächeren Passagen hier auch etwas deutlicher in den Blick fallen (gerade bei aktiv-aufmerksamen Durchgängen), aber die (nicht ganz so hohe Höhen erreichenden) Highlights der Platte im Umkehrschluss dafür auch weniger lose im effektiv auf Sicherheit bedachten Gesamtgefüge schwimmen.
Vor allem aber ist das hier und da zu gemütlich agierende God’s Favorite Customer trotz seiner Stärken und Schwächen ein homogenes, rundes Ganzes geworden, dass sich mit seinem kurzweiligen Unterhaltungswert eine beiläufigere Konsumation erlaubt als Pure Comedy, vielleicht sogar am besten als kultivuierte Hintergrundbeschallung funktioniert, und damit vielleicht nicht die selbe Langzeitwirkung haben wird wie das doppelt so lange Mutterschiff, allerdings das Momentum deutlich, tja – tatsächlich! – unprätentiöser nutzt.
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