Elbow – The Take Off and Landing of Everything
Nach dem vergleichsweise regelrecht glückseligen, vielerorts absolut zu Unrecht verschmähten Blick zurück bis in die Kindheit auf dem großartigen ‚Build a Rocket Boys!‚ richten Guy Garvey und Co. den Blick nun in die Zukunft: obwohl ihnen nach England nun endlich die ganze Welt zu Füßen liegt kein Grund für überbordende Euphorie im Hause Elbow.
„I’m reaching the age when decisions are made/On life and liver and I’m sure last ditch/That’ll I’ll ask for more time/ But mother forgive me/I still want a bottle of good Irish whiskey and a bundle of smokes in my grave“ schwadroniert Garvey und kredenzt einen weiteren Moment der Schwermut, aber einen solchen, der ausnahmsweise nicht als regelrecht verzweifelte Geste an den Abgründen der Romantik verzehrt wird. Irgendwie muss es ja weitergehen. Aber selbst wenn Garvey sich in Interviews nachdrücklich ungebrochen gibt, ist das sechste Studioalbum seiner Band geprägt von einem immanenten Wehmut: den 40er justament passiert, die Scherben der langjährigen Beziehung im Rückspiegel, die Kasteiung dazu vor sich („I added some lyrics at the end, about imagining her going on and having a family without me, which is tough to swallow.„).
Während der bärtige Riese sein gebrochenes Herz nun also an den Möglichkeiten der Zukunft zu relativieren versucht, ziehen sich Elbow auch musikalisch ein wenig zurück (direkt drängende Rocksongs wie ‚Fallen Angel‚, ‚Grounds for Divorce‚ oder etwaiger ‚Leaders of the Free World‚-Instant Klassiker fehlen diesmal vollends) auch aus dem ruhigen Endorphinschub der ‚Build a Rocket Boys!‚ in Summe war – und zelebrieren weitestgehend meditative und unverrückbare, sich selbst erforschende Songs (der rhythmisch ohne Ablenkung und krautig dahinmarschierende Titelsong mit all seinen darüber gestrichenen Texturen verdichtet sich zum Mantra ohne Explosionspunkt, bleibt mit seinen von Anfang bis Ende stoisch durchgezogenen Beat symptomatisch für um sich selbst kreisende Kompositionen), die sich stärker an der verschlosseneren Frühphase der Band orientieren. Bombastisch exaltierte Momente bleiben auf ‚The Take Off and Landing of Everything‚ nicht nur in Relation zu ‚The Seldom Seen Kid‚ absolut im überschaubaren Rahmen; vor allem ein zweites ‚Open Arms‚ verkneifen sich Elbow, opulent und ausladend darf es aber durchaus werden
Bei dem textlich etwas mageren ‚New York Morning‚ vor allem, das sich dick auftragend zur pathosschwangeren Lobeshymne auf den Big Apple aufschwingt; bei dem massiven ‚Charge‚, das unter seinem stoischen Rhythmus und schabenden Gitarrenlicks selbst dann noch schwer groovt, wenn Garvey ohrenscheinlich beschwingten „Hey, I am the boy who loved her so in every song“ aufruft und die Band den Song klanglich öffnet; auch im erhabenen Gottesdienst ‚Real Life (Angel)‚, in dem Elbow über ‚Knocked Up‚ der Kings of Leon ein weites Melodiezelt mit weihevoll durchatmendem Finale spannen; oder aber in ‚My Sad Captains‚, einer andächtigen Schönheit von einem Song mit Unsere kleine Farm-Bläsern, der sich aber schon wieder ein wenig zu anschmiegsam und versöhnlich gibt. Gelegentlich bleibt da der Beigeschmack, dass sich die Band hinsichtlich der Arrangements (vor allem der vereinzelt auftauchenden Streicher) oftmals etwas zu sehr in eine mittlerweile standardisierte Komfortzone der allgemeinen Wertschätzung zurücklehnt – ein majestätischer Wohlklang zum darin Verlieren bleibt das elegant tiefgründig produzierte Kunstwerk (Kopfhörerpflicht!) dennoch.
Dabei funktionieren diesmal vor allem die mit der Lupe inszenierten kleinen Gesten am fulminantesten, etwa gleich zu Beginn, wenn das sanft hetzende und gleichzeitig mit sakkral-elegischer Langsamkeit entfaltende, unfassbar großartige ‚This World Blue‚ in den letzten Sekunden die Arme öffnet und ohne viel Aufsehen zu machen absolute Gänsehaut erzeugt („While three chambers of my heart beat true and strong with love for another/ The fourth, the fourth is yours forever„) und damit die Tradition beibehält, dass Elbow ihren Alben stets überragende Opener spendieren.
‚The Take Off and Landing of Everything‚ gelingt es letztendlich zwar nicht vollends das Niveau der Eingangsphase zu halten, das auch die grandios gebrochene Prog-Vorabsingle ‚Fly Boy Blue/Lunette‚ (zuerst erzählt ein maschineller Garvey entlang eines Rückblicks auf ‚Asleep in The Back‚ sein eigenes ‚I Want You (She’s So Heavy)‚, dann joggen Elbow durch geschmeidigen tänzelnden Jazz) in Aussicht stellte: weil das unschlüssig bleibende Gosple-Uhrwerk ‚Honey Sun‚ und das ohne Entwicklung den The National–Shuffle machende, kurzweilige Intermezzo ‚Colour Field‚ dezent hinter das restliche Feld zurückfallen, weil sich Elbow etwas zu sehr aufs Soundmalen anstelle des Songwritings konzentrieren.
Zündet das immensen Erwartungshaltungen standhaltende ‚The Take Off and Landing of Everything‚ erst einmal (was durchaus lange dauern kann, selbst wenn Album Nummer Sechs nicht schwieriger ist als seine Vorgänger – es muss sich aber eben an zahlreichen brillanten Alben – nicht wie gerne geschrieben „dem einen“ -messen), entfalten Elbow darauf abermals wärmende Klangwelten von beeindruckender Strahlkraft, die dem Schaffen der Engländer neue Facetten abringen, ohne es neu erfinden zu müssen. ‚The Take Off and Landing of Everything‚ wächst nach und nach zu einem weiteren akustischen Lebensbegleiter – am Scheideweg, der sich nach dem desillusionierten Scheitern für die Beziehung Garveys zwischen Aufgeben und Aufrappeln aufgetan hat.
Selbst wenn sich der unwirklich abschließende Mitternachtstanz ‚The Blanket of Night‚ eigentlich um Flüchtlingsschicksale dreht, bleibt ein anderweitig verankerter Klos im Hals zurück, wenn der Sänger aus „Carry both of us/ Carry her, carry me“ ein beherztes „Carry both of us/ Or, swallow her, swallow me“ formt. Und dennoch ist ‚The Take Off and Landing of Everything‚ keine depressive Platte geworden, weil sich Hoffnung und Zuneigung eben in vielerlei Hinsicht finden lässt: „Another sunrise with my sad captains/ With who I choose to lose my mind/ And if it’s all we only pass this way but once/ What a perfect waste of time.„
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