Diät – Positive Disintegration
Berlin bleibt das ideale Pflaster für Diät, um in der Vergangenheit zu leben: Auch Positive Integration revitalisiert den Geist klassischer Postpunk-Ikonen als dunkles Kaleidoskop.
Das Erbe von Killing Joke, Wire, PIL oder den Sisters of Mercy war bereits essentieller Bestandteil der DNA des 2015 erschienen, aber nach späten 70ern und frühen 80ern klingenden Debüts Positive Energy des australisch/deutschen Quartetts, dass sich seinen eklektischen Einflüssen nicht nur wegen der ausgemergelteren – wirklich herrlich transzendental in den Bann ziehenden – Anti-Produktion weniger bekömmlich aufbereiteten, als etwa Protomartyr, Preoccupations oder Criminal Body dies in einem breiteren Indie-Rampenlicht tun. Diät sind ästhetisch näher bei ihren asketischen Labelkollegen Total Control, indem sie ihren eigenständigen Charakter im assoziativen Amalgam über ein schroff skizziertes Songwriting und eine von Verweigerungshaltungen geprägten Attitüde definieren, absolute Atmosphäre-Maschinen sind.
Dass das Zweitwerk Positive Disintegration in dieser Ausrichtung von der Band selbst als „companion piece“ zum Debüt verortet wird, macht aufgrund des nahtlos weiterverfolgten Sounds nun durchaus Sinn, lässt dann aber außen vor, dass Diät ihr Spektrum in den vergangenen vier Jahren wenn schon nicht erweitert, dann aber zumindest dessen nihilistisches Ambiente doch differenzierter zu inszenieren verstehen.
Gleich der Opener We zieht so unmittelbar in die Welt der Band, kühl, aber nicht trocken. Wie ein abgedämpft aus einer Parallelwelt kommendes Mantra entfaltet sich der hypnotische Opener dystopisch aber einladend, rezitiert in hallenden Schwaden zur stoischen Ryhtmusarbeit, die mit aufbegehrenden Gitarrenschichten überwältigen will, den Chorus enger zieht und aufbaut, jedoch gespenstisch bleibt. Das folgende Foreign Policy lässt die Gitarren dagegen mit Punk-Spirit quietschen und poltert, gibt sich angriffslustig, und W.I.G.T.D.W.M? wächst aus dem programmierten Suicide-Beat in eine Synth-Dramatik, die die Editors niemals so entschlackt zelebrieren würden – Diät schielen dagegen ohne jeden Pathos auf die Tanzfläche, bleiben skelettiert.
Die Farben, welche die Band dabei stets benutzt, wirken weniger durch mehrmaliges Fotokopieren ausgebleicht, als vielmehr wie vergilbte Erinnerungen aus der rohen Zeitkapsel – und die dabei erzeugte beklemmend-anziehende Ausstrahlung ist durchwegs faszinierend. Egal ob Diät also wie in Disintegrate minimalistisch bis auf eine nachdenklich-getriebene Gitarrenlinie reduziert vorgehen und trotzdem – oder gerade deswegen – die imaginative Tiefe traumwandelnd dicht erzeugen, oder Dogshit seine Feedback-Ambient-Miditation Richtung Ought im Noiserock-Albtraum antaucht; egal ob die quirligen Gitarren Only My Own ein poppigeres Gefühl verleihen und die zwingender ausgelegten Konturen ein Aushängeschild der Platte haben, oder Missed the Bus melancholisch lauernd einen verbrüdernd mehrstimmiger Gesang auffährt, bevor der Closer Opfer Spannungen über ein angriffslustigeres Riffing aufbaut, aber zu abrupt verpufft und ein wenig irritiert entlässt.
Durchaus symptomatisch für das gesamte Wesen von Positive Disintegration. Diät haben ihre Hausaufgaben als Retro-Zeitkapsel schließlich gemacht, wirken in letzter Konsequenz jedoch kaum sgänzlich greifbar. Jedes zwingende Element scheint nur in Aussicht gestellt, wird aber niemals wirklich erreicht – stets entzieht sich die Band griffigen Strukturen, Mustern und Reibungspunkten.
Was gleichzeitig frustrieren kann, wie es auch den Reiz einer unergründlichen Platte ausmacht, deren Stimmung über allem steht.
Schlüssigerweise entsagen Diät (deren Bandcamp sich in Verbindung mit einem eigentlich ideal zur kasteienden Musik passenden Bandnamen fast schon absurd ergoogeln will) auch weiterhin der medialen Präsenz und sozialen Netzwerken, forcieren im digitalen Zeitalter eine zeitlich entrückte Mystik, die in der Attitüde an der Roster von Sacred Bones denken lässt, sich aber lieber als Geheimtipp für Eingeweihte wohlfühlt, als die Szene in Furore zu versetzen. Eine Freiheit, die man sich mit einer derart verinnerlichen Ästhetik durchaus gönnen kann – immerhin bleibt das Trumpfass von Diät auch auf dem Zweitwerk schlichtweg: Pure Authentizität!
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