Elbow – Little Fictions
Mit der Lost Worker Bee-EP schienen sich Elbow in eine ungewisse Zukunft verabschiedet zu haben: Frontman Guy Garvey begann sich auf seine Solokarriere zu konzentrieren, Mark Potter gründete The Plumedores während Craig Potter sich auf seine [amazon_link id=“B01A9SO1YS“ target=“_blank“ ]erste alleinige Produktionstätigkeit[/amazon_link] konzentrierte – und Schlagzeuger und Gründungsmitglied Richard Jupp war nach beinahe 25 gemeinsamen Bandjahren bekanntlich ausgestiegen.
Etwaige Ängste über den Fortbestand der englischen Institution räumt Little Fictions nun allerdings gleich zu Beginn demonstrativ aus: Im absolut bezaubernden Opener Magnificent (She Says) arbeiten ausgerechnet die prägnanten Drums motiviert nach vorne, während die dramatischen Streicher mit lieblichen Pathos jubilieren und Garvey sein Gefühle liebenswert ausbreitet; Gentle Storm ist danach sogar noch expliziter auf ein stoisch-federndes Schlagzeug-Möbiusband gebaut und entwickelt mit seiner im Mittelpunkt verweilenden Percussionen einen um sich selbst drehenden Lovesong ohne Anfang und Ende, der die Richtung von Little Fictions vorgibt.
„Die Basis vieler Tracks sind Loops“ erklärt der auch wieder für die Produktion zuständige Craig Potter. „Das ist so ziemlich das Gegenteil von der Kurvenfahrten der letzten Platte. Ein Loop kennt überhaupt kein Ziel. […] Und es macht Spaß, mit dieser Einsicht Melodien zu entwickeln.“ Wie wichtig nun ausgerechnet der allgegenwärtige Rhythmus für das erste Album von Elbow ohne nominellen Schlagwerker im Gefüge (und einer Drummachine im Songwritingprozess) geworden ist, kann man dann durchaus als subtile Kampfansage einer Band verstehen, die sich selbst und der Welt wieder mehr beweisen möchte, als zuletzt.
Mit seinen klassich anmutigen Melodien, die nun also auf den zumeist beatlastigen, beinahe krautig zirkulierenden Grundgerüst wachsen, dazu den Erkenntnissen von personell ähnlich geprägten Neuanfängen prominenter Kollegen (wie etwa R.E.M.‚s [amazon_link id=“B00000DD54″ target=“_blank“ ]Up[/amazon_link]-Phase), sowie eben den Arbeitsmethoden von Garvey’s Debütalbum Counting the Squall vor Augen sowie Session-Schlagzeuger Alex Reeves im Rücken, entwickelt sich Little Fictions nun generell erfrischender, offener und energischer als zumindest das stilistisch so eng miteinander verbundene Doppel aus Build a Rocket Boys! und dem bedrückt-soft-proggigen The Take Off and Landing of Everything. Eine minimalistischere Orientierung lässt mehr Raum zu atmen, optimistischer in die Zukunft blicken – das Stadion ist nicht mehr die natürlichste Anlaufstelle.
Es ist zudem sicherlich auch die neu erblühte Liebe im Leben des frisch Vermählten Guy Garvey, die das gelöste Little Fictions nun unbeschwerter und luftiger klingen lässt, vor allem jedoch für leichte Verschiebungen in den Stimmungsfarben sorgt, dahinter aber trotz der kompositorischen Feinjustierungen letztendlich mehr als alles andere abermals diese Elbow-typische Handschrift praktiziert, die schwindelfrei zwischen Intimität und sparsam in die Breite gehende Opulenz schwelgt.
Weswegen Vertrautheit trotz gewisser Feinjustierungen im Sound abermals stärker forciert wird als Herausforderungen. Denn wo die Zeiten der gravierenden Charakterunterschiede zwischen den einzelnen Studioalben der Band hiermit zwar wieder um Nuancen näher kommen als jemals zuvor in diesem Jahrzehnt, ist Little Fictions freilich dennoch abermals ein selten mutiges oder gar überraschendes Werk geworden: Auch wenn Garvey vage vom Trip Hop-Album der Band spricht (und damit wegen des allgegenwärtigen Grooves keineswegs vollkommen daneben liegt), stehen Elbow eben längst auch für eine absolute Zuverlässigkeit.
Was im Umkehrschluss bedeutet, dass das in einer nur bedingt variablen Wohlfühlzone regierende Songwriting der Band voller behutsamer Melancholie und wärmender Schönheit ein weiteres Mal bedingungslos abholt und dabei so viele Momente bietet, an die man unmittelbar sein Herz verlieren darf: Nach dem unwerfenden Magnificent (She Says) streut da fürsorglich lauernde Trust the Sun in seinen filigranen, vor verhuschten Details strotzenden Korpus etwa immer wieder ein zum Niederknien schönes Piano, bevor das perlend dahinlaufende All Disco sich nachdenklich vor der Weisheit des Pixies-Boss Frank Black verneigt und wie vieles hier nur gemächlich zu seiner eigentlichen Klasse heranlässt – gerade der Mittelteil der Platte will mit seinem sensibel-hypnotischen Wesen erst nach und nach verehrt werden.
Head for Supplies verbindet seine zärtlichen Gitarren mit dem zurückgenommenen Chor des überall durchschimmernden The Hallé Orchestra so als eine Paradebeispiel in Sachen Unaufdringlichkeit. Das vertrackt groovende Firebrand & Angel funktioniert hingegen als immer wieder harmmonisch aufblühende Mediation, die sich traumwandelnd wiegend selbst in den Arm nimmt und letztendlich in einem wohligen Backgroundgesang aufgeht, während das vorsichtig-psychedelisch verschwommene K2 wie ein akribisch arrangiertes Mosaik wirkt, das die Band mit klarer Linie über die Zerbrechlichkeit schweben lässt. Die leise verklingende Miniatur Montparnasse lässt dagegen nur pure Intimität als Ziel erkennen und zieht umso nachdrücklicher in ihren melancholischen Bann. Auch das instrumental beinahe auseinanderfallen zu scheinende Kindling ist pure versöhnlich lächelndes Understatement in den prägenden weichen, warmen Farben der Platte.
Über allem steht jedoch der beinahe neunminütige Titelsong, der um einen motorischen Beat gebaut plötzlich ausgebremst wird, um seinen Refrain bedächtig pulsierend mit einer wohltemperierten Geste an flüchtiger Melodramatik zu zelebrieren. Schließlich verschweißt er beide Parts, indem er einen entrückt seine verqueren Streicher schieben lassenden Soundflächen-Krautrock-Monolith bastelt, der sich in verselbstständigender Spannung auflöst.
Dass sich selbst diese hartnäckig rhythmisch treibenden Szenen nicht prätentiös aufdrängen, ist durchaus symptomatisch für einen durch und durch warmherzigen Grower von einer Platte und dem wohltuendsten Elbow-Album seit vielen Jahren. Ein Werk, dass aus der (personellen) Not eine (stilistische) Tugend macht und sich trotz der bedenklichen Vorzeichen keineswegs wie ein markanter Einschnitt in der Geschichte der Engländer anfühlt, sondern vielmehr wie eine still keimende, so zuversichtlich wie motiviert und dezent-ambitioniert und in den nächsten Morgen gleitende Übung in Sachen tröstendem Optimismus wirkt.
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