Everything Will Be Alright In The End: Weezer
Vielleicht die einzigen beiden Punkte, auf die sich beinahe jeder Weezer-Fan einigen können: Zu Beginn war alles am besten – und nur wenige Bands polarisieren mit ihrem Output selbst bei der Basis derart kontinuierlich und konsequent, wie Rivers Cuomo, Patrick Wilson, Brian Bell und Scott Shriner es zu tun pflegen.
Dabei sind selbst die Lowlights ihrer Diskografie selten derart schlecht, wie ihr Ruf. Und daher sich Weezer spätestens seit 2014 ohnedies nicht nur in kreativ-qualitativer Hinsicht wieder gefangen haben, sondern zudem auch in einem regelrechten Veröffentlichungsrausch befinden, kann ein Rückblick auf das bisherige Schaffen nicht schaden. Zumal hinter ambivalenten Aussagen mit dem lange angekündigten schwarzen Album ohnedies bereits das fünfte selbstbetitelte (respektive insgesamt zwölfte – die tatsächlich nur leidlich gelungene Compilation Death to False Metal nicht mitgerechnet) Studiowerk der Kalifornier in den Startlöchern scharrt.
11. Hurley
Erscheinungsdatum: 2010
Produzent: Rivers Cuomo, Shawn Everett
Spieldauer: 35 Minuten
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Trivia: Die Backing Vocals samt Mandolinenspiel in Hang On hat Schauspieler und Teilzeitmusiker Michael Cera beigesteuert.
(Nicht nur in dieser Zeitspanne, aber vor allem) In den knapp elf Monaten zwischen November 2009 und September 2010 musste man sich ernsthafte Sorgen um die Zurechnungsfähigkeit von Weezer im Allgemeinen und Chef Cuomo im Speziellen machen.
Aus dem relativen Debakel um Raditude schien die Band jedenfalls zuerst keine Lehren gezogen zu haben. Vielmehr zeichnete sich im Vorfeld eine gefährliche Jetzt-erst-recht-Haltung ab, die mit dem Kopf durch die Wand wollte: Mittlerweile wurden für beinahe jede Komposition quasi standardmäßig externe Songwriter in den Entstehungsprozess inkludiert (neben obligatorischen Grammy-Profis übrigens auch potentiell gehaltvollere Lieferanten wie Linda Perry und Ryan Adams), bevor Weezer mit den Jackass-Typen durch bemühte Videos sprangen – und die Coverwahl dann gleich vollends wie der ultimative Trollact irritierte.
Ob Brian Bell nun tatsächlich nur falsch verstanden wurde, dass Hurley seinem Namen einem plumpen Publicity-Stunt verdankt (eine später erschienene Kleiderlinie spricht dafür) oder einfach nur der Liebe zu Lost (Cuomos Hype-Faible, mal wieder) ist letztendlich egal, machen Weezer hinter der bekloppten Fassade doch nach allgemeiner Auffassung tatsächlich wieder vieles besser als zuletzt, indem sie sich schlichtweg weniger weit aus dem Fenster lehnen und die Zuverlässigkeit mit einer oberflächlichen Simplizität nach oben zu schrauben versuchen.
Subjektiv richtiger ist eher: Weezer bringen die Ambivalenz zwischen ihren eigentlichen Stärken und dem Markt, den sie darüber hinaus so gerne bedienen würden, wieder etwas kohärenter in Einklang, agieren im direkten Vergleich zum Vorgänger Raditude qualitativ auf Albumlänge auch durchaus konstanter. Sie liefern erst einige Schmissigkeiten (das beginnt bei der nervigen Nostalgie-Hüpfburg Memories mitsamt seiner leiernden Kinderlieder-Melodie, wendet einen Song über Socken zum pseudo-offenkundigen Where’s My Sex? und setzt sich über das dramatisch-tolle Trainwrecks fort), verlieren sich aber mit Fortdauer der Platte in einer mediokren Langeweile. „It’s definatley going to have more raw rock energy on this one“ – darüber kann man streiten, Rivers! Klar, sie riskieren nach einem wenig leidenschaftlichen und kaum inspirierten Weezer-by-the-numbers-Fahrplan kaum Totalausfälle (die es in Form des öde-bollernden Smart Girls dennoch gibt), belohnen aber auch mit weniger charakteristischen Einzelsongs, an denen man seinen geschmacklosen Guilty Pleasure-Spaß haben kann.
Wobei: Der beste Moment auf Hurley ist mit Abstand stärker als beinahe alles, was Cuomo und Co. in den Jahren zuvor abgeliefert haben. Das wuchtig aufbrechende Unspoken, das seine märchenhafte Lieblichkeit triumphal in den Nackenbruch führt, ist nicht nur ein Diskografie-übergreifenden Highlight der Weezer-Geschichte, sondern darüber hinaus auch der eklatante Moment, der einem die Sorgen um die Zukunft der Band ein wenig nimmt – als der bessere der beiden ausnahmsweise alleine von Cuomo verfassten Songs der Platte.
10. Raditude
Erscheinungsdatum: 2009
Produzent: Dr. Luke, Jacknife Lee, Polow da Don, Butch Walker, Rivers Cuomo
Spieldauer: 35 Minuten
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Trivia: Den Albumtitel steuert Rainn Wilson bei. (Der Jahre später übrigens mit seinem Kumpel Rivers um knapp 25.000 Dollar auch auf Galapagos-Urlaub fuhr.
Nicht alles ist auf Raditude ein derart schlechter Witz geworden, wie das hundsmiserabel auf betonte Lustigkeit getrimmte Zeitgeist-Cover mit Sidney dem Hund.
Mit dem Opener (If You’re Wondering If I Want You To) I Want You To (ein locker-flockiger Ohrwurm erster Güte), dem unheimlich catchy drückenden und hemmungslos überproduzierten I’m Your Daddy (das Cuomo nicht als Hustler-Stück, sonder als Aufheiterung für seine kranke zweijährige Tochter geschrieben hat) dem fein balladesken Put Me Back Together oder dem schmalzigen I Don’t Want to Let You Go, das klingt, als würde Rivers Cuomo ein Hollywood-Breitwand-
Immerhin säuft Raditude zwischen den gerne übersehehen Lichtblicken in seiner vielleicht Midlifecrisis-bedingten, sicher aber rücksichtslosen Prostitution an den Mainstream ab – bestenfalls zwischen eindimensionalen Egalitäten (wie der billig versandenden Ohoho-Stangenware The Girl Got Hot), schlimmstenfalls findet Raditude sein Wohl jedoch ohnedies inmitten offenbar grundsätzlich aufgefahrener Geschmacklosigkeiten.
Wo Trippin‘ Down the Freeway noch den hauseigenen holprigen Versuch eines Beat-Murks wagt, fährt Cuomo für das penetrante Can’t Stop Partying gleich Jermaine Dupree und Rap-Spacko Lil Wayne auf – eine Fremdschäm-Sauße aus dem Einweg-Keyboard, zu der man eigentlich nicht geladen sein will. Noch übler ist wahlweise nur der vor galligem Pathos klebrig werdende Kitsch von Love is the Answer, das Cuomo spätestens dann gerne Sugar Ray alleine hätte überlassen können, wenn Jacknife Lee dann auch noch eine Breitseite Bollywood ankarrt. Dass Patrick Wilson zudem so nett war, seine Aufgaben hinter der Schießbude zu vernachlässigen – ausgerechnet Josh Freese sprang deswegen als Sessiondrummer ein – um Cuomo bei den Gitarrenparts unter die Arme zu greifen, schlägt sich außerdem in mediokren Songs wie In the Mall, sowie einem generellen Mangel an nachhaltigen Riffs nieder.
Insofern ist Raditude mehr als alles andere eine Platte der schwachsinnigen Ideen zwischen wenig Genie und maßlos viel Wahnsinn geworden, deren Pointe ihre immense Eingängigkeit ist. Ist man mit etwas gutem Willen also bereit, eine praktisch permanente Überzeichnung zu tolerieren und zudem keinen Gedanken daran zu verschwenden „wie Weezer zu klingen haben„, kann man durchaus seinen Spaß an dieser Trash-Karambolage haben. Dass ausgerechnet Brian Bell Bedenken hinsichtlich der extrem poppigen Ausrichtung der Platte hatte, erscheint mit Thought I Knew im Rückspiegel dennoch fast schon als symbolische Konsequenz der Absurditäten.
09. Pacific Daydream
Erscheinungsdatum: 2017
Produzent: Butch Walker, Jonny Coffer, J.R. Rotem, Toby Gad
Spieldauer: 35 Minuten
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Review auf Heavy Pop: 06/10
Trivia: Vom chinesischen Philosophen Zhuangzi stammt „Somebody’s Daydream„: Ein Mann träumt derart lebhaft von einem Schmetterling, dass er nicht mehr sicher ist, ob er tatsächlich ein Mann ist, der von einem Schmetterling träumt – oder ein Schmetterling, der davon träumt, ein Mann zu sein. Der ursprüngliche Albumtitel gleichen Namens wurde letztendlich auf Insistenz von PatWilson leicht abgeändert, um das Flair der Platte noch besser zu treffen.
Spätestens mit dem fabelhaften weißen Album hatten Weezer wieder einen Gutteil ihrer Oldschool-Fans versöhnt – welche bessere Gelegenheit hätte es also geben können, diese zurückgewonnene Gunst mit einem neuerlichen Glücksspiel am plakativen Pop-Roulette aufs Spiel zu setzen?
Als erster Schritt war da gleich mal der Cut zu Produzent Sinclair nötig, laut Cuomo ein zu großer Weezer-Fan, als dass er die Band auf ihrem weiteren Weg begleiten könnte: „I was the voice that was saying, ‚Let’s do something radical.‘ And Jake, our producer, was very much the voice of conservatism, on the side of the old-school fans… He won on [White], and I’m gonna win on the next album.“
Während Cuomo also bereits am Kontrast-setzenden schwarzen Album werkelte, begann er – ausgerechnet mit Raditude-Produzent Butch Walker – simultan auch an Songs zu arbeiten, die in einem separaten Ordner namens „beach“ landeten: Kompositionen, die mit „synthesised sounds, samples maybe“ ebenfalls einer „more modern-sounding direction“ folgten, aber eben nicht auf das 2018 folgen sollende fünfte selbstbetitelte Werk passen wollten. Vielleicht, weil sie quasi das „silly“ Abfallprodukt zum schwarzen Album darstellen (wird das 2017/2018er-Doppel rückblickend etwa als die Twins-Konstellation der Dikografie werden?) und weniger, weil sie primär aus Fragmenten bestanden, die er digital jahrelang gehortet hatte. „Instead of trying to force myself to feel inspired, I can just go into the spreadsheet and search… just try them out to see which ones work magically“ erklärt Cuomo, engagiert Programmierer und lernt Python, um all die archivierten Ansätze professionell zu verschrauben
Heute weiß man, dass Cuomo daraus ein Album gebastelt hat, dass sich bedingungslos in den sauberst ausproduzierten Zeitgeist-Mainstream-Pop lehnt und praktisch dort weitermacht, wo knapp eine Dekade zuvor der Versuch gescheitert war, Katy Perry eine Single auf den Leib zu schneidern. Denn (neben den zwei großen Konsens-Großartigkeiten Weekend Woman und QB Blitz) aus genau derartigen Formelformaten besteht Pacific Daydream: Fokussierte Konsum-Hits und Brachial-Ohrwürmer, mal mit sonnig-unverbindlicher Leichtigkeit baumelnd, mal mit dem Vorschlaghammer zu weit gehend. Ob sich das schwarze Album zu Pacific Daydream insofern tatsächlich so verhalten wird, wie Homie zu Pinkerton, wird sich freilich erst weisen müssen.
Am treffendsten hat es einstweilen jedenfalls wohl schon einmal Jake Kilroy formuliert: „After two albums of chumps like me exaggerating sighs of relief, churning out self-satisfied think-pieces of “oh, thank goodness, the boys have finally come home,” it might be that Cuomo gave us the damn records we wanted, so he could just go back to writing fun pop songs about summer. I doubt it, though. Given the two-step, this might be the record that definitively proves there’s simply a duality to Weezer that’s long been mistaken as before and after. This is who Cuomo and crew have always been, and it’s not their fault we decided to make them gods of the garage.„
08. Weezer (The Red Album)
Erscheinungsdatum: 2008
Produzent: Rick Rubin, Jacknife Lee, Weezer
Spieldauer: 42 Minuten
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Trivia: Die Pause vor dem roten Album nutzte Cuomo nicht nur zum Abschluss seines Studiums, sondern fand auch unter die Haube. Bei der Hochzeit waren alle Weezer-Kumpanen und ehemaligen Bassisten geladen – bis auf den zwei Jahre später verstorbenen Mickey Welsh.
So egozentrisch Cuomo auch sein mag – den Vorwurf, dass er kein Teamplayer sein wollen würde, kann man ihm eigentlich schon lange nicht mehr machen. Was dann auch der Funke ist, der dem an sich absolut gelungenen – weil mindestens so extrem soliden – roten Album in die Kniescheiben schießt.
Thought I Knew, eigentlich ein hervorragender Song von Brian Bells Zweitband The Relationship, wurde für das dritte selbstbetitelte Weezer-Album neu bearbeitet und aufgenommen: Mit Bell am Mikro verkommt die Nummer hier zu einer tranig-gegreinten Boygroup-Katastrophe. Für Cold Dark World – ein interessant am Hip Hop-Beat lauernde, aber über zu oft gehörte Spannungsbögen keinerlei Biss entwickelnde Unausgegorenheit – übernimmt dann Scott Shriner hoffnungslos die Vocals. Das von Pat Wilson geschriebene und gesungene Automatic schwankt zwischen mechanisch-plätschernden Bagatelle und potentiell großem, aber letztlich ermüdend in den Sand gesetzten Rockrefrain.
Neben diesen Ausfällen liefert Cuomo selbst jedoch ab. Das schunkelnd-stampfende Troublemaker und der etwas zu plakative Abgeh-Standard Everybody Get Dangerous sind ebenso potente Singles, wie die erst auf Wunsch der Plattenfirma aus dem Archiv nachgereichte Schmissigkeit Pork and Beans. Am vortrefflichsten ist die rote Platte aber ausgerechnet in ihren unkonventionellsten Passagen.
Wenn The Greatest Man That Ever Lived (Variations on a Shaker Hymn) beeindruckt von der Green Day-Rockoper [amazon_link id=“B001QVLBWI“ target=“_blank“ ]American Idiot[/amazon_link] zur mehrteiligen Suite wird, die wie selbstverständlich von der Ballade bis zum Queen-Bombast wandert und damit Cuomos Leidenschaft für Opern einfängt. Wenn Dreamin‘ immer wieder sein Tempo korrigiert und den nostalgischen Charakter der Platte in diesem wunderbaren Wellengang vielleicht am deutlichsten destilliert. Oder wenn die bezaubernde Einfühlsamkeit The Angel and The One über knapp sieben Minuten zum erhabenen Pop-Traum verschwimmt. In diesen Hochphasen ist das gute rote Album nämlich hervorragend. Was es allerdings auch nur umso frustrierender macht, um wieviel besser das gefühltermaßen mindestens dritte Comeback von Weezer doch ausgefallen wäre, hätte man es um knapp 10 Minuten Synergie gekürzt.
07. Make Believe
Erscheinungsdatum: 2005
Produzent: Rick Rubin
Spieldauer: 45 Minuten
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Trivia: Die heute erhältliche Version des Albums ist nicht mehr die selbe, die ursprünglich in den Handel kam. Genau genommen wurde Make Believe rückwirkend sogar mindestens zwei Mal überarbeitet. Zuerst, weil sich neben einem kleinen Audiofehler in This Is Such a Pity (der später übrigens versehentlich erst wieder durch einen weiteren nicht „korrekten“ Take ersetzt wurde) auch die falsche Version von We Are All on Drugs eingeschlichen hatte (anstatt der finalen Textzeile „I want to reach a higher plane/ Where things will never be the same“ hieß es ursprünglich noch „I want to confiscate your drugs/ I don’t think I can get enough„). Dann, weil der Band die neue Single-Fassung von Perfect Situation doch besser gefiel, als das Original.
Auch wenn die unheimlich plumpe und aufdringlich agierende Brechstangen-Single Beverly Hills nur zu leicht den Blick darauf verstellen kann, aber: Der Megaseller Make Believe ist gerade mit ein wenig Abstand deutlich besser als sein ganz allgemeiner Ruf.
Ein tatsächlich schlechtes Album war die fünfte Weezer-Platte ohnedies nie – es konnte aber damals ein ziemlich schockierender Affront-Schlag vor den Kopf sein, wenn man sich von Cuomos bis zu diesem Zeitpunkt noch nie derart frontal gepflegten Zuneigung für Pop an der Grenze zur Banalität und für einer dem Mainstream profan nach der Pfeife spielenden Oberflächlichkeit (unter dem Deckmantel einer wieder gesteigerten Persönlichkeit in den Lyrics) auf dem falschen Fuß erwischen ließ.
Das von Rick Rubin schnörkellos und auf eklatante Kanten verzichtend produzierte Make Believe wurde so die Platte an der vermeintlichen Schnittstelle – spätestens hier begannen viele die Weezer-Geschichte in ein vorher und nachher einzuteilen. So empörend der Aufschrei 2005 zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung dabei auch gewesen sein mag, so sehr wurden die 45 Minuten der Platte (entweder durch später durchschrittene Untiefen oder die generell zur Schau gestellte Ambivalenz der Band) spätestens nachträglich relativiert, auch wenn ein Gros der Fans Make Believe immer noch die Gunst entzieht. Die Wahrheit mag zwischen diesen Polen liegen. Was dann im Endeffekt aber eben auch wenig daran ändert, dass von den hunderten geschriebenen (und als Fallen Soldiers in Fankreisen legendär gewordenen) Songs auch einige der letztendlich auf Make Believe versammelten Stücke hartnäckig bleiben sollten, und sich mit einem gewissen Charme als rundum nachhaltig erwiesen haben.
Perfect Situation lässt etwa seine Gitarren episch heulen und schlängelt sich danach durch einen supermelodischen Singalong, This is Such a Pity rockt soft mit funkelnden Casio-80s-Synthieandtrich nach vorne. Hold Me legt sich mit einer merkwürdig gefassten Leidenschaft in seine Wucht und zeigt, dass das Melodieverständnis der Band auf ihrem fünften Album das selbe wie bisher ist – man dieses aber vom nunmehr meditierenden Cuomo in weniger überschwängliche Schienen gelenkt bekommt, bevor Ohrwürmer wie The Damage in Your Heart, Pardon Me oder der Shrek-Loveletter Your My Best Friend eine praktisch lückenlose Stafette aus disziplinierten (nicht belanglosen!) Hits entlang des extrem zugänglichen Songwritings fortsetzen, und so gar zu potentiellen Evergreens wie The Other Way finden.
Jede Wette: Mit wenigstens einer bissigeren Produktion würden sie alle längst als die Weezer-Semi-Klassiker angesehen werden, die sie im Grunde sind – und all die haltlosen Sellout-Vorwürfe trotz der Anbierderungen Beverly Hills und We Are All On Drugs endgültig verstummen.
06. Weezer (The Green Album)
Erscheinungsdatum: 2001
Produzent: Ric Ocasek
Spieldauer: 29 Minuten
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Trivia: „In loving memory of Mykel and Carli“ lautet die Widmung im Booklet und bezieht sich auf „the biggest Weezer fans of all time„. Die beiden Allan-Schwestern freundeten sich früh mit der Band an, gründeten den ersten Fanclub und halfen nicht nur Cuomo und Co. ab den Anfangstagen in zahlreichen Belangen, sondern auch anderen Anhängern der Band – ein Umstand, der ihnen als Dank unter anderem die B-Seite Mykel and Carli einbrachte. Während sie Weezer 1997 auf der Pinkerton-Tour folgten, kamen die beiden (sowie die jüngste Schwester Trysta) bei einem Autounfall ums Leben. (Auch andere Bands wie Jimmy Eat World – mit Hear You Me – zollten den beiden Schwestern und guten Seelen der LA-Szene übrigens daraufhin Tribut).
Nach Pinkerton hielt sich Cuomo mit Homie eine Spielwiese offen, auf der er all jene „goofball“ Songs freiließ, die erst als „too light“ für Weezer erachtete. Mit dem grünen Selbstbetitelten wurde diese obsolet. Cuomo formulierte seine Melancholie (gerade nach Pinkerton) mit einer ungewöhnlich optimistischen Perspektive auf die typischen Weezer-Themen (also Girls, im weitesten Sinne) auf dem Comeback nach fünf Jahren Sinnkrise auf dem Happy-Album der Band in den denkbar simpelsten und unkompliziertesten Songs ihrer Karriere: Die immer gleichen Strukturen (Strophe/ Refrain/ Strophe/ Refrain/ eine Bridge, in der die Gesangsmelodie als Gitarrensolo umgesetzt wird/ Refrain) führen zu einer absoluten Vorhersehbarkeit und generischen Formelhaftigkeit, aber eben auch zu zehn waschechten Hits, die vor allem von der unfassbar unbekümmerten Leichtigkeit ihres Wesens leben. Pat Wilson verortete die im Entstehungsprozess meist spontan aus der Hüfte geschossenen Songs in der Nähe der „Beatles, if they had big rock guitars„.
Besonders erwähnenswert sind dabei natürlich die zwei über allem stehenden Instant-Evergreens. Hash Pipe ist der einzige Song der ergiebigen SSK2-Sessions, der es auch tatsächlich auf die Platte schaffte (Slob und Dope Nose wurden ja erst für Maladroit verarbeitet) und war aus einem Experiment, bei dem Cuomo sich „a bunch of Ritalin and […] like three shots of tequila“ reinknallte, kurz umherspazierte und danach spontan unter anderem diesen Hit über „a male transvestite prostitute known for rambling to people in Santa Monica“ vom zumindest 1–2–3-fach inspirierten Fließband ließ. Die zweite Megaseller-Single Island in the Sun existierte hingegen bereits seit 1999 und nicht nur sie durchlief zahlreiche Veränderungen hin zur finalen Form (als erster Weezer-Song mit einem Fade-Out). Das ursprüngliche Video von Marcos Siega kam bei MTV nicht an, weswegen Spike Jonze eine zweite Version drehte: Anstelle einer leidlich motivierten Vorgarten-Performance im Verbund mit einer mexikanischen Hochzeit kennt die Allgemeinheit nun vor allem das ikonische Tiervideo (das übrigens bereits ohne den kurz davor ausgestiegenen Mickey Welsh entstanden ist).
Weil nur der letzte dieser beiden Tracks durch seine akustisch luftigere Inszenierung aus dem genormten MO der Platte hervorsticht, hat man sich am grünen Album vielleicht schneller sattgehört, als an anderen Platten der Band. Eine knackige Dosis dieses so kompakten Endorphinschubs mit bittersüßem Nostalgie-Beigeschmack ist jedoch alleine im Sommer Pflichtprogramm – da rauschen sogar vermeintliche Füller wie die Green Day-Hommage Knock-down Drag-out schmerzlos durch.
(Und wer es gerne ein wenig abwechslungsreicher im Songwriting haben möchte, kann sich ja gerne die acht absolut wunderbaren B-Seiten zusammensuchen, die den Kontext variabler, aber auch weniger stringent und knackig erscheinen hätten lassen – Weezer und Rückkehrer Ocasek haben den ursprünglichen Pool aus mindestens 75 fertigen Songs nach und nach eben ganz bewusst auf den kurzweiligen Snack eingedämmt, der das Grüne Album letztlich sein sollte).
05. Everything Will Be Alright In The End
Erscheinungsdatum: 2014
Produzent: Ric Ocasek
Spieldauer: 43 Minuten
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Review auf Heavy Pop: 07/10
Trivia: Der Name des von Chris McMahon durch eine alte Landschaft geschickten Monsters am Cover ist unbekannt, bei Weezer-Fans jedoch als Smooch bekannt.
Dass Cuomo für Foolish Father neben Titus Andronicus-Mastermind Patrick Stickles auch kurzerhand eine Horde willkürlich via Twitter herbeigerufener Anhänger als Backingchor einspannte, ist ein durchaus adäquates Bild zu Everything Will Be Alright In The End – einem Fanpleaser durch und durch. Cuomo hatte sich die vier Jahre seit Hurley intensiv mit den ersten beiden Alben seiner Band ausgesöhnt, war auf spezielle Jubiläums-Tourneen sowie Kreuzfahrten gegangen, und hatte sich dabei eben primär mit einer bestimmten Sorte an Menschen umgeben: „All of whom have the same desire […] a classic Weezer album„.
Um dies zu erreichen, drosselte Cuomo sein Tempo im Songwriting-Prozess, schrieb zuerst im Alleingang am Piano und präsentierte die transkribierten Versionen erst später der Band. Weezer heuerten zudem wieder Ric Ocasek an, der auch gleich ein paar der Gitarren mitbrachte, die auf dem blauen Album verwendet wurden, Rivers dazu brachte liegengelassene Demos vom grünen Album noch einmal zu besuchen (woraus zumindest Lonely Girl entstand) und der der Band auch generell zahlreiche Flausen und vermeintliche arrangement- und produktionstechnische Geschmacksverirrungen auf dem Weg zu den Wurzeln austrieb. Dass nach einigen Konzerten während der Sessions auch sogenannte focus groups mit anwesenden Hardcore-Fans abgehalten wurden, um deren Feedback umzusetzen, mag radikal erscheinen – es zeigte aber eben auch die gewünschte Wirkung: Näher dran an einem klassischen, vor allem aber eben auch rundum starken Weezer-Album war die Band seit 13 Jahren nicht.
„Simple love songs/ Drenched in blood songs/ Coming out all wrong songs“ lauten die ersten Zeilen von Foolish Father und fassen damit auch das dreiteilige Grundkonzept hinter Everything Will Be Alright In The End zusammen. Zwar hält sich die finale Trackliste nicht an die an sich vorgegebene Reihenfolge der drei behandelten Themengebiete, doch kreisen „The Panapticon Artist (Relationship With Fans)„, „Belladonna (Relationships with Women)“ und „Patriarchia (Father Figures)“ auch so absolut natürlich um zehn Songs sowie eine finale Suite, die allesamt vor Spielwitz, Dynamik, zwingenden Hooks und fantastischen Melodien nur so strotzen – und auch die Einflüsse von außenstehenden Songwritern weitestgehend schlüssig einarbeiten. Dass die Platte ausgerechnet ohne die beiden mediokren Singles Back to the Shack und Go Away noch besser wäre – geschenkt. Die Mission darf als erfüllt angesehen werden: Ohne nach Reißbrett zu klingen, folgt hier ein Fan-Favorite dem nächsten.
04. Weezer (The White Album)
Erscheinungsdatum: 2016
Produzent: Jake Sinclair
Spieldauer: 34 Minuten
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Review auf Heavy Pop: 08/10 | #8 Jahrescharts 2016
Trivia: Wo Sinclair sich nach seiner Bestellung zum Produzenten immer wieder auf allthingsweezer.com zu Wort meldete, entdeckte der seit jeher auf den regen (digitalen) Austausch mit seinen Fans setzende Cuomo genius.com als primäre Onlineplattform für sich – gerade rund um das weiße Album klärt der Weezer-Kopf mit seinem persönlichen Acoount zahlreiche (teils enorm absurd erscheinende) Hintergründe zu den Texten seiner Songs.
Mit Everything Will Be Alright In The End hatten Weezer-Fans wie Kritiker grundsätzlich wieder für sich gewonnen. Trotz der enttäuschenden Verkaufszahlen des allgemein als Comeback angesehenen neunten Studioalbums wollten Cuomo und Co. das Eisen also schmieden, so lange es heiß war. Nach einem Labelwechsel zu Crush/Atlantic engagierte die Band deswegen den seit Raditude bereits immer wieder als Engineer für Weezer tätig gewesenen Jake Sinclair – und legte damit den Grundstein für den Dualismus der Platte. Während Sinclair Weezer als Oldschool-Fan noch näher zu ihren Ursprüngen führen wollte, sehnte sich Cuomo abermals nach einem neuen Sound. Symptomatisch dafür die Geschichte, dass die Arbeiten zum Album damit begannen, dass Cuomo Sinclair Zugang zu einem Dropbox-Ordner mit beinahe 250 Kompositionen gab, es von all diesen aber nur ein einziger auf die Platte schaffte.
Doch immerhin definierte California Kids auch das Konzept und die Stimmung des vierten selbstbetitelten Albums. Auf einem ultimativen Beach-Konzeptwerk striff Cuomo entlang der kalifornischen Küste, traf sich via Tinder mit Unbekannten und reflektierte aus einem stream of consciousness diary mit einer lange nicht mehr gehörten Sehnsucht. Ebenso ist er durch Songs wie Jacked Up ästhetisch auch auf eine Art und Weise in einem mainstreamtauglichen Zeitgeist-Design angekommen, an dem ein Raditude scheiterte. Sinclair erwieß sich jedenfalls als der Produzent, der es neben Ocasek am besten versteht, die PS der Band kompromissbereit, aber ohne den Hang zur ständig getriebenen Veränderung/Selbstdemontage, auf den Boden zu bringen.
Das Ergebnis der um Meter ringenden Zusammenarbeit mit Sinclair wurde zu einem Spagat, der das durch und durch klassische (vielleicht lyrisch etwas desillusioniertere) Weezer-Songwriting mit einer modernen Produktion übersetzte. Womit das Quartett noch erfolgreicher alte Stärken mit einem erfrischenden Zugang umsetzt, als es das nicht bereits mit Everything Will Be Alright In The End schon tat. Immerhin hat das weiße Album (rund um eine zehnteilige Staffette aus ausnahmslosen Hits und Ohrwürmern, die sogar den tiefsten Winter in eine sonnige Sommerlandschaft verwandeln können) sowohl das um’s Quäntchen stärkere Songwriting als sein Vorgänger, sondern ist darüber hinaus am Stück das kompakteste und kohärenteste Gesamtwerk seit dem grünen – nur eben im Auftreten flexibler und weniger leicht auszurechnen als dieses.
Gelohnt hat sich der Kraftakt also allemal: Die Rezeption des weißen Album ist verdientermaßen noch besser als jene von Everything Will Be Alright In The End und als i-Tüpfelchen zu den außerdem wieder gestiegenen Verkaufszahlen gab es zudem auch eine Grammy-Nominierung. Mit dem kreativen Reibungspunkt Sinclair unmittelbar noch einmal zusammenarbeiten wollte Cuomo hiernach dennoch nicht wieder.
03. Maladroit
Erscheinungsdatum: 2002
Produzent: Weezer
Spieldauer: 44 Minuten
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Trivia: Bei dem Mann auf dem Sofa am Cover soll es sich um Rupert Peasley handeln – einer angeblich treibenden Kraft hinter Maladroit. Angeblich. Denn auch wenn Ende 2017 eine Todesmeldung kursierte, bleibt unklar, ob das Mysterium Peasley überhaupt tatsächlich real ist/war. So oder so: Die 2002er Live-EP The Lion and the Witch listet ihn gar als Produzenten.
Rivers Cuomo hatte sich für das vierte Album eine Rebellion gegen Gewohnheiten und etablierte Wohlfühlzonen auf die Fahnen geschrieben. Er arbeitete wie ein Manischer an neuem Material und funktionierte Weezer zur Diktatur um, in der er das Songwriting so drastisch wie nie zuvor (oder danach) den ursprünglichen 80er-Metal-Wurzeln der heavieren Seite seiner musikalischen Sozialisierung annäherte.
Ein Ansatz, hinter dem Weezer mit Neo-Tieftöner Scott Shriner (als Nachfolger von Matt Sharp und Mickey Welsh übrigens der bis heute am längstendienenden Bassist der Band) bereits ein Album nahezu komplett eingespielt hatten, dieses aber doch wieder komplett verwarfen. Cuomo laß zu jener Zeit schließlich Nietzsche und wollte seine Band im regen Austausch mit den eigenen Fans zur größten Band der Welt zu machen, ohne dafür aber Kompromisse an die Erwartungshaltung eingehen zu müssen: „I want to conquer far and wide in the name of Weezer“. Und wer wäre für diesen Entwicklungsschritt wohl ein besserer Geburtshelfer, als die eigene Fanbasis?
Es ist letztendlich nur zu paradox: Da entdeckt Cuomo den Online-Weezer-Afficionado als Quasi-Mitproduzenten, er lädt unzählige Versionen dutzender Songs für Feedback auf das hauseigene Fan-Board, und lässt die Anhänger über Gewichtigkeiten wie finale Takes, die Setliste und Albumtitel entscheiden – liefert dann dennoch (oder ausgerechnet deswegen?) ein Album, das gerade an der eigenen Basis so elementar scheiterte. Unerwartet gefiel einem Gros der Fans eben nicht, was es in der neuen Ausrichtung zu hören gab, was den wenig Verständnis dafür zeigenden Cuomo wiederum auf die Palme trieb (und nach der textlichen Frustrations-Abrechnung in Space Rock spätestens in einer angepissten Verweigerungshaltung bei der folgenden Tour zum Album gipfelte). Der Haussegen in der viralen Weezer-Familie hing also schief.
Diese Ambivalenz in der Wahrnehmung bezüglich Maladroit ist geblieben – am vierten Album der Band scheiden sich die Geister. Dabei ist die Sachlage eigentlich klar: Das rohe, regelrecht ungeschliffene, Maladroid hat den spannendsten und räudigsten Sound der Weezer-Historie; ideal für das abwechslungsreiche und herrlich unberechenbar aufbegehrende Songwriting, das die Gitarren charakterstark heulen und die Rhythmusssektion wuchtig schieben lässt, alleine schon den ursprünglichen Funk aus American Gigolo symptomatisch in die Hardrock-Mangel nimmt, bevor der Opener den Weg des eventuell größten Widerstandes zu seinem euphorisch aufs Gaspedal tretenden Refrain nimmt und Soli wieder als Abenteuer begreift.
Was folgt, ist ein Biest in der Spannweite aus absoluten Killer-Singles (etwa Dope Nose, Keep Fishin‘), weirde Hymnen (Take Control, Fall Together oder das verzweifelte Slob), punkigen Kurblern (Possibilities oder der einzige offiziell veröffentlichte Outtake Living Without You als Bonus Track), nachdenklichen Schönheiten (Death and Destruction schraubt seine brutzelnde Gitarre so gefühlvoll in den Nachthimmel) und aufregenden Wagnissen (wie dem stacksenden Groove des locker-flockigen Licks Burndt Jam).
Dass die Platte nach der typischen Zehn-Song-Formel zwar noch zwingender geworden wäre, mag wohl stimmen – aber welchen dieser dreizehn (bzw. vierzehn) bockstarken Songs würde man freiwillig missen wollen?
02. Weezer (The Blue Album)
Erscheinungsdatum: 1994
Produzent: Ric Ocasek
Spieldauer: 42 Minuten
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Trivia: Die genauen Hintergründe über den von Cuomo und Sharp initiierten Ausstieg von Jason Crooper liegen (auch durch strickte rechtliche Verträge) im Dunkeln, doch dürften sie im weitesten Sinne damit zu tun haben, dass die Freundin des Ur-Gitarristen mitten in den Aufnahmesessions schwanger geworden war. Die Trennung verlief jedenfalls nicht unbedingt im Guten. Erst als Cuomo die Meditation für sich entdeckte und sich in Folge dessen mit Cropper aussöhnte, endete die Eiszeit nach knapp ein Jahrzehnt.
Wie zu erwarten gibt es keine Überraschungen auf den beiden Spitzenplätzen dieses Rankings. Wobei es natürlich einer Gretchenfrage gleichkommt, welchem der beiden Weezer-Meisterwerke man den Platz ganz oben am Stockerl zukommen lässt.
Verdient hätte ihn sich auch dieser Start-Ziel-Sieg allemal ebenso – eine perfekter in die Schnittstelle aus Alternative Rock und Power Pop gezirkelte Hitschleuder als das Blaue Album muss man schließlich erst einmal finden: Weezer haben mit ihrem Debüt aus dem Stand heraus einen Klassiker aufgenommen, dessen zehn Songs unmittelbar zünden, sich aber auch nach knapp einem Vierteljahrhundert nicht abgenützt haben.
Dabei ist der Weg dorthin durchaus beschwerlich: In den Heydays des Grunge warten zuerst nur wenige in LA auf catchy Nerdhymnen, die sich ebenso auf die Beach Boys, wie auf Roy Orbison, die Feelies, Elvis Costello, die Pixies, Kiss oder die Buzzcocks beruft, und zuckersüße Melodien mit harten Gitarren mit latentem Nostalgiegefühl paart. Doch genau diese Kerbe bearbeiten vier Typen, nachdem sich 60 Wrong Sausages (bestehend aus den beiden Hundeshampoo-Verkäufern Jason Cropper und Patrick Wilson, dem Tellerwäscher und exzessiven Metalhead Rivers Cuomo – Fury, Avant Garde – sowie dem sozialen Zentrum des Gefüges Pat Finn) aufgelöst und sich zwei Drittel der Konkursmasse mit Matt Sharp als Weezer zusammengeschlossen hatten.
Bis die Band eineinhalb Jahre nach ihrer Gründung einen Deal mit Geffen an Bord ziehen, heißt es also erst einmal Klinken zu putzen. Doch nachdem das Label Weezer, die ihr Debüt eigentlich selbst betreuen wollten, dazu zwang, sich einen Produzenten zu nehmen (und die Wahl des proklamierten The Cars-Fan Cuomo auf Ric Ocasek fiel), lief die Sache mehr oder minder wie auf Schienen: Ocasek verpasste der Band einen fetteren Gitarrenklang, während Cuomo und (Gesangsnovize) Sharp Barbershop-Songs übten, um sich besser aufeinander einzuspielen, und das bereits formidabel ausgearbeitete Songwriting darüber hinaus rasch rasch jene Form annahm, die den den typischen Weezer-Sound definierte.
Selbst die Umbesetzung an der Gitarrenfront sorgte deswegen nur für kurzweilige Verzögerungen: Obwohl die Liner Notes Brian Bell am Posten des neuen Rhytmusgitarristen ausweisen, gilt es als gesicherte Tatsache, dass tatsächlich Rivers Cuomo alle Gitarrenparts des ausgestiegenen Gründungsmitglieds Jason Cropper (von dem das Fingerpicking-Intro des makellosen Openers My Name is Jonas bleiben wird) an nur einen Tag selbst neu einspielte.
Und dann, Mitte 1994 ist die Zeit auch Reif für das blaue Album. Nach begeisternden Kritiken mutieren alleine schon die Singles der Platte (auch dank der legendären Videos von Spike Jonze) zu MTV-Standards und das Album selbst verkauft sich über drei Millionen Mal.
Kein Wunder: Weezer in blau zieht so straight und effektiv, serviert seine Stärken am Silvertablett, gleicht bis zum epischen Finale von Only in Dreams ohne Ausfall eine Tour de Force der Ohrwürmer. Man kann wahlweise Songs aus dem ohne eklatante Längen auskommenden Gefüge herauspicken und diese damals wie heute ohne Verfallsdatum mitsingen, und jedes Mal aufs neue von der Performance im Sturm genommen werden: Die Band treibt wie eine unerbittliche Einheit, der Klang ist mächtig und wuchtig, doch im nächsten Moment können Weezer jedoch auch klingen, als würde sie keine Fliege etwas zuleide tun. Die Produktion packt eben gnadenlos zu, atmet aber in den richtigen Momenten, hat ein Auge für Details – was sich schon am überlegten Synthieeinsatz in den schnörkellosen Arrangements bemerkbar macht.
Dass ihr erstes selbstbetiteltes Album in weiterer Folge auch eine immense Bürde für Weezer und gerade auch für die Erwartungshaltungen seiten der Fans werden sollte, gehört freilich ebenso zur Erfolgsgeschichte einer Platte, die mit ihrer regelrecht naiven Direktheit und mitreißenden Energie in diese Form bis heute unerreicht ist.
01. Pinkerton
Erscheinungsdatum: 1996
Produzent: Weezer
Spieldauer: 35 Minuten
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Trivia: Zum Zeitpunkt seines Erscheinens fiel Pinkerton bei Kritikern und Fans gnadenlos durch. Heute gilt die Platte verdientermaßen als Klassiker, der beinahe auf den Tag genau zwei Jahrzehnte nach seiner Erstveröffentlichung in Sachen Verkaufszahlen doch noch die Millionenmarke gepackt hat.
Aus Spaß wird mit einem Schlag ernst: Das blaue Album hat Weezer in die herbeigesehnten Superstar-Sphären katapultiert. Doch erst einmal dort angekommen, ist sich Cuomo nicht mehr sicher, dass dies auch wirklich das Leben ist, dass er sich wünscht.
Er beginnt generell mit den Dingen zu hadern, der ewigen Routine des Touralltags und der Oberflächlichkeit des Erfolgs. Während ihn der Simplizismus des Debüts auch zu ermüden beginnt, wächst seine Faszination für Opern (Pinkerton ist dann auch nach einem Charakter aus Madama Butterfly benannt). Diese Komplexität ist es, die er sich für das zweite Weezer-Album wünscht, worin er die ideale Plattform sieht, um seine zwiegespaltene Einstellung zum Rockstardasein zu reflektieren.
Bei einem Heimaturlaub beginnt er also ambitioniert damit, eine komplexe Spacerock Oper mit Musical-Elementen und Synthiesound zu ersinnen: Songs from The Black Hole verändert den Grundton des Weezer‘schen Songwriting hin zu einer düstereren Ausrichtung, zahlreiche Charaktere sollen Cuomos zerrissenes Gefühlsleben widerspiegeln. „There’s this crew – three guys and two girls and a mechanoid – that are on this mission in space to rescue somebody, or something. The whole thing was really an analogy for taking off, going out on the road and up the charts with a rock band, which is what was happening to me at the time I was writing this and feeling like I was lost in space.“
Nach und nach verrennt er sich dabei im erdachten Kosmos. Und spätestens, als Matt Sharp mit The Rentals ein Debüt vorlegt, das thematisch und stilistisch in identen Gebieten unterwegs ist, will Cuomo vor allem eines: Erst einmal von der Bildfläche verschwinden. Er schreibt sich in Harvard ein, unterzieht sich einer schmerzhaften Beinoperation, lässt sich einen Hobo-Bart wachsen und treibt sich zwischen Hausaufgaben und Schmerzmittelkonsum in eine soziale Isolation, der auch noch eine Schreibblockade folgte.
Eine dunkle Zeit für Cuomo, in der Songs from The Black Hole entlang der bereits gebuchten Studiozeit für das zweite Album langsam aber sicher endgültig beerdigt wird – es soll als unvollendetes Werk neben Projekten wie Brian Wilsons Smile in die Welt der Musikmysterien eingehen. Weezer-Intimus und Bandchronist Karl Koch erinnert sich: „Rivers was still holding out a torch for his „Black Hole“ idea, but as recording got underway, the songs were laid down as before, one at a time- no story, no theatrics, no characters.“
Den Knack- und Wendepunkt in der Entstehungsgeschichte von Pinkerton stellt dann ein Fanmail aus Japan dar: Der mit demolierten Ego und kaputten Körper durch Harvard schleichende Cuomo entwickelt eine regelrechte Obsession für den Brief in gebrochenen Englisch („he even went so far as to sniff it and lick it„) und steigert sich in einen Rausch. Er verwendet für sich stehendes Material aus dem Songs from The Black Hole-Fundus, schreibt dazu zahlreiche neue Songs, die sich um seine Erfahrungen als Student, um Asian und Madama Butterfly-artige Motive drehen.
Vor diesem faszinierenden Hintergrund sollte als der Kraftakt Pinkerton entstehen. Mehr oder minder ein neues Konzeptalbum aus der Egoperspektive über unerfüllte Liebe, Isolation und sexuelle Frustration, die Weezers bittersüß motivierte Trademark-Melancholie ein ganzes Stück weit hinter sich lassen sollte, um den kantigen Rock im Gesamtbild vor den schmissigen Pop zu drängen und damit eine ganz neue Form der Direktheit erzwang. Die Band setzte diesmal ihren Willen durch, ohne Produzent zu arbeiten, und klang damit roher und näher am Live-Wesen von Weezer. Der Sound ist grandios, und abseits der Gitarren ist Pat Wilson mit seinen mächtigen, trockenden, scheppernden Drums der heimliche instrumentale Held der Platte. Es ist es bei jeder Begegnung aufs Neue faszinierend, wie intensiv und unbedingt die Band sich in Szene setzt: Pinkerton strotzt vor Power, ist ohne Distanz ein direkter Schlag in die Magengrube.
Auch und gerade lyrisch: Was aus heutiger Sicht schon als Misogynie durchgehen könnte, ist die textliche Schonungslosigkeit eines Mannes, der mit sich und der Welt (vor allem aber auch den Frauen darin) nicht mehr zurecthtkommt und seine Klasse als Songwriter in eine pure Katharsis destiliert, die emotional aufwühlend und raffiniert drastisch ist, deren Ehrlichkeit die dynamische Riffs und Rhythmen in authentische Leidenschaft und Verzweiflung pumpt; in der Tragik, Groupie-Abrechnungen, Kulturausbeutungen und Komik Hand in Hand ihrer Zeit vorausscheppern.
Das unheimlich dicht beisammen stehende Quartett hat Cuomos Erfahrungen der zwei Jahre seit dem Debüt auf dem letzten Album mit Matt Sharp in eie zu jeder Sekunde fesselndes Tour de Force-Kunstwerk gepresst, das ausnahmslos Hymnen für die Ewigkeit auffährt: Tired of Sex, Getchoo, Across the Sea, The Good Life, El Scorcho, Across the Sea….die Highlights und Lieblingssongs wechseln praktisch mit jedem Durchgang, in die Tiefe des Gesamtwerks will man sich immer wieder verlieren – der unstillbare Suchtfaktor ist in Relation zum vergleichsweise profaner auftretenden, deutlich polierter ausgeleuchteten blauen Album schließlich noch eine Spur höher.
Den Preis, den Weezer für diesen heute kultisch verehrten Geniestreich nach seiner Veröffentlichung 1996 (und darüber hinausgehend) zu zahlen haben, ist – wie die Plätze 11 bis 01 gezeigt haben- eine andere, vielleicht sogar unendliche, Geschichte.
3 Trackbacks
- Ash - Islands - HeavyPop.at - […] im greifbaren Rückspiegel eine waschechte Weezer-Platte zu imitieren, die irgendwo zwischen den grünen und der weißen Selbstbetitelten Fanherzen höher…
- Bleach Wave - East Jesus - HeavyPop.at - […] die Zeit gewachsenen) Gaslighter oder Peppermint Bliss (das Gitarrenbrett, das Weezer seit dem Weißen Album mal wieder nicht schreiben…
- Guided by Voices - Strut of Kings - HeavyPop.at - […] lässt, bevor Serene King seine fetzige Energie in eine catchy Hook steckt und Bicycle Garden Keep Fishing zum Fanfaren-Finale…
we-love-webdesign - 29. März 2018
Toller Beitrag !
CLiXX - 25. Oktober 2020
Ich liebe diesen Blogbeitrag.