Elbow – Audio Vertigo
Audio Vertigo stellt Bassist Pete Turner ins Rampenlicht ist tatsächlich der angekündigte Elbows Umkehrschub zur vielerorts unterschätzten, intim-introvertierten 2021er-Schönheit Flying Dream 1.
Wo nach der (wie in Trance den Rhythmus mit seinen bräsigen Bläsern als Leitmotiv auserkoren habenden, catchy und kompakt so pompös gackernd zum abschließenden Schwenk in die Lounge tänzelnden) Vorabsingle Lovers‘ Leap (und um ehrlich zu sein: auch nach den ersten drei Durchgängen von Audio Vertigo selbst) noch die Befürchtung im Raum stand, dass Elbow ihr zehntes Studioalbum als krautigen Artpop alleine vom Groove dominieren lassen, während starke Melodien sich auf den ersten Blick nur bedingt zu erkennen geben wollen – man also einen interessanteren Kurs für die Band selbst, als für den Hörer auf emotionaler Ebene eingeschlagen hat – trifft dies zwar in einem relativen Ausmaß zu, doch kann nach einer überschaubaren Kennenlernphase auch Entwarnung gegeben werden: Elbow haben auf Albumlänge die Balance von einer bisher nicht gekannten Coolness und ihrem gefühlvollen Händchen für berührende Szenen gefunden.
Wie beispielsweise Her to Earth (alleine schon durch den Sound von Bass und Drums!) der Tanzfläche nicht abgeneigt ist (und gewissermaßen wie eine konsequentere Umsetzung der Ideen von etwa Dexter & Sinister anmutet) mit distinguierten sophisti-Drama voller Grandezza aber eigentlich einen typischen Elbow-Song zur Ausgewogenheit der kontemplativen Garvey-Sehnsucht führt („We live in a troubling age/ But the world has given me arms for you/ …/ All roads lead to your door/ Since moonlight honoured our first embrace/ Stay my bonny girl, stay“), ist eine Art Neuerfindung der vertrauten Band-Ästhetik ohne ihre Basis aufzugeben.
In Things I’ve Been Telling Myself for Years injizieren Soul-Ladies den stoisch zappelnden Schüben majestätische Tiefe, Very Heaven wartet friedlich ab und lässt die Gitarren ausnahmsweise auch verträumter fließend perlen und gibt den Melodien mehr Raum, und das zurückgelehnt Knife Fight beginnt bei einem Messerkampf in Istanbul, bei dem sich letztendlich alle blutend in den Armen liegen, führt über angedeutete Weltmusik-Ansätze ebenfalls zu herzlichen Garvey-nismen: „Is it ‚cause we/ Communicate disastrously/ I want you, I love you, I need you/ What’s that supposed to mean?“
Die drei kurzen Skizzen (Where Is It?) (ein knapp 30 sekündiger Proberaum-Jam für das Intensivieren der Dynamik), Poker Face (ein halluzinogenes Groove-Intermezzo, das über eineinhalb Minuten beschwingt in Trägheit schlapft, abrupt endet, aber komplett und catchy funktioniert) und (das an der Gitarre durchatmende) Zwischenspiel Embers of Day tragen zum tollen Spielfluss und Sequencing einer ausfallfreien Platte bei, der man dann auch verzeiht, dass sie From the River in seinem latenter Disco-Vibe als gemütliche Unaufgeregtheit einen zu blassen Refrain spendiert und damit unterwältigend aus Audio Vertigo entlässt. (Dass sich vorerst keine Gänsehaut-Momente auftun, mag nichts heißen: die erkennt man bei Elbow-Werken ja erst Jahre später).
Die besten Szenen entstehen insofern jedoch, wenn Elbow die Gewichtungen der Inszenierung noch drastischer verschieben (und nicht erst hier jedem genug Auftrittsfläche bieten, denen die Engländer sonst gerne zu weit in den sentimentalen Kitsch abzurutschen drohen), sich also ganz von der Ästhetik der Platte mitreißen lassen: ein Gefühl der Freiheit und Aufbruchstimmung erzeugen, mitreißen und der eigenen Diskografie ein paar ikonische Augenblicke mehr bescheren!
Balu wummert mit brillantem Myxomatosis-Tieftöner bratend und schillernd in funkelnden 80er-Synths massiver walzend und addiert Fanfaren und Background-Chöre: so hat man Elbow noch nicht gehört! The Picture treibt mit Handclaps beinahe hektisch und nervös nach vorne, während die funkelnden Wunderland-Arrangements im Refrain ihre Kreise wie einarmige Banditen im Feuerwerk-Staunen ziehen: „There’s no love for me on this train/ There’s no cocaine in this cocaine“ eilt Garvey, lässt sich aber nicht stressen. Und wie der Bass im Chorus von Good Blood Mexico City auf einmal zu braten beginnt, um den nonchalant twistenden Pop-Twang in seiner simplen Griffigkeit zur die Endorphine tanzen lassenden Party-Ausgelassenheit in den roten Bereich dreht, wird nicht erst live Spaß machen und vom Zustand der Welt ablenken. Da zaubert die Rhythmusgruppe, wenn auch ein bisschen auf Kosten der restlichen Band-Magie – und beschert den Briten spannende Impulse, die aus der Komfortzone weniger ausbrechend, als sie ordentlich antauchend, das bereits zehnte fabelhafte Album am Stück abzuringen.
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