dEUS – Following Sea
Wie passt es zusammen, dass eine Band, die ansonsten zwischen drei und sechs Jahren an neuer Musik werkelt, plötzlich und ohne im Vorfeld ein Wort darüber zu verlieren, nur neun Monate nach der letzten Veröffentlichung ein komplettes Album raushaut?
Mastermind Tom Barman und seine mittlerweile auch schon seit acht Jahren besetzungskonstanten Deus 2.0 zeigen: Außerordentlich gut – wenn auch mit minimalen Macken des Schnellschusses, der ‚Following Sea‚ letztendlich doch auch geworden ist, im positiven wie auch negativen Sinne. So strahlt die Platte eine ungemein charmante Spontanität und zwanglose Unbekümmertheit aus, kann jedoch die Begeisterung seiner gelungensten Momente nicht konsequent halten, die aufgereihten Songs entpuppen sich in ambivalenter Konsistenz sogar gewissermaßen als kleiner Bruder des vier Jahre alten ‚Vantage Point‚, was angesichts der Entstehungsgeschichte von ‚Following Sea‚ dann doch überrascht: Aufgenommen während der Aufnahmen zur überraschend gelungenen Diskographiereanimation ‚Keep You Close‚ platziert sich das ursprünglich als Zweifach-EP ausgelegte Werk als gefühltes fünftes Studioalbum in der theoretischen Verankerung zwischen 2008 und 2011. Ist aber praktisch freilich nicht so, weil ‚Following Sea‚ am 01. Juni 2012 aus dem Hinterhalt auf Platz 1 der iTunes-Charts in Belgien schießt und auf seinem Weg dorthin Plattenfirma, Promoabteilung und Versandhäuser überrumpelt hat.
Soviel Spontanität kennt man von den akribisch arbeitenden Belgiern eigentlich kaum, warum also bei der Gelegenheit nicht auch die Erwartungshaltungen gleich zu Beginn ein wenig durch die Mangel drehen? ‚Quatre Mains‚ rückt deswegen als erste Single markant und unvermittelt aus dem Zehnerblock, lässt Tom Barman mit verruchtem Bariton zu dramatischen Streichern den Serge Gainsbourg mit Rockgeste geben: der rein französischsprachige Gesang allein lässt den Opener aus dem Gesamtbild ausreißen und verdeckt dabei die Wahrheit, dass da musikalisch nicht so viel anders ist als man meinen möchte. Dennoch ist ‚Quatre Mains‚ nicht der exemplarischer Ausblick für das folgende Sammelbecken an wildwuchernden Songs, nicht in seiner ansatzweisen Exotik und nicht in seiner brodelnden Noir-Stimung. Was folgt, skizziert Barman stattdessen in vielen Panoramen, etwa als kettenrauchenden Barcrooner oder als sprechsingenden Eisblock; ‚Following Sea‚ streift hier eine hemdsärmelige Popband im Smoking, die herzerwärmende Momente ausstreut und fokussiert dort auf die brückenbauende Rockband in der Elektronikliaison mit unterkühlten Grooves. Wo ‚Keep you Close‚ den melodiesamen Bogen zurück zum meisterlichen Konsensrock von ‚The Ideal Crash‚ spannte und dabei ‚Pocket Revolution‚ und ‚Vantage Point‚ von oben betrachtete, werden die beiden Stiefkinder der Discographie diesmal nicht nur in die Referenzliste miteinbezogen, sondern mehr noch: ‚Following Sea‚ bündelt die Tugenden der jüngeren Bandgeschichte wie es die Kauzigkeit der Anfangsphase zumindest als leise Ahnung über den Kompositionen schweben lässt.
So schäkern dEUS auf ‚Following Sea‚ am nachhaltigsten mit stark rhythmuslastigen Songs, die sich als weitaus kauziger und schräger verstellen, als sie letztendlich sind: ‚Girls Keep Drinking‚ pulsiert in Schräglage zu auf- und abkletternden Bratgitarren, ‚Hidden Wounds‚ macht die stylischsten Nachrichten der Indiewelt und ‚The Soft Fall‚ bremst sich in seiner überschwänglichen Grundeuphorie trotz ekstatischer Untergrundstreichern selbst ein. Drei grundverschiedene Auslegungen im Schmelztiegels von gitarrenlastigem Poprock sind das, mit selben Ziel und zugespitzten Hymnenandeutungen in der formvollendeten Refrainkunst – und dennoch überschattet von den zwei wahren Glanztaten der Platte: ‚Sirens‚ ist der frühe Geniestreich, ein percussionlastiger Melodiereigen, der Popmusik aus der dEUS-Perspektive betrachtet und einen verschnupft klingenden Barman in wunderbar entspannter Atmosphäre auf die nie kommende Steel-Drum warten lässt; ‚Nothings‚ hingegen adelt sich als das unscheinbar reduzierte Herzstück der Platte, dass in zweieinhalb Minuten aus relativ wenig verdammt viel erschafft.
Dass dann gegen Ende der Platte die schrullig-dichte Atmosphäre zugunsten der großen Melodien deutlich in den Vordergrund tritt, macht ‚Following Sea‚ hintenraus nicht unbedingt besser, allerdings eben auch nicht weniger sympathisch – zelebrieren dEUS doch einmal mehr nicht unbedingt das, was sie am besten können, aber ausschließlich das, worauf sie Lust haben. Diesmal eben auch Veröffentlichungstechnisch auf eine Art und Weise, wie nur sie es wollen. Mit ‚Following Sea‚ bleiben die Belgier damit trotz etablierter Songwritingkunst aus dem Hinterhalt unberechenbar.
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