Dirty Beaches – Drifters / Love Is The Devil

von am 24. Juni 2013 in Album, Heavy Rotation

Dirty Beaches – Drifters / Love Is The Devil

Alex Zhang Hungtai hat den Lost Highway verlassen der ihn auf ‚Badlands‚ so erfolgreich auf heimgesuchte Nostalgie-Strände und verlassene Surf-Buchten geführt hat und driftet mit dem Doppelschlag ‚Drifters / Love Is The Devil‚ lieber vollends in sein eigenes Universum ab.

Dass der globale Nomade dabei einige seiner mit dem zugänglichen Vorgänger gewonnenen Hörer verschrecken und eventuell auch verlieren wird, dafür sorgt alleine die auf den Erstkontakt hin förmlich erschlagende Masse an Sounds, Ansätzen, Ideen, eben der daraus resultierenden Songs, die hinter dem Schleier der rohen Unproduziertheit letztendlich stattfinden; in einem ureigenen Sog, einem nahtlosen, atmosphärisch beklemmend dichten Rausch den ‚Drifters / Love Is The Devil‚ in Summe entfaltet.
Die minimalistischen Nostalgie-Figuren aus retroschicken Surfmomenten, 50s-Rock und verhältnismäßig poppigen Motiven, die Dirty Beaches vor zwei Jahren auf ‚Badlands‚ noch als trendige Haltepunkte dienten, sie sind auf ‚Drifters / Love Is The Devil‚ beinahe vollständig gewichen. Was damals als potentielles Hit-Mixtape eines in der Melancholie-darbendem Twin Peaks-Jugendlichen durchgehen hätte können, verschiebt sich vor allem auf der ersten Häfte der Veröffentlichung weiter hin zur Kunstinstallation, zum Spagat zwischen klaustrophobisch abgedunkeltem Schlafzimmer und deprimierender Galerie am Abgrund: nein, so leicht wie auf ‚Badlands‚ macht es Hungtai mit diesem Doppelbrocken niemandem, vor allem nicht sich selbst.

Dabei führt der 33 jährige vor allem auf der ersten Platte seiner (je nach Zählweise) fünften Albumveröffentlichung eine beachtliche Vielseitigkeit vor, zelebriert eine Reise ohne Nahtstellen über stilistische Grenzen, assimiliert Ahnungen von Genres in seine gewohnt spartanischen Lo-Fi-Welt, die konkrete Strukturen zu überwinden versucht. Dennoch verzichtet Hungtwai Eingangs nicht auf eine gewisse Griffigkeit, es begegnen auf ‚Drifters‚ ohne Bruch durch den Suicide-Filter gejagte Garage-Entschleunigungen aus der Drum-Maschine (‚Night Walk‚) und vage Country-Ansätze im Blues (‚I Dream in Neon‚), ausgehungerte Keyboardlinien formulieren über simpelste Beats abgründige Cold Wave-Melodien (‚ELLI‚) und irgendwie ist das alles diesmal eklatant an einer nebulösen Erinnerung an den Pop der 80er geschult (‚Casino Lisboa‚) ohne ihn wiederholen zu wollen. Am Ende zimmern Hungtai und seine Kompagnons – Gitarrist Shub Roy und Electronic Künstler Bernardino Femminielli – gar fiebrig pulsierende Stammestänze und legen den sonst allgegenwärtigen Delay-Schleier zugunsten einer archaischen Impulsivität ab (‚Aurevoir Mon Visage‚) und schälen bisweilen primitive, brutale, spartanische Industriallemente aus dem beschwörenden Klangkokon (‚Mirage Hell‚), bevor eigentlich bereits ‚Landscapes in the Mist‚ (mit Saxophonist Francesco De Gallo und Drummer  Jesse Locke auf der Gästeliste) als tröpfelndes Jazz-Experiment die überragende zweite Hälfte, ‚Love is the Devil‚, einleitet.

Auf eben der sich das Schaffen von Dirty Beaches noch schwerer fassen lässt, konturloser wird, mit Ausnahme der betörend verloren perlenden Beinahe-Ballade ‚Like the Ocean We Part‚ rein instrumental (sowie auf Keyboard und Gitarre beschränkt – unglaublich, da sich so viele andere Ursprünge festmachen lassen wollen!) zwischen unwirklichen, ambienten Soundscpapes pendelt. Erst hier schwingt sich Hungtai als behutsamer Maler und sorgsamer Arrangeur tatsächlich zu imposanter Stärke auf, formuliert mit Tönen intuitive Emotionen noch vor der retrolastigen Stilsicherheit im klassischen Songwritingversuch von ‚Drifters‚ – die aber andere Lo-Fi-Künstler wie Daughn Gibson (oder Hungtai selbst – auf ‚Badlands‚) abseits der stimmigen Inszenierung doch ein wenig stärker zustande bringen.
Auf ‚Love is the Devil‚ aber strahlen Dirty Beaches förmlich in tonalen Gebilden zwischen William Basinski, dem Killimanjaro Darkjazz Esemble/Mount Fuji Doomjaaz Corporation und Phil Elverums Mount Eerie, Hungtai lässt das Kopfkino durch einsame Nächte wandern, durch unendliche Landschaften schweben.

So begegnen hier nach weitläufigen Streicherelegien samt Dosenchor klingende Odysseen (‚I Don’t Know How To Find My Way Back To You‚), sanfte Klavieranschläge kommunizieren mit modifizierten Maschinen (‚Woman‚), gemächliche Schönheit hat alle nachdenkliche Zeit der Welt (schier atemberaubend: ‚Alone At The Danube River‘) und über all den düsteren Visionen liegen gespenstische Nebelschwaden.
Es entsteht schleichend ohne den Drang Haltepunkte bieten zu müssen eine eigentümliche Intimität (die das tolle ‚Drifters‚ derart nicht erreicht), bisweilen eine nahezu magische Eindringlichkeit. Die Abnabelung vom in einschlägigen Szenekreisen dankbar gehypten ‚Badlands‚ hin zu den noch experimentelleren Ausläufern der beinahe unübersichtlichen Discographie des taiwanesischen Kanadiers gelingt so vor allem in der sukzessiven zweiten Hälfte überwältigend und öffnet dem ohnedies bereits so schwer auszurechnende Projekt Dirty Beaches offenbar zusätzliche Tore der Wahrnehmung: „I’m not really a musician I just have ideas“ sagt Hungtai über sich selbst, wohin der Weg ihn führen wird weiß deswegen niemand, nicht einmal er selbst – Dance-Platten stehen ebenso in Aussicht wie explizite Dance-Ausflüge. Dass ‚Love Is The Devil‚ der Monolith bleiben könnte, für den man sich zukünftig an Dirty Beaches in erster Linie erinnern wird scheint allerdings bereits jetzt durchaus möglich.

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