Everything Everything – Re-Animator

von am 6. Oktober 2020 in Album

Everything Everything – Re-Animator

Everything Everything machen im fünften Anlauf in die sehnsüchtig gezirkelte Schnittmenge aus betont cleverem Synthpop und zugänglichem Artrock immer noch wenig falsch. Allerdings ist ihnen auf Re-Animator doch ein wenig die euphorisierende, überdrehte Magie abhanden gekommen.

Um das leidige Thema gleich eingangs auszumerzen: Die immer schon offenkundigen Bezüge von Everything Everything auf Radiohead als erste Inspirationsquelle haben auf dem fünften Album der mittlerweile in Manchester residierenden Band nicht derart identitätsproblematisch Überhand genommen, wie es der permanente Verweis im Feuilleton rund um Berichterstattung zu Re-Animator nahelegt. Zwar zeigt It Was A Monstering mit der rhythmischen Nautik der gegen sich selbst arbeitenden Saiten vor einem ätherisch flirrenden Ambiente eine so unmittelbare Nähe zu Thom Yorke im Allgemeinen und In Rainbows im Speziellen, wie vielleicht noch kein anderer Entwurf von Everything Everything, doch artikuliert das Quartett seine progressiv angetrieben Stil-Architektur auch hier immer noch so eigenwillig, um sich vielleicht eine massive Referenzlast aufzubürden, aber kein Plagiatsverfahren anzuzetteln – dafür sorgt alleine Jonathan Higgs patentiert aufgedreht quäkende Heliumstimme, die zwischen distanzierter Rezitation und theatralisch gestikulierendem Pathos keinen Bruchstrich setzt.

Relevanter vor die Verortung von Re-Animator innerhalb der hauseigenen Diskografie ist hingegen also eher die Erkenntnis, dass sich die Entwicklung nach dem (zumindest vorläufigen) Karriere-Highlight Get to Heaven von 2015 über das „nur“ noch sehr gute Fever Dream fortsetzt. Soll heißen: Everything Everything haben hiernach noch immer keinen tatsächlich schlechten Song geschrieben, bündeln Material, das auf emotionaler Ebene entlang der typischen Trademarks und strukturoffen-entschleunigterer Bausteine nur noch phasenweise emotional zündet.
Das liegt keineswegs daran, dass mit dem (durchaus exemplarisch für das Wesen der Platte) irritierend platzierten In Birdong, das atmosphärisch über eine majestätische Dramatik pulsiert, die beste Nummer der Platte bereits vorab veröffentlicht wurde und die Erwartungshaltung insofern eine dezent überhöhte war.
Die gebremste Euphorie lässt sich eher daran festmachen, dass Everything Everything trotz einer weniger chaotisch-impulsiven Gangart bestechende Einzelideen nicht zu kohärenten, ganzheitlich packenden Songs zusammenfügen kann, bzw. jede der kontrollierter ausgelegten Nummer durch Elemente und Schönheitsfehler geprägt wird, die das vorhandene Potential frustrierend hemmen und ausbremsen, während diesmal keine (weiteren) Genieblitze die die weiterhin hohe Messlatte sprengend ausreizen.

Lost Powers installiert einen oszillierenden Groove und folgt keiner konventionellen Linie zum Klimax, dessen kakophonische Noise-Katharsis leider durch einen verhunzten Mix die nötige Intensität vermittelt bekommt. Big Climb hat einen tollen Chorus („We’re not afraid that it’ll kill us, yeah / We are afraid that it won’t“), ansonsten stackst die flimmernde Nummer aber wie auch das catchy Black Hyena unfokussiert, während das kontemplativ aus den 80ern modulierte Planets mit seiner hibbeligen Titelrezitation nerven kann und abseits davon nicht wirklich in Gang kommt.
Das tolle Moonlight schimmert verhalten, trägt in seinem entschleunigten Wesen eine hymnische Größe und bietet auch ein erhebendes Finale – das aber nicht restlos überwältigend packt. Ein Schicksal, den das Herzstück übrigens mit dem Future-poppigen Arch Enemy teilt, das seine Melodie für den Chorus neben der Spur nach vorne schiebt, die Extase auslässt, im Finale aber zumindest elektrifizierende Funken sprühen lässt.
Lord of the Trapdoor wird als mathrockig perlender Ruhepuls erst interessant, wenn die Gitarren zur Mitte einen Stromstoß bekommen und sich für den Rest des Songs im elektronischen Delirium bewegen, doch überzeugt hier primär die Ästhetik, nicht das Songwriting. Auch dass das Finale mit dem gemächlich joggenden, optimistisch- verträumten, aber ziellosen The Actor sowie dem straight treibenden, konventionell-unspektakulären Violent Sun demonstrativ straight agiert, festigt den Eindruck, es für Everything Everything-Verhältnisse in Summe nur mit einem gelungenen, zu braven Standardwerk der ansonsten so aufgekratzten Briten (deren ruhige Songs im Kontrast wie etwas seinerzeit The Peaks ja immer absolute Highlights waren) zu tun zu haben. Trotzdem lässt sich bereits jetzt orakeln, dass der eigentliche Kniff von Re-Animator gerade mit ein wenig Abstand sein wird, den Nimbus der Unfehlbarkeit der Band vielleicht ein wenig getrübt, aber keineswegs untergraben zu haben.

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