Father John Misty – Chloë and the Next 20th Century
Father John Misty erträumt für sein fünftes Studioalbum Chloë and the Next 20th Century eine Zeitlosigkeit, die von den 20er- bis zu den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts schwelgend eine Schwarz-Weiß-Romantik in das tröstende Grau warmer Lovesongs übersetzt.
Indem er seine Person aus dem Zentrum des lyrischen Geschehens nimmt, verändert Father John Misty von vornherein das Narrativ, doch erfindet Joshua Tillman seine Welt vor allem stilistisch für den Nachfolger von God’s Favorite Customer neu: Er schweift durch eine retro-unkitschige Hollywoodversion von barockem Pop im Vaudeville-Flair und jazzigen Big Band-Szenarien samt cinematographischen Swing-Konzepten. Mal im griesligen Scheinwerferlicht, mal im schummrigen Kerzenschein – eben so, dass Coverversionen von Jack Cruz und Lana Del Rey praktisch auf der Hand liegen.
Eine ästhetische Wandlung, die erstaunlicherweise gar nicht exzentrisch oder prätentiös wirkt – wohl auch, weil das Songwriting die nötige Eleganz aufweist, um seine Melodien mit universeller Grandezza und stiller Sehnsucht zu projizieren.
Dass Chloë and the Next 20th Century stets etwas unverfängliches und nebensächliches behält, weil viele Songs sich damit begnügen, eine wohlklingende Gefälligkeit zu zeigen, während keiner am exzessiven Klimax interessiert ist, oder daran, überwältigenden Emotionen zu erzwingen, lässt die 51 Minuten keineswegs ins belanglose plätschern – viel mehr hat man es mit einer unstillbaren Sehnsucht zu tun, die wie eine verwaschene Erinnerung lebendig und unterhaltsam flaniert, geradewegs zum wahrscheinlich besten Album des Mannes nach seinem Meisterstück Pure Comedy von 2017.
Die titelstiftende Chloë driftet schon zu Beginn so smooth durch die burlesque Lounge, voller bittersüßer Nostalgie und verspielter Nonchalance, während das Instrumentarium um Xylophon und Bläser zur beschwingten Ballade flaniert. Das mitternächtliche Kiss Me (I Loved You) schwoft ebendort weiter als Noir-Zwielicht mit weichem Kern und einer Fernsehgarten-Mundharmonika, ruhig in den sphärischen Himmel entfleuchend.
Die verträumt schmunzelnde Hook in (Everything But) Her Love ist so liebenswert wie unzynisch zwischen klimpernden Lavalampen und flauschig-stylischen Plüschsofas positioniert, wohingegen Buddy’s Rendezvous als melancholische Einkehr zur nachdenklichen Kontemplation sich in wehmütiger Stimmung sinnierend im Kreis dreht, und sich dabei an die Schulter eines verschmusten Saxofons und subtiler Elton John-Zwischentöne lehnt. In Q4 folgend ein Cembalo und Streicher einer strammen Snare in munterer Unbeschwertheit, bevor Olvidado (Otro Momento) als Bossanova-Variation des Samba den Father bis ins Spanische leitet: Eine neue Perspektive, die wie eine seit Jahrzehnten vergessene Erinnerung anmutet.
Nicht alles ist dabei unbedingt essentiell im ausfallfreien Ganzen. Der Ohrenschmeichler Funny Girl oder das schunkelnde Only Fool (das wirklich wie irgendwo diagnostiziert eine Easy Listening-Fingerübung von Randy Newman für einen Pixar-Film darstellen könnte) funktionieren primär innerhalb des Kontextes, und We Could Be Strangers überzeugt beinahe alleine mit seinem inhaltlichen Twist zum tödlichen Finale.
Die Ganzheitlichkeit ist ohne Gleichförmigkeit aber mehr alles andere als Tugend der Platte zu verstehen, selbst in den beiden relativen Ausbrüchen bleibt die erdachte Welt unbedingt kohärent – wenn die sanft-gezupfte, von Jonathan Wilson ideal unterstützte 60s Anmut Goodbye Mr. Blue wie eine ehrwürdige Referenz an Harry Nilsson perlt und mehr noch im zweiten Quasi-Titelstück The Next 20th Century, daas als Closer im Kontrast aus angenehmer Betörung und bedrohlichem Inhalt pulsiert wie ein Downbeat-Remix des bisher erlebten, in dem sogar eine elektrische Gitarre in den postpunkigen Industrial-Himmel heulen darf. So verabschiedet sich Tillman von Chloë und blickt in eine potentiell faszinierende Zukunft, die die Geschichte des Father John Misty nicht und nicht auserzählt haben will. Auch, weil Tillman zuletzt wieder zu einem rührenden Optimismus findet: „I don’t know ‚bout you/ But I’ll take the love songs/ And the great distance that they came.„
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