Earth / Black Spirituals / Don McGreevy & Rogier Smal [31.01.2015: Orpheum Extra, Graz]
Dylan Carlson hat gut lachen: ‚Primitive and Deadly‚, das achte Studioalbum seiner Band habe in einer Woche mehr Einheiten verkauft, als alle anderen Veröffentlichungen von Earth davor zusammengenommen – erzählt der 46-Jährige zumindest. Was irgendwo verdammt unglaubwürdig klingt, ist aber vielleicht ein Grund weswegen man Carlson selten so locker und gut aufgelegt wie beim ersten Graz-Gastspiel seiner Institution gesehen hat.
Eventuell liegt es ja auch an seinem neuen, grün schimmernden Anzug, den der Erfinder des Drone sich wenige Stunden zuvor in der Murmetropole für das Konzert zugelegt hat – dieser schlackert nun an einem immer dünner werdenden Männchen, das immer noch so zwielichtig aussieht, als würde er Leute in den dunklen Ecken neben Pferderennbahnen abzocken. Wie auch immer: Carlson selbst ist heute zwischen den Songs jedenfalls definitiv zu Scherzen aufgelegt, grinst über die Temperaturen auf der Bühne, lobt die Location (Sound passt wie eigentlich immer hier ohne Makel) und wirft sich sogar in rockige Metal-Posen: so locker war der Mann nicht immer unterwegs.
Und das, obwohl es auf der aktuellen Tour ein schwieriges Album seiner Band umzusetzen gilt – alleine deswegen, weil sich erst zeigen muss, wie die aktuellen Kompositionen ohne die Beteiligung von Mark Lanegan und Rabia Shaheen Qazi am Mikrofon, sowie Bret Netson und Jodie Cox an den zusätzlichen Gitarren auf der Bühne funktionieren. Bis es aber soweit ist vergeht viel Zeit: Earth entern erst kurz nach 23.15 Uhr die Bühne – und gönnen dem Publikum an diesem auf jeglichen Gesang verzichtenden Abend zuvor noch zwei Supportacts.
Dass Carlson zwischen seinen Vorbands gerne eine verbindende Prägung sieht, zeigt sich nach dem letzten Österreich-Besuch mit der Elverum & Sun-Clique Mount Eerie und Ô Paon diesmal vor allem in stilistischer Hinsicht anhand zweier Zwei-Mann-Kombos, bei denen jeweils die Schlagzeuger die Blicke auf sich ziehen.
Mit dem experimentell improvisierenden Rogier Smal hat Carlson letztes Jahr ‚Elephanto Bianco‚ aufgenommen, mittlerweile braut dieser aber mit dem Earth-Tourbassisten Don McGreevy gemeinsam ein losgelöstes Amalgam aus Dark-Americana und Freejazz-Anleihen, das wohl in etwa der Schnittmenge aus Josh T. Pearson und den Master Musicians of Bukkake nahe kommt. Das braucht zwar ein wenig Anlaufzeit um im Zusammenspiel aus apokalyptisch das Lagerfeuer abtötenden Gitarrenlinien und explosiver Schlagzeugakrobatik in Fahrt zu kommen – spätestens beim letzten der drei als Songs getarnten Rauschhandlungen entfaltet das impulsive Furiosum aber einen ungemein faszinierenden Drive. Das Ende des Sets kommt so nach knapp 25 im ungünstigsten Augenblick und ohnedies gar zu plötzlich – aber man ist auch erst im Entwicklungsprozess der ersten gemeinsamen Platte, wie Smal später erzählt. Sollte man jedenfalls definitiv auf der Rechnung behalten, dieses Duo.
Ganz im Gegensatz zu Black Spirituals. Zwar ist trotz einer klaren Verschiebung hin zum Noiserock die Grundausrichtung eine sehr ähnliche wie bei Don McGreevy und Rogier Smal zuvor, allerdings gerät das ermüdende 45 Minuten Set der beiden Oaklander zur absolut strapazierenden Geduldsprobe: wo Percussionist Marshall Trammell seine Schießbude samt Kuhglockenequipment wie ein wild gewordener Duracell-Berserker (auch deutlich kompakter, fokussierter als der Freigeist Smal) bearbeitet und nachhaltigen Eindruck schindet, bleibt es ein Geheimnis, weswegen dieser Könner dabei ausgerechnet mit dem dilettantisch wirkenden Zachary James Watkins zusammenarbeitet. Dieser entlockt seinem elektronischen Spielkasten entweder öde 0815-Dronesounds oder spielt auf seiner Gitarre geradezu absurd simple 3-Ton Melodieabfolgen (entweder auf- oder absteigend), die wohl hypnotisch gemeint sind, aber im besten Fall nach 1 Minute Repetition langweilen (oder auf zynische Art amüsieren), dazu meistens wie ein arbeitsverweigerndes Folgetonhorn mit akutem Batteriemangel klingen. Dass er dabei konzentriert an allerlei Gadgets rumbastelt schlägt sich interessanterweise in keinerlei Soundvariation nieder.
Schlimmer noch: spielt Watkins im Fokus einen „Solopart“ (willkürlich produziertes Fiepen imitiert einen Fabriksroboter ohne Inspiration), ist das auf regelrecht selbstironische Art und Weise beschämend. Als Trammel am Ende des Sets alle Arbeit geleistet hat und durchnässt bis auf die Knochen von der Bühne schleicht, hinterlässt das Gesamtpacket einen absolut unausgegorenen Eindruck. Wie so eine Kombination eigentlich funktioniert, das ließe sich deutlich besser bei Orthrelm oder Lightning Bolt nachhören – der applaudierenden Menge scheint der blamable Bandunfall allerdings durchaus gefallen zu haben.
Gar nicht polarisierend begeistert danach hingegen der Auftritt von Earth – denn bei diesem stimmt erwartungsgemäß alles – bis auf den späten Beginn vielleicht, wegen dem wohl auch ‚Rooks Across the Gate‚ aus der regulären Setlist fällt.
Ansonsten ist das superbe ‚Primitive and Deadly‚ (Platz 17 in den Heavy Pop Jahrescharts 2014) allerdings zur Gänze vertreten – den Opener macht sogar der Vinyl-Bonustrack ‚Badgers Bane‚: Carlson genießt die vielen kleinen Gitarrensprengsel in der Nummer, wie er überhaupt den Platz der fehlenden Netson und Cox gekonnt kompensiert. Am eindrucksvollsten nachzuhören im Setlistcloser ‚Torn By The Fox Of The Crescent Moon‚, den die Band mit solch einer solchen immanenten Wucht spielt, dass die Nummer endgültig zu einem nachdrücklichen Doommonster mutiert.
McGreevy am Bass steuert seinen Teil zum Gelingen bei, indem er die Saiten stets hart an der Zerreisprobe malträtiert: jedem Song wohnt so eine Urgewalt inne, für die andere Bands das doppelte Personal bräuchten. Wie brillant Earth in dieser Trio-Konstellation funktionieren lässt sich auch exzellent an ‚There Is A Serpent Coming‚ ablesen: das fehlende Knurren von Zauberstimme Mark Lanegan gerät im Druck der Performance sogar weitestgehend in Vergessenheit, während die nun freigelegten Riffschichten zusätzlich strahlen können.
Wo die Band dem aktuellen Material im Livegewand also mit der nötigen Härte und einem mitreißenden Spielwitz begegnet, sind die eingestreuten älteren Songs ohnedies bombensichere Bretter: ‚Ouroboros Is Broken‚ blickt zurück auf die Anfänge der Band; ‚The Bee Made Honey in the Lion’s Skull‚ beschwört eine Sternstunde der Earth-Geschichte und ‚Old Black‚ überstrahlt sogar nochmal alles andere, dieser Monolith über eine Katze – selbst das mächtige ‚From The Zodiacal Light‚ als Zugabe. Dass Carlson gut drauf ist, ist also kein Wunder: Die unfehlbaren Earth, sie befinden sich momentan merklich auf einem Höhenflug. Nach diesem Abend liegt gar die Vermutung in der Luft, dass Carlson vielleicht noch zu keinem Zeitpunkt mehr Freude an seiner Institution hatte.
Setlist:
Badgers Bane
Even Hell Has Its Heroes
The Bees Made Honey in the Lion’s Skull
There Is A Serpent ComingOld Black
Ouroboros is Broken
Torn by the Fox of the Crescent MoonEncore:
From the Zodiacal Light
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