Elvis Costello & The Imposters – Look Now

von am 26. Oktober 2018 in Album

Elvis Costello & The Imposters – Look Now

Dass Elvis Costello seine 2018er Europa-Tour krankheitsbedingt (und sicherlich nicht auch bedingt durch die erschreckend schwachen Ticketverkäufe) absagen musste, lässt sich durch die Konzentration auf das mehr oder minder stattdessen fertiggestellte Look Now etwas leichter verschmerzen: Ein bärenstarkes Quasi-Comeback.

Zumal sein je nach Zählweise 30. Studioalbum – sicher aber der offizielle Nachfolger vom 2010er Werk National Ransom bzw. der Roots-Kooperation Wise Up Ghost, dazu Costellos erstes mit den Imposters seit einem Jahrzehnt – etwas unter Beweis stellt, dann dass das Alter dem 64 Jährigen schlichtweg nichts anhaben kann. Schließlich muss man sich nicht nur allen Ernstes fragen, ob Declan MacManus jemals vitaler, geschmeidiger und schlichtweg besser klang, als auf Look Now, da lässt sich dem Thema Zeit auch immer wieder direkt und indirekt die Zunge zeigen.
In Stripping Paper singt Costello etwa „I got time on my hands, I’m just stripping paper/ It’s amazin‘ what you will find stripping paper/ When you get down to the past“ so gänzlich ohne wehmütige Nostalgie zu einem wunderbaren Anachronismus aus warmen Soul-Poprock in kammermusikalischer Ausschmückung.
Schon im Opener Under Lime zählt er zudem die Sekunden ohne Ablaufdatum klackernd-marschierend zum Comeback hinunter, es könnte einem höchstens die Lebenszeiteit davonlaufen. „And the clock on the wall tick-tocked the time away/ And the band starts to play„, wofür die Imposters das ganze Brimborium aus kecken Gitarren, viel weichem Gefühl, Gospel-Backingchören, Klavier und jubilierenden Bläser auffahren. Unter der makellosen Symbiose von Costello mit seinen Musikern läuft das breite Instrumentarium wie selbstverständlich wohltemperiert, ist opulent aber nicht übertrieben bombastisch, vielleicht minimal zu freigiebig, aber eben ein elementarer Teil eines weit ausholenden Epos, der anderswo das große Finale beschwören würde.

Under Lime ist damit der adäquate Einstand in eine Platte voller bunter Charaktere und turbulenter Situationen in Aufbruchstimmung und Romantik, die Kritiker unisono zwischen Imperial Bedroom und Painted from Memory verorten, währnd Costello selbst das Album als „uptown pop record with a little swagger“ definiert, von dem er bereits rund 20 Jahre träume. Beide Seiten meinen damit übrigens tatsächlich sein vielleicht in sich geschlossenstes Werk der Ikone in diesem Jahrtausend.
Mal verträumter, mal dringlicher verschieben Costello und seine Imposters die Akzente im gediegenen Rahmen ohne Gewalt. Unwanted Number ist da etwa schlichtweg anmutiger Motown-Ohrenbalsam, das etwas zu selbstverliebte Suspect My Tears ist mit Streicherharmonien in kitschigen 80er-Szenen groß geworden und I Let The Sun Go Down visiert ein wundervoll viktorianisches Beatles-Flair an, klingt wie ein seit Jahrzehnten gereifter Klassiker. Über allem stehen trotzdem die Kooperationen. In Don’t Look Now greifen die Imposters eine gen North schwelgende romantische Klavierballade unfassbar elegant getragen am Blues auf und geben Costello und seinem alten Kumpel Burt Bacharach damit ebenso Rückenwind wie im anmutigen Rührstück Photographs Can Lie (in dem Costello seine Stimme vibrieren lässt, als wollte er eine versöhnliche, verdauliche Rückschau auf Blackstar liefern), oder dem Schlusspunkt He’s Given Me Things, einem entschleunigten Walzer durch die Ballsäle dieser Welt im Cinemascope-Kerzenlicht.
Burnt Sugar Is So Bitter ist dagegen mit Carole King entstanden, liebäugelt mit den 70s und subtilem Funk, und als wäre das Ergebnis nicht eh schon beschwingt genug, lässt Costello die Nummer von den Backgrounddamen hinwegtragen und poltert dann im Jazzgraben.

Immer ist es dabei das Kollektiv, dass die Songs trägt und im Vergleich zum pointierter-kantigen Imposters-Einstand When I Was Cruel deutlich flächiger, üppiger und auch ein bisschen behäbiger, weil weniger überraschend und wendig, agiert. Weswegen etwa der Chorus von Mr. & Mrs. Hush nicht restlos überzeugend funktionieren will. Schließlich möchte Costello die Kompaktheit hier etwas knackiger forcieren und steht mit dem Songwriting der Inszenierung insofern ein bisschen im Weg. Das zieht im Kontext die Aufmerksamkeit nämlich etwas zu unrund auf sich, da der betont hibbelige Refrain sich kantig aus dem Gefüge drängt, die Nummer nach veränderter Dynamik im Gefüge verlangt, in diesem löblichem Gedanken an den Ausbruch aus der Komfortzone aber generell eher wie das zu dicht verschweißte Durchreichen einzelner Parts anmutet: Rock außerhalb des gefälligen Midtempo-Bereichs ist eben schlichtweg nicht das Ding von Look Now.
Besser gelingt der relative Befreiungsschlag dennoch dem flotten Dishonor The Stars, das genug Zeit zum anziehenden Durchatmen bekommt. Auch Why Won’t Heaven Help Me? ist weniger kompositorisches Großereignis als vielmehr ein zu spät in der Tracklist platziertes Antauchen des Momentums – eine solides Loslassen der sonstigen Perfektion.
Bei dieser Gelegenheit muss man Look Now in Nuancen ohnedies ankreiden, dass die Platte eher durch die durchgängig hohe Qualität seiner Nummern und des konsistenten Gesamtgefüges überzeugt, als letztendlich durch unbedingt herausragende, individuell anvisierte Highlights mit charakteristischen Klassikeransprüchen, zu denen man außerhalb der episodenhaften Albumhandlung wohl weniger oft zurückkehren wird – obgleich sich die besten Nummern in den ersten zwei Dritteln von Look Now befinden und die Spannung nicht über die volle Distanz der 47 Minuten gehalten werden kann.
Jammern auf immens hohem Niveau: Wo Costello an bissfertig gestrickten Einzel-Hits nur bedingt interessiert ist, stellt sich durch die kultivierte Masse und erdrückende Klasse dieses Spophisticated-Schwergewichts zu keinem Zeitpunkt die Frage, weswegen er hierfür seinen eigentlich ja längst verkündeten Rückzug aus der Plattenproduktion noch einmal unterbrechen wollte: Look Now ist ein juveniles, motiviertes Anti-Alterswerk ohne Ermüdungserscheinungen, eine sympathische Machtdemonstration in Sachen Musikhistorie, scheinbar ohne jegliche Anstrengung. Weswegen man die Einleitung vielleicht revidieren muss: Mit diesem Material im Köcher lässt sich der Ausfall der vorangegangenen Tour eigentlich nur noch weniger verschmerzen.

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