Elder – Lore
Auch wenn Elder deutlich weniger geradlinig agieren und der Vergleich ohnedies in vielerlei Hinsicht hinken mag: mit ihrem dritten Album hat das Trio aus Boston in gewissem Maße das musikalische Pendant zu Mad Max: Fury Road aufgenommen.
Was im besten Genrefilm der letzten Jahre die atemberaubenden Verfolgungsjagden in einer unendlichen Wüstenlanddschaft sind, sind auf ‚Lore‚ die exzessiven, schwindelerregenden Gitarrenabfahrten; wo George Miller brillant orchestrierte Actionszenen am Fließband serviert, reihen Elder eben mit atemloser Ausdauer wuchtige Riffkaskaskaden aneinander, verschnaufen nur kurz, um die mächtigen Breitseiten umso wuchtiger in filigran entfesselte, songdienliche Fingerfertigkeiten mutieren zu lassen.
Da wie dort besteht ein Gutteil der Klasse des Endprodukts darin, einen theoretisch vorhandenen Überschuss nicht ermüdend wirken zu lassen, sondern die Herangehensweise mit jedem neuen Ausritt zu variieren, die Dynamik und Gewichtung zu wechseln, die Dinge ohne ein Abflachen der Spannungskurve voranzupeitschen, stets neue Ideen und Wendungen einzuimpfen, so dass am Ende praktisch keine Sättigung, sondern sogar ein unstillbarer Hunger nach Mehr herrscht. Dass Bandvorstand Nick DiSalvo seinen Gesang dabei endgültig in die zweite Reihe gestellt hat, diesen nur noch als lose herhaltenden Ankerpunkt auf einer Platte nutzt, die praktisch einer einstündigen Jamsession in fünf überlangen Akten gleich kommt, passt da nur zu perfekt ins Gesamtbild.
Elder haben sich nach dem bereits fantastischen ‚Dead Roots Stirring‘ von 2011 also noch einmal deutlich weiterentwickelt: ihre proggige Seite hemmungslos auslebend ist ‚Lore‚ ein niemals in Stillstand verfallender Trip durch Gitarrenlandschaften von atmosphärischer Eindringlichkeit geworden, der zwischen Sludge, Metal und Rock keinen Trennstrich zieht. Schon der Opener ‚Compendium‚ zitiert erst Classic Rock Momente – quasi Stevie Ray Vaugn auf Speed – und zelebriert danach die Symbiose aus der Monumentalität des Doom und der psychedelisch den Geist schweifen lassenden Weite des Stonerrock, lose um seine erstaunlich hartnäckige Hookline streunend, die Melodien schleichen sich durch die Hintertür. Elder sind immer noch verdammt heavy, laden die stimmungsvoll treibenden Passagen aber mittlerweile mit einer beinahe melancholischen Leichtigkeit auf: „This is the weight of heartbreak/ This is the weight of life/ A thunder at the temple/ Silencing endless strife„. Das ist in einem Moment nackenbrechend packend und im nächsten schweifend nachdenklich, hebt die gniddelnde Brachialität von Mastodon und die postmetallische Größe von Baroness auf eine Ebene, die die beiden nahverwandten Kollegen schon lange nicht mehr heraufbeschworen haben.
‚Lore‚ entwickelt sich zu einem Rausch, in dem Grenzen zerfließen: das ätherische ‚Legend‚ ist auf eine ähnliche Art episch, wie es die zurückgenommenen Momente von Pallbearer sind. Elder driften in einen schier endlosen Impro-Part ab und sind dennoch akribisch gedankenvoll bei der Sache, bleiben verspielt, kompromisslos und vor allem enorm gefühlvoll. Das ist Muckermusik, die den emotionalen Standpunkt nicht außer Acht lässt, dass der Fokus stehts vorhanden ist und die Dinge trotzdem vor dem inneren Auge verschwinden ist da kein Widerspruch – und dass ‚Lore‚ auf Stickman Records erscheint im Grunde nur logisch: die Lehren von Motorpsycho scheinen durch alle Poren, manifestieren sich vor allem im ausufernden Titelsong.
Wie dieser sich über seine eingangs nicht gänzlich ohne Längen auskommenden, hinten raus jedoch schon wieder fast zu kurz wirkenden 16 Minuten irgendwann gar zu einem glimmernden Ambientpart ausbremst, der sich daraufhin in postrockigen Sphären auswächst und mit viel Fuzz plötzlich am Highway steht, dürfte den Göttern aus Norwegen jedenfalls durchaus gefallen. Warum DiSalvo zudem nicht müde wird den Einfluss von Dungen oder Colour Haze auf sein Songwriting zu betonen wird spätestens anhand dieser Achterbahnfahrt zwischen Meditation und schweißtreibendem Pit klar – dass die Performance der Rhythmusgruppe Matthew Couto und Jack Donovan essentiell ist sowieso. Der Groove der beiden hat kein Gramm Speck auf den Hüften, drückt und atmet, versetzt ‚Lore‚ in einen immanenten Wellengang, den die grandios variable Produktion von Justin Pizzoferrato formvollendet.
Wenn ‚Spirit at Aphelion‚ (hinter dem im Kontext etwas unscheinbar bleibenden ‚Deadweight‚) sich nach seinem verträumten Acoustic-Beginn entlang von rasanten Soli, texturierenden Synthiepassagen und einer donnernden Beitbeinigkeit zu majestätischer Größe aufbäumt, nur um sich im Fade-Out unmittelbar aufzulösen, ist dann auch gar nicht unbedingt nachlässig, sondern im nahtlosen Gesamtfluss eher absolut stimmig: Eine Platte wie diese muss sich vielleicht irgendwann in der Transzendenz verlieren, aufsteigen und dem irdischen entsagen, wenn die Luftgitarre eingepackt wurde, weil sich das Kopfkino längst auf mystische Reisen begeben hat. Da das Zusammenspiel aus physischer Präsenz und psychischer Tiefenwirkung dabei vor allem in der ersten Plattenhälfte schier überwältigend gelingt, hebt Elder endgültig in die erste Liga der Szenegrößen. Letztendlich, und das ist für alle Beteiligten wohl noch wichtiger, ist ‚Lore‚ in Summe eben nichts weniger, als ein 60 minütiger, dynamischer, fesselnder, mitreißender Eargasm.
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