Disappears – Pre Language
Disappears bleiben beim konzeptuellen Überbau – entgegen erster Vermutungen darf diesmal nicht die Coolness, sondern die Liebe als Leitmotiv die stoischen Rhythmuswüsten der Jungs aus Chicago dirigieren. Und einen neuen Mann für die Felle haben sie außerdem gefunden.
Der Oktober 2011 hat dem Glauben an das Gute im Indierock erschüttert: Thurston Moore und Kim Gordon gaben nach 27 Jahren Ehe ihre Trennung bekannt und plötzlich war nichts mehr so fix wie man das immer annahm, weil nicht einmal mehr das Weiterbestehen Sonic Youth sicher ist. Mittlerweile liegt die Band laut Lee Ranaldo jedenfalls auf Eis. Was die Geschichte der New Yorker Institution mit dem dritten Album von Disappears zu tun hat, ist in diesem Zusammenhang eine naheliegende Frage und diese findet ihre Antwort nicht mehr nur in Sound und Ästhetik der Chicagoer Truppe um Ex 90 Day Men Brian Case, sondern auch am Schemmel hinter dem Schlagwerk: Steve Shelley hat sich noch vor dem Moore/Gordon Crash nach einem adäquaten Zweitjob umgesehen und Graeme Gibson als Disappears Rhythmusmaschine nach dem letztjährigen ‚Glider‘ beerbt.
Das klanglichen Erscheinungsbild der Band hat der prominente Ersatzmann weitestgehend unberührt gelassen. Immer noch ist das ungemein stoisch inszenierter Rock, karg im Klang und düster im Auftreten. Dieser hat sich vollends dem Rhythmus verschrieben, lässt Melodien weitestgehend außen vor und presst lieber drückend im Takt, lässt den Kopf nicken und auch Nichtraucher zur Zigarette greifen. Bass und Schlagzeug drängeln gleichermaßen massiv in den Vordergrund, die Gitarre kann sich selten so dominant wie im wunderbaren Titelsong freilaufen und wird zum psychedelischen Akkordspender, flächig über dem Beatgerüst treibend, selten konkrete Hacken schlagend. Sänger Brian Case skandiert seine Texte über Liebe und Leidenschaft immer noch so, als müssen Parolen aus dem dunkelsten Eck des Kellers gerufen werden. In dunklen Hinterzimmern tanzt man dazu in Zeitlupe und redet über Gang of Four und Punk. Der Stoner Rock hat seinen Weg in die Urbanität gefunden, ist nicht mehr nur Wüstensache sondern palavert mit Shoegaze um die expressionistischsten Jamausflüge.
Die dann auf ‚Pre Language‚ außen vor bleiben. Bei 9 Songs in 36 Minuten überschreitet keiner die 6 Minuten Marke, obwohl hier Exaltiertheit und Maßlosigkeit geradezu angebracht werden. Die Sau wird nicht rausgelassen, der Noise bleibt hinter zurückgenommenen Understatement zurück. Nicht selten wirken die Songs deswegen bloß wie ein stimmungsvoller aber dünner Teaser auf die Live Band Disappears, wo dieses mit jedem dazugeschaltenen Dezibel wachsende Rhythmusgerüst übertönen dürfte, dass es der Band nicht an unheimlich „coolen“ Songs mangelt, sehr wohl aber an wirklich konstant guten Kompositionen jenseits der einen guten Idee. Unschwer auszumalen, was etwa aus ‚All Gone White‚ werden hätte können, würden Disappears ihre Alben nicht im Jahrestakt raushauen. Stimmungsvoll und zu gleichförmig schließen sich nämlich nicht unbedingt gegenseitig aus und der Handgriff zu den Secret Machines Alben ist doch noch der naheliegendere. Auch, wenn die keine so schöne Reminiszenz an den Mittelteil von ‚Wasted Days‚ via ‚Replicate‚ parat haben – was dann aber auch nur Zufall sein kann.
Zumindest auf Platte fehlt Disappears jedoch der letztendliche Druck, das Quäntchen, welches Disappears zu mehr als dem stilvollen Soundtrack einer versifften Nacht macht. Dort aber immer wieder gerne.
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