Eremit – Wearer of Numerous Forms
Eremit opfern dem Sludge Metal mit Wearer of Numerous Forms, was Kali Malone Anfang 2023 für den Drone und Bell Witch erst unlängst für den Funeral Doom darboten: ein überlebensgroßes Epos von auslaugender Länge – und immens entlohnender Wirkung.
Schon immer waren bei dem Trio aus Osnabrück Form und Inhalt Form und Inhalt synonym, und es ist folgerichtig wohl nur konsequent, dass Wearer of Numerous Forms als Abschluss einer mit Carrier of Weight (2019) begonnenen und mittels Bearer of Many Names (2021) fortgesetzten Trilogie nun anstrebt, das bisherige Erscheinungsbild von Eremit in regelrecht erschöpfenden Dimensionen zu krönen: Drei Songs, der kürzeste 22 Minuten und der längste knapp 64, ergeben über sechs Schallplatten verteilt eine Gesamtspielzeit von über 2 Stunden, in denen die Deutschen die Artikulation ihrer doomigen Heaviness ebenso vertiefen, wie sie auf die Basis einer größeren Bandbreite aufziehen – und sich damit, um es gleich vorwegzunehmen, keineswegs an den immensen Ambitionen und Volumen verheben, sondern tatsächlich ihr bisher größtes Album kreieren.
Viel Anlaufzeit benötigen Eremit dafür alerdings überraschenderweise nicht: Conflicting Aspects of Reality ballert aus dem Noise erwachend in erstaunlich zügigem Tempo samt energischem Zug nach vorne sludgend los, bevor sich die Nummer, nein, der Monolith!, in aller gebotenen Schwere in den patentiert stoischen Strom zähflüssiger Riffs und interessanten Rhythmus-Ideen eingroovt, so verwunschen und garstig greinend den pechschwarzen Mond anheult. Grundlegend behäbig angelegt injizieren Eremit der Praxis kurze, rasende Adrenalin-Schübe, streifen die Ränder einer Kriegsmaschinerie, die als Erinnerung an das Verderben die Trompete (von Hendrik ‚Brede‘ Bredemann) bläst, sich als Heimsuchung über dem Abgrund erhebt und sich tödlich abgekämpft schleppt.
Nach 16 Minuten erfolgt die Einkehr in den ambienten Drone, pilgert das Trio mit tiefem Grollen kontemplativ nachdenklich durch die beklemmende Düsternis und adelt auch den Sound und die Produktion der Platte (von Roland ‚Role‘ Wiegner in der Tonmeisterei eingefangen) – trotz der bauchigen rollenden Slo-Mo-Kontemplation aus Drums und Bass erzeugt die Band hier eher ein mysteriöses Schleichen a la Godspeed.
Platzt Conflicting Aspects of Reality rund um die Halbe-Stunde-Marke wieder los, schließt sich das imaginative schwarze Loch keineswegs, sondern transformiert sich knisternd und brutzelnd zum Funeral- und Drone- Metal, wie er auch Boris und Sunn O))) gefallen sollte, bevor Eremit 10 Minuten später wieder kasteiend zu marschieren beginnen, die Trompete als ausgemergelten, aber zähen Begleiter im Nacken,gemeinsam durch ein zäh ätzendes Rinnsal der Heaviness ihre Furche ziehend, Gift und Galle spuckend.
Wenn Conflicting Aspects of Reality sich eine knappe Viertelstunde vor Schluss heroisch aufzubäumen beginnt und auch wieder in Schüben an bollerndem Tempo aufnimmt, schließen Eremit den Bogen über einer Horde aus Pressrücken, die einen erschöpfenden Blick auf das zurückgelehnte Panorama freigeben – und dabei erhabene Bilder vor dem inneren Auge erzeugen.
Trotz der homogenen Kohärenz und der klangästhetischen Grenzen der Platte, gelingt es der Band zudem, die darauf noch folgenden Landschaften kaum in ermüdenden Gleichförmigkeiten zu verlieren, sondern die Komfortzone mit der etablierten Farbpalette schlüssig dergestalt variierend zu deklinieren, dass der konsumierenden Aufmerksamkeit kein Müßiggang aufgedrängt wird – es gibt viel zu entdecken, viel zu erforschen, so viel auf unterschiedliche Weise erfüllende Substanz aufzusaugen. Und dass dabei stets ein Gefühl der absoluten Genugtuung schwerer wiegt, als das Momentum einer überwältigenden Begeisterung, passt ohnedies besser zur zeitlosen, nachhaltigen Ausstrahlung von Wearer of Numerous Forms.
Entombed in a Prism of Blindness ist die kompakteste Passage der Platte und entsprechend dazu auch eine zügige Planierraupe mit ordentlich Drive und Dynamik, die irgendwann dennoch das Tempo drosselt, um Conan nachzufolgen, wenngleich deren Caveman Battle Doom hier von verfluchten Black Metal-Dämonen besessen ist. (Wurde bei der Gelegenheit eigentlich schon erwähnt, dass die Gesangsperformance im Gefüge von Eremit noch nie derart zwingend in ihren Bann geschlagen hat auf diesem Monumental-Drittwerk, böser und giftiger wirkt als bisher, den instrumentalen Welten ebenso enormen Raum zum wachsen gibt, und damit eine Prägnanz erzeugt, die pure Synergie ist?)
Dass Entombed in a Prism of Blindness sein Wesen tektonischer revidiert und den Mahlstrom zu ziehen beginnt, ist insofern relativ zu verstehen. Ambivalenter fällt dagegen die Dreiviertelstunde von Passages of Poor Light aus, die aus ambienten Untiefen bedrohlich geboren wird. Die Gitarren bauen sich geduldig dräuend, auch ohne restlos originären Spannungsbogen auf, als hätte Efrim Manuel Menuck eine bedächtig pochende Partitur für Pallbearer gemalen – immer wieder wird Passages of Poor Light in seinem Verlauf so nahe in den Postrock hinein ziehen, alleine schon, wie die Delay-Gitarren herrlich von der Ewigkeit träumen, und damit eine der schönsten Facetten im reichhaltiger gewordenen Leben von Eremit erzeugen.
Den Schalter zum Starkstrom-Headbanger legt die Band dann aber zu abrupt um, bevor sich der Closer fast psychedelisch um eine Rif-Figur zu drehen beginnt, wo es vom losplatzenden Black Metal-Sturzbach bis zur Zeitlupen-Lava ein praktisch nahtlos variierendes Amalgam ist, das in der melancholischen Tristesse ruhigen Trost findet, flirrende Gitarren am Himmelszelt, tiefer Kummer bindend darunter.
Später passiert ein erschreckender Jumpscare mit fratzenhafter Plötzlichkeit und Husarenritte in dem machtvoll gestikulierenden Schaulaufen, hysterisch kreischend rufend, als würden The Body hymnische Kathedralen für Mizmor jenseits der Selbstaufgabe ausschmücken. Doch neuerlich ist da ein unnötig rapider, seine Nahtstellen nicht kaschierender Bruch zur Halbstunden-Marke, der bis zur kompletten Abkehr neigt und aus dem Sog reißt – da kann das neuerliche erratischer Wachstum noch so stimmungsvoll passieren, mag es auch entlang eines neuerlichen archetypischen Bogens passieren: hier pendelt die Platte und lässt jenseits der geschlossenen Homogenität erkennen, dass natürlich nicht jeder vermessene Meter elementar ist.
Geschenkt! Seine Stringenz findet Passages of Poor Light schließlich bald (über einen wieder etwas formelhaft gestrickten Anstieg) wieder, lässt den Spagat zwischen einem über den bisherigen Band-Zenit hinausreichendes Highlight und der zu lange sowie ein wenig orientierungslos wirkenden Collage aufgehen, wenn die Physis des Albums zum vorhersehbaren Klimax fesselt, die stetige Steigerung die Intensität immer weiter konzentriert, und dieser Kraftakt dennoch wie die einzig logische Konsequenz einer Trilogie anmutet, an deren Ende nahezu alles für die Zukunft von Eremit möglich scheint.
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