Die Nerven, Vague [19.11.2015: Postgarage, Graz]
Schwer zu sagen, ob die Songs vom aktuellen Studioalbum ‚Out‚ auf der Bühne tatsächlich noch einmal soviel stärker zünden als auf Platte, oder ob die Konzerte der Nerven einfach immer besser werden. So oder so gilt jedenfalls: auf dem Livesektor kann dem Stuttgarter Trio momentan einfach kaum jemand das Wasser reichen.
Dass Die Nerven sich über die Jahre konsequent in ihre eigene Liga gespielt haben, lässt sich dann auch gleich anhand des Supportacts festhalten. Dabei machen schon die betont unmodisch gekleideten und zeitlos musizierenden Vague aus Wien im Grunde wenig falsch. Ihr mit drei Gitarren (von denen man nicht jede aus dem Soundbild herausdifferenzieren kann) ausufernder „New Wave Psych – Pop Post-Rock“ lehnt sich angenehm in seinen steten Ryhtmus und pendelt gekonnt zwischen Slacker- und Indietum ein. Was dann ein wenig so klingt, als würde Kurt Vile sich als Sänger von Sonic Youth ausprobieren, oder Joy Division sich gemeinsam mit Real Estate in die 90er träumen. Mehr oder minder. Handfeste Hooks erscheinen da jedenfalls nebensächlich, der ausfransende Fluss steht über allem, konkrete Melodien werden im brüderlich geteilten Wechselgesang (ohnedies mehr ein zusätzliches Instrument, die Stimmen) wie zufällig gestreift, das leichtgängige Songwriting perlt ohne Zwang.
Das ist durchaus stimmungsvoll, muss sich über die Dauer von knapp 40 Minuten aber doch auch den Vorwurf gefallen lassen immer wieder etwas zu beliebig zu plätschern, etwaigen Ausbrüchen zu kontrolliert zu begegnen und den wirklichen Höhepunkten gar zu zwanglos hinterherzulaufen. Dennoch ist das grundsätzlich mehr als nur charmant. Und hatte man das Quintett bisher noch nicht auf der Liste, stehen die Veröffentlichungen der Band nach dieser souverän nach Hause gespielten Aufwärmrunde definitiv drauf.
Wie das hingegen mit der explosiven Impulsivität und überbordenden Energieschüben, überhaupt der rauschhaften Kurzweiligkeit nahe an der Perfektion an sich geht, das kann man dann eben im direkten Vergleich mit den nachfolgenden Nerven nachhören. Dabei dehnt das Trio aus Stuttgart seine Songs mittlerweile bei Gelegenheit schon mal zu gar nicht mehr enden wollenden Jam-Gelagen aus, zelebriert Repetitionen mitunter auch regelrecht krautrockend und schrammt bisweilen gar an jazzigen Parts vorbei – nur um die Zügel dann innerhalb von Sekundenbruchteilen plötzlich doch wieder enger zu ziehen, hin zum kakophonischen Exzess abzielend aufs rotzige Gaspedal zu treten, bis man mitten drinnen im atemlos hetzenden Punk steht, der Noise die Gehörgänge genüsslich geißelt. Ein Wechselbad, dem einerseits die dynamischer auf eine breitere Basis gebauten Songs von ‚Out‚ zu Gute kommen, (ein ‚Die Unschuld in Person‚ reiht sich etwa zudem nahtlos in das wilde Potpourri der bisherigen Discographie, ‚Barfuß durch die Scherben‚ groovt nicht nur noch bedingungsloser, sondern legt seine distanzierte Kühle auch zugunsten einer sich verselbstständigenden Unmittelbarkeit ab), andererseits ist das Timing der Band seit ihrem letzten Graz-Besuch gefühltermaßen noch tighter geworden.
Die Nerven sind exzellent aufeinander eingespielt, treiben sich mit fiebriger Energie gegenseitig voran: Bassist Knoth blickt grimmig ins Publikum, tänzelt dann wieder in obskuren Ballett-Moves, wandelt mühelos zwischen beängstigend blickender Drohgebärde und geschmeidigem Ausdruckstanz; Rieger wirkt dagegen beherrscht enthusiastisch, spaltet seine Gitarrenarbeit noch rauer und dissonanter auf als auf Platte, korrigiert als Soundperfektionist dazu immer wieder die Mikrofoneinstellungen von Kuhn, dessen unbändiges Schlagzeugspiel vielleicht bestmöglich die fast manische Spielwut der Band in optische Gesten übersetzt: ein bisschen muss man da an das Animal der Muppets denken, wie der längst unersetzlich wirkende Quasi-Bandneuling die Songs energisch anpeitscht, sie versiert mit knisternder Spannung auflädt, dies aber mit einer humoristischen Unangestrengtheit tut, Zeit für frotzelnde Kommentare hat und beinahe jede Zeile mitsingt, während er manische Grimassen zieht. Kurzum: Sichtlich seinen Spaß daran hat, die an sich todernst herausgehauenen Songs noch ein wenig weiter herauszufordern. Die unverrückbare Bühnenpräsenz, die diese drei Typen ausstrahlen – nicht nur ihres Alters wegen absolut beachtlich.
Zusammen ergibt das zudem die gefährlich faszinierende, natürlich auch ambivalent beißende Ausstrahlung, die Die Nerven im Livegewand noch ungefilterter transportieren. Eine rebellische, unangepasste Attitüde ist das, die den Hörer komplizenhaft ins Vertrauen zieht, aber stets den Mittelfinger parat hat, ein einladender Nihilismus, der die Außenwirkung seines Fuck-You-Images längst optimiert hat. Hinter der grundsätzlichen Freundlichkeit der Band kocht da dieser wütende Hang zur dezitierten Ungemütlichkeit, den es so präzise auf den Punkt gespielt derzeit kaum eine andere deutsche Band zu artikulieren schafft. Die mitunter demonstrative Lethargie der Studioalben schärft mit dem sofort zum Publikum überspringenden Funken zusätzlich den Fokus für die aggressive und angepisste Schlagseite der Songs, die ansteckende Intensität kulminiert beim begeisterten Publikum in immer wieder ausbrechenden Mosh-Momenten, stillstehen gibt es praktisch nicht.
Im konsequent durchgezogenen Moment der Stille während ‚Der letzte Tanzende‚ kann sich der eine oder andere leidlich kreative Besucher deswegen auch knappe Wortmeldungen (von der originellen Güteklasse eines „Stuttgart!“ oder „21!„) anfangs nicht verkneifen – ernste Blicke der Band strafen derartiges Verhalten jedoch ab. Freilich nur, um bei der Einkehr der absoluten Ruhe das zwanghaft folgende, natürlich eskalierende Lärminferno umso krachender auf das Publikum im gut gefüllten 2nd Floor der Postgarage lospreschen zu lassen. Mit dem abschließenden ‚Angst‚ wird noch ein definitives Statement in Sachen Kompaktheit und Dringlichkeit abgegeben, bevor die Band nach knapp einer Stunde zu Feedbackrückkoppelungen verschwindet und einen Abend beendet, der wie ein glückselig ausgelassener Tanz über ein Minenfeld anmutet – der die gerne bemühten Superlative rund um Die Nerven zudem kaum zum verstummen bringen wird.
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