Doves – Constellations for the Lonely

Um zu verstehen, warum Doves noch nie derart demonstrativ auf das Kollektiv gesetzt haben, wie auf ihrem bisher ambivalentesten – und in Summe auch bisher schwächsten – Studioalbum, muss man wohl auch die Entstehungsgeschichte von Constellations for the Lonely kennen.
Die Touren zu ihrem mitten in die Pandemie hineingeborenen, ziemlich fantastischen 2020er-Comebackalbum The Universal Want standen in einer Welt im Lockdown wenig überraschend unter keinem guten Stern. Doch auch die allgemeine Promotion der fünften Doves-Platte musste abgesagt werden, weil Jimi Goodwin mit „mental health and substance abuse issues“ zu kämpfen hatte.
Dass die restliche Band in Form der Williams-Zwillinge Jez und Jimi ihrem nominellen Frontmann für das zweite Album nach der Rückkehr angesichts dieser Umstände nun betont unter die Arme gegriffen, und das Trio den Gesang für ihr sechstes Studioalbum tja, geradezu brüderlich untereinander aufgeteilt hat, kann insofern als symbolträchtiger Ausdruck des kollektiven Zusammenhalts verstanden werden, auf dem Constellations for the Lonely erbaut wurde. Es kann aber auch als Ausgangspunkt dafür ausgemacht werden, weswegen sich selbst die Geister loyaler Fans der Briten am Ergebnis scheiden könnten.
Ein Knackpunkt lässt sich beispielsweise gleich anhand von Cold Dreaming nachvollziehen. Die von subtilst schillernden Streichern begleitete Single ist im Grunde alles, was man sich von einer archetypischen Doves-Nummer erhoffen wollen würde – die nasale quäkende Stimme von Andy bei einem seiner seltenen Auftritte am Mikrofon ist jedoch zumindest gewöhnungsbedürftig. Und die Spitze eines zweischneidigen Schwerts. Godwins vertraute Stimme hätte den maßgeschneiderten Song auf Nummer Sicher gehend nämlich zweifelsfrei in den Kanons zuverlässiger Doves-Großtaten führen können. Doch ist es gerade der ungewohnte Lead-Gesang, der ästhetisch dafür sorgt, einer gefühlt schon oft gehörten Band-Variation im kaum Überraschungen bietenden Sound eine individuelle, „neue“ Facette jenseits der die Erwartungshaltung pflichtbewusst bedienenden Komfortzone beizubringen.
Schließlich ist es zudem so, das nach dem tollen Opener (einem klassisch in melancholischer Sehnsucht aufgehenden Doves-Grower, der in seiner geduldigen Erhabenheit noch am ehesten das Zeug zum zukünftigen Klassiker auf einem ausfallfreien Album hat, das im Gegensatz zu den bisherigen Werken der Band in einer Riege aus Ohrwürmern jedoch erstaunlicherweise einfach keine wirklichen Über-Songs zu bieten hat) hinter Renegade nachfolgend gerade die Godwin-Stücke gemessen an den hohen Ansprüchen an die Gruppe eher tolle Standards darstellen.
Manchmal gelingen diese rundum überzeugend. Das psychedelisch träumende In the Butterfly House verbindet etwa rezitierenden Distanz und Radiohead‘eskes maritimes Perlen für eine eigene Identität, A Drop in the Ocean schraffiert den Baukasten mit dem Postpunk-Bass im Rahmen sowie einem trippigen Hip Hop-Beat für seine erbarmende Refrain-Hook.
Öfter jedoch schürft die Band nur solides Material. Das luftige Stupid Schemes mäandert hippiesk und Saint Teresa schunkelt herrschaftlich flanierend in einem gefälligen Plätschern. Orlando wirkt dagegen als Klavier-Ballade mit Lofi-Vintage-Vocals, die von elektronisches Ambient-Lagen besucht werden, in seiner schönen Bildsprache ziellos und unausgegoren – wie ein nicht über den Skizzen-Status hinauskommendes Warten auf Godot. Tatsächlich klingt Jimi hier und anderswo oft gedrosselt, nicht so ergreifend packend wie bisher stets, während das Songwriting wenig riskiert.
Als bandinternen Statement für Variabilität, Gemeinschaft und Inklusion ist es im Umkehrschluss stattdessen so, dass Constellations for the Lonely seine interessantesten, markantesten – paradoxerweise deswegen aber keineswegs besten – Szenen immer dann hat, wenn die Williams-Brüder nach vorne treten.
Diese Ambivalenz durchzieht Constellations for the Lonely stetig. Das von Andy intonierte Last Year’s Man schunkelt mit sentimentaler, fast kitschiger Blade Runner-Patina zu sinfonischen Electric Soft Parade-Assoziationen samt anachronistischer Mundharmonika, in Strange Weather kanalisiert Jez dagegen seinen inneren Bono und döst angenehm auf einem Acoustic-Schwelgen zu MGMT-Vibes samt latenter Opulenz. Dass die Grenze zwischen aus der Not gemachten Tugend und Notlösung nie überschritten wird, ist grundlegend der immer noch unerschütterlichen Klasse der Briten zuzuschreiben.
Dies alles kommt dann im Closer Southern Bell auch vielversprechend zusammen, bei dem sich Jez und Jimi gegenseitig an der Hand nehmen, dem Aufbau viel Zeit lassen, um „the last chapter in our story“ zu beschwören: „Are these our last days?/ It takes strength/ And courage just to die this way/ And you’ll never be alone again/ Now you’re here with me my friend/ By facing the desert sun/ And we’ll go on/ We’ll go on forever.“ Symptomatisch allerdings, dass die Band ein Szenario, das epische Gänsehaut erzeugen müsste, diesmal nur in Aussicht stellt, und das Geschehen stattdessen auf frustrierende Weise kurzerhand sehr abrupt wieder abwürgt.
Damit könnten sich andere Bands sicher brüsten. Für ein Kaliber wie Doves führt dies aber zu einer mittelprächtigen Enttäuschung: Als Resultat der Umstände erledigt Constellations for the Lonely einen souveränen Job, indem es die Bandbreite der Band gekonnt erweitert. Beim Bedienen der eigentlichen Kernkompetenzen zeigt es jedoch bisher ungekannte Schwächen.
Kommentieren