Electric Soft Parade – Stages
Auf ihrem ersten Studioalbum seit sieben Jahren verarbeiten die Gebrüder White den Tod ihrer Mutter entlang sieben monolithisch-balladesker Stages (of Grief) in einem meditativen Konzeptalbum des orchestralen Britpop.
Mag die Veröffentlichungsfrequenz der längst vom ehemaligen Hype zum Liebhaberprojekt mutierten Electric Soft Parade seit 2007 auch immer ausgedünnter und sporadischer geworden sein, waren Alex und Thomas White im vergangenen Jahrzehnt mit zahlreichen Projekten und uneitlen Rollen als Erfüllungsgehilfen gut ausgelastet. Für das fünfte Studioalbum ihrer Stammformationsind die beiden aus gegebenen, traurigen Anlass der Verlust-Veratbeitung nun vor einer mehrköpfigen Backingband noch ansatzlos dichter zusammengerückt als bisher, um mit Stages ein universell funktionierendes Werk aufzunehmen, dass das popkulturellen Wissen der Brüder in eine zeitlose Sentimentalität ohne Kitsch übersetzt. Let there be Love quasi, von Doves bis Pulp assoziierend.
Zuerst schlendern Electric Soft Parade jedoch erst einmal verträumt aus ihrem eigenen Tranquility Base Hotel + Casino. Das schwelgende Saturday klimpert zu friedlich wogenden Gitarren und einem schunkelnden Rhythmus, geht harmonisch mit geschlossenen Augen auf, addiert sogar eine nostalgische Fernsehgarten-Mundharmonika sowie dezente Streicher und Bläser. Der Opener schwoft ein letztes Mal durch den leeren Ballsaal, bevor die Band in den Nachthimmel abhebt und damit dort beginnt, wo andere Platten sich mit derartig veranlagten Closern verabschieden.
Damit ist die Stimmung von Stages gesetzt – und auch das einzig gravierende Manko früh angedeutet. In Summe läuft das Album nämlich durchaus immer wieder Gefahr, zu gemächlich, gleichförmig und gefällig aufzutreten. Augenscheinlich bricht Stages dynamisch kaum nach oben oder unten aus, bleibt seinem Tempo weitestgehend treu, verliert sich deswegen auch ein bisschen zu gemütlich in der wohligen Atmosphäre. Im Grunde ist dies aber weniger ein tatsächliches Problem der Kompositionen, als vielmehr eines der Inszenierung. Thomas White setzt die Akzente in seiner Rolle als Produzent zu sehr auf einer Ebene ausbalanciert, jedes Element agiert auf einer Ebene im Einklang, der Mix zeigt keine Bandbreite. Die vorhandene Leidenschaft tritt so stets (zu) zurückhaltend auf und vermittelt gefühltermaßen auch eine schaumgebremste Hingabe, zu wenig Überwältigung.
Was gerade bei einer durchschnittlichen Songlänge von über 7 Minuten ins Gewicht fällt. Im sogar knapp 12 minütigen Herzstück On Your Own wird dies etwa deutlich, wenn die Nummer selbst im Kontext erst lange nur ein gelungener Standard ist, mögen die Brass-Arrangements auch noch so sorgsam sein – spätestens wenn sich die Band nach einem verpuffend aufgebauten Spannungsmoment in einem gedankenverlorenen, betörenden Jam ohne Herausforderung gehen lässt, erzeugt sie allerdings doch noch einen verselbstständigten Sog. Und dass der Closer Fragments ein versöhnlicher Abspann ist, der seine Liebe in eine Form plätschern lässt, die an Element of Crime und auch deren phasenweise Schlager-Belanglosigkeit gemahnt, setzt dann eben voraus, dass man in der richtigen Stimmung für Stages ist, um das Werk bedingungslos genießen zu können.
Im Umkehrschluss zeigt dies aber auch umso beeindruckender die grundlegend allgegenwärtige Qualität des Songwritings. Denn was sind das nur für hymnische, riesengroße, symphonische Britpop-Juwelen hier, die majestätische Refrains ausstellen, vor Melodieseligkeit strotzend, und vor allem in der ersten Hälfte der Platte mit der Grandezza von potentiellen Klassikern betörend.
Never Mind agiert körperlicher, die Arrangements könnten für Weltraum-Beobachtungen im schicken Abendanzug dienen. Die Whites geben sich unaufgeregt, der Chorus zieht deswegen mit aller Vorsichtigkeit eine strahlende Epik über, will nichts erzwingen. Selbst die sporadischen Effekte auf der Stimme sind zart eingesetzt, alles zaubert lieber subtil, anstatt am Kraftvolumen zu schrauben, man serviert insofern einen sofortigen Ohrwurm anstelle eines waschechten Hit.
Das überragende The Bargain destilliert das romantisch-melancholische, auch nostalgische Ambiente der Platte dann sogar nahezu formvollendet, gönnt sich einen dramatischen Refrain, dosiert den Pathos aber im Dienst der Sache. Nur der zweiminütige Prog-Appendix als Space-Instrumental ist unnötig, wirkt im Gegensatz zur ambienten Verweigerungshaltung von Silence to the Dark willkürlich und deplatziert, selbst im Fluss der Platte. Left Behind klatscht und bratzt dafür beinahe jubilierend, auch wenn Alex am Gesang im Kontrast eine besonders resigniert abgekämpfte Performance zu bieten versucht, bevor Roles Reversed als bittersüßer Existentialismus an der Schwelle zwischen Aufmunterung und Niedergeschlagenheit alle Last von den Schultern genommen bekommt und ohne Überschwänglichkeit weiß: „Not everybody dies alone“.
Letztendlich steht der Himmel doch ein bisschen in Flammen, würde schon hier für ein opulent-ausladendes Finale sorgen. Die Zeit danach sind freilich keine leeren Meter, sorgen dann wie die kleinen Schönheitsfehler der Platte dafür, dass die Electric Soft Parade hier zwar ihr bestes Album aufgenommen hat, jedoch durchaus frustrierend an einem Meisterwerk vorbeischrammt.
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