Elder – Reflections of a Floating World
Hätten Elder ein zweites Lore aufgenommen – die Stoner-Doom-Welt würde ihnen wohl abermals derart anstandslos zu Füßen liegen, wie sie es bereits bei dem Durchbruchsalbum 2015 tat. Stattdessen nimmt sich die Band um Nick DiSalvo Raum und Zeit, wächst (sowohl personell als auch stilistisch) über bisherige Horizonte hinaus und trägt ihren Sound in den psychedelischen Progrock.
Wäre die 2015er-Achterbahnfahrt Lore nicht ein derart formvollendeter Triumphzug, könnte man nun durchaus dazu neigen, das dritte Studioalbum von Elder rückblickend als Übergangswerk zu betrachten. Immerhin haben die Bostoner dort endgültig die Weichen für die stilistischen Perspektivenwechsel gestellt, die Reflections of a Floating World nun über 64 Minuten genüsslich in aller Ausführlichkeit zelebriert.
Weniger der Husarenritt durch eine offenkundige Sludge- und Doom-Heavyness prägt das Soundbild der (neben Gastmusiker Michael Samos mit Michael Risberg mittlerweile zum Quartett aufgestockten) Band im Jahr 2017, als dass sich das Gewicht noch deutlicher als bereits auf Lore in den Prog verlagert – in den Proto-Metal und Heavy Rock der 70er (und damit auch zu den Stickman-Labelkollegen von Motorpsycho), in die treibende Psychedelic, den hemmungslos ausufernden Jam.
Und im geradezu relaxt seine Spannungen aufbauenden Sonntag sogar bis hinein in den Krautrock. Exemplarisch für Reflections on a Floating World im Gesamten haben Elder alleine diesen flott fahinlaufenden Brocken aus einer knapp dreistündigen Session destilliert und in eine atemlose Riffkaskade assimiliert, während sich das Viertwerk der Band ohnedies mehr denn je wie ein nahtloser Rausch anfühlt, bei dem die Grenzen zwischen den einzelnen Tracks verschwimmen. (Dass sich ausgerechnet das Luft verschaffende, für sich stehend großartige Sonntag ein wenig inkonsequent aus der restlichen Homogenität stechend ins Nirwana schickt, anstatt etwa direkt und zielsuchend in das folgende Thousand Hands überzugehen, bleibt in dieser Hinsicht übrigens der einzige nachhaltige Schönheitsfehler der Platte).
Reflections of a Floating World ist als logische Weiterentwickung der bisherigen Bandgeschichte abseits davon eine Myriade aus komplex ineinander verflochtenen Strukturen und Passagen geworden, der seinem Titel folgend in einem kohäsiven, übersprudelnd-natürlichen Fluss der Dinge aufgeht: eine floating world für sich, dieses Album. Elder überschlagen sich dabei praktisch an jeder Ecke mit immer neuen Ideen und Wendungen, nehmen Abzweigungen verändern die Dynamik der Kompositionen. Variieren das Tempo und die Dynamik, verdichten die variableren Texturen und lassen den Stücken auch mehr Raum zur Entfaltung, geben bei jedem Durchgang neue Details und Impressionen preis. Niemals wirken die erschöpfenden Ausflüge dadurch allerdings verkopft, sondern stets intuitiv gewachsen – eine Herausforderung nichtsdestotrotz.
Reflections of a Floating World mag mit dieser noch progressiveren Gangart länger benötigen als jede bisherige Platte von Elder, um seine Hooks zu setzen, um tatsächlich hängen zu bleiben, Eindrücke auseinanderzudividieren – und ja, vielleicht auch ohnedies nicht die expliziten Höhepunkte von Lore evozieren.
Alleine schon, weil DiSalvo und seine Jungs diesmal aus konventioneller Sicht weniger songorientiert arbeiten und bei Tracklängen bis zu 14 Minuten durchaus in Kauf nehmen, phasenweise auch einmal gedankenverloren in den eigenen Klangwelten zu mäandern. Dafür funktionieren Elder nun aber eben auch flächendeckender, weswegen sich auch Reflections of a Floating World nach und nach als erfüllendes, zutiefst unterhaltsames Konglomerat aus schlichtweg grandiosen Gitarrenmomenten und herrlich wuchtigen Rhythmen auflöst.
Wo sich Sanctuary mit seiner drückenden Riffarbeit erst noch in eine wuchtige Eleganz fallen lässt (da ist gleichermaßen die Kompaktheit von The Sword wie die majestätische Größe von Pallbearer zu spüren), steht dennoch bereits früh die Erkenntnis, dass Elder den Doom eben nur noch als Ausgangslage nutzen – bald driftet der Opener schließlich durch eine epische Metal-Landschaft mit ambientartig-vielschichtigen Überbau und leviathanartigen Klimaxen. The Falling Veil streift gar noch weiter, schließt seine Augen mit einem bluesigen Shine On You Crazy Diamond-Vibe, um als verspielter Desert-Fiebertraum im Spannungsfeld von knackigem Hardrock und unberechenbaren Rush-Abfahrten mit elegischen Synthieflächen und bratzenden Breitseiten zu bestechen.
Staving Off the Truth folgt einer catchy daherkommenden Linie des gesanglich selbstsicherer gewordenen DiSalvo und vermisst danach die Distanz von Foundations of Sorrow hin zu den alten Baroness – mit Pink Floyd als Gradmesser. Die Melodien strahlen, die Gitarren perlen und tänzeln, die Rhytmussektion treibt unterschwellig fiebrig. Blind lotet diese emotionale Bandbreite sogar noch facettenreicher aus, funkelt und heult und gniddelt und prügelt und groovt ohne Ende, bevor Thousand Hands dagegen vergleichsweise straight gestrickt den Balanceakt zur dösenden Opeth‚esken Introspektion mit King Crimson’scher Grandezza schafft und die Zügel trotzdem vor allem noch einmal so versiert enger zieht.
Letztendlich darf man dabei die mittlerweile hintangestellte, offenkundiger am Stoner geschulte Ausprägung im Sound der freigeistiger denn je arbeitenden Elder nun vielleicht durchaus vermissen, um irgendwann dennoch bei der ekstatischen Erkenntnis zu landen, dass Nick DiSalvo und Co. auch mit abermals verschobenen Schwerpunkten hier im Grunde nur zum wiederholten Male ihren eigenen Charakter weiter vertiefen – und abgesehen davon ohnedies längst in ihrer eigenen Liga spielen. Indem der sich selbst zu stets neuen Glanztaten pushende Grower Reflections of a Floating World die Stärken von Elder auf eine noch breitere Basis stellt und wahlweise zum mindestens dritten Mal das schon wieder beste Album in der makellosen Discografie einer Band ist, bei der tatsächlich keine Platte ein Übergangswerk per se ist, sondern jede vielmehr eine individuelle Momentaufnahme einer rastlosen Reise und steten Entwicklung.
Wohin diese Elder nach dieser neuerlichen Glanztat führen könnte, bleibt zwar vorerst eine allgegenwärtige Frage im Hinterkopf – dass man sich bis dahin jedoch kaum am süchtig machenden Reflections of a Floating World satt gehört haben wird, dürfte hingegen bereits jetzt Gewissheit sein.
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