Ethel Cain – Perverts
„Perverts is not an album, though it is 90 minutes. It explores the droning ambient sound that gave Preacher’s Daughter a captivatingly disturbing edge“ erklärt Hayden Silas Anhedönia und ergänzt außerdem: „No, this (…) little project has nothing to do with Ethel Cain lore.“
Wo für Perverts durch die unkonventionelle Format-Deklaration schon vorab eine Sonderstellung innerhalb des Kanons reklamiert wird, rücken die neun Stücke der Platte auch ungeachtet des Volumens davon ab, den zweiten Teil einer Trilogie zu artikulieren, die Ethel Caine auf ihrem Debütalbum Preacher‘s Daughter 2022 begonnen hat, indem sich die Platte stilistisch über weite Teile der eklektischen, assoziativ abholenden Spielzeit in mäandernden Drone-Klanglandschaften bewegt – und ja, auch verliert.
Das Titelstück beginnt mit einer verzerrten Vintage-Perspektive auf Nearer, My God, to Thee unweit von Reverend Kristin Hayter im Weißen Rauschen, dessen 12 (und damit nur den drittlängsten Track hier stellenden) Minuten von der klaustrophobischen Weite mit einem beklemmenden Gefühl der unerreichbaren Distanz in einen hypnotischen Tunnel eintauchen. Die Frequenz posthumer Interferenz-Durchsagen nimmt zu, in diesem futuristischen Zeitlupen-Fahrstuhl in eine Trance-Hölle, was die vage Ahnung einer Soundtrack-Erinnerung zwischen William Basinski und The Caretaker im Verlauf zunehmen lässt.
In Housofpsychoticwomn
Atmosphärisch ist das enorm dicht – aber selbst an Genre-Standards gemessen zieht Ethel Cain die Klanglandschaft nicht zum Punkt findend ein kleines bisschen zu sehr in die Länge. Gestrafft hätte das Instrumental einfach fesselnder funktioniert, derweil auch der Spannungsbogen einer bis zuletzt veränderten Tracklist (weswegen sich auch wieder der Soundcloud-Blick lohnt) phasenweise an Fokus verliert.
Nähert sich Anhedönia konventionellerem Songwriting – wenn auch in einer Form, die ausgerechnet das strukturfreie For Sure adäquat angedeutet hat – greifen ihre Stärken konsequenter.
Schon in den Zwischenwelten von Onanist oder Thatorchia, die sich in einem Enigma aus Stimmen, Loops und Drones nach Grouper sehnen. Mehr noch aber vor allem in Punish, das mit verhuschtem Klavier so wundervoll traurig abgekämpft und entschleunigt zwischen Marissa und Lana einfach nur das bisher schönste Ethel Cain-Stück darstellt, wie da eine dystopische Gitarrenwand als beruhigend wogender Wellengang die Droneflower‘eske Symbiose von Sun O))) und Puce Mary andeutet.
Kaum weniger anmutig ist Amber Waves als bedächtig perlende Elegie, deren andächtig gehauchter Slowcore eine ungefähre Vorstellung davon vermittelt, wie Pink Maggit als Duster-Nummer klingen hätte können, oder Vacillator, das mit einem Bohren-Jazz-Schlagzeug behutsam in die Dunkelheit schleicht, um Wärme und Geborgenheit zu suchen, aber nur exzessive Extreme findet. „If you love me, keep it to yourself“ fleht Cain als der titelgebende Charakter immer wieder und verleiht der inhaltlichen Reibung der Platte das ideale Bild, wo sich Nähe abstößt und emotionale Offenheit immer auch Verletzung bedeuten muss. Gerade in diesen Highlights hat das philosophische Konzeptwerk Perverts eine Tiefe, die über die Kompromisslosigkeit hinausgeht und der relativen Nebenhandlung dieser EP mehr Tragweite verleiht, als anderswo ganze Zyklen mit auf den Weg bekommen.
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