Depeche Mode – Spirit
Die Frage, wo denn nun die Revolution sei, lassen Depeche Mode nach einer langweiligen Vorabsingle auch im weiteren Verlauf von Spirit offen. Abseits davon versuchen sich Gore, Gahan und Fletcher in der andauernden Schwächephase ihrer Karriere für ihr mittlerweile vierzehntes Studioalbum allerdings routiniert auf gegebene Stärken und eine neu fokussierte Politisierung zu verlassen.
Zwar waren Depeche Mode spätestens mit dem zutiefst eklektischen Selbszitat Delta Machine in einer kreativen Sackgasse angekommen, zu der man als Hörer nur selten bewusst zurückkehrte, doch hat sich der ambivalente Vorgänger entlang eines überzeugenden Beginns sowie dem souverän nach Hause gespielten Finale rückblickend durchaus solide gemacht.
Man kann Martin L. Gore, Dave Gahan und Andy Fletcher insofern trotz der Talfahrt mit der unter IDM- und Techno-Vorlieben scheiternden Pseudo-Klangfetisch-Egalität Sounds of the Universe im Grunde nur bedingt vorwerfen, zu lange an Ben Hillier als Produzenten festgehalten zu haben. Immerhin schien der auf Indie-Größen wie Elbow, Blur oder Doves spezialisierte Engländer trotz einiger fragwürdiger produktionstechnischer Entscheidungen nicht nur verstanden zu haben, wie Gahan’s Blues-Interesse mit dem langsam weniger poppig werdenden Synthiepop von Gore verbunden werden wollte, sondern auch, dass selbst Banalitäten facettenreich und selbstbewusst inszeniert werden konnten.
Ganz abgesehen davon war da natürlich auch der Umstand, dass Depeche Mode durch die Zusammenarbeit mit Hillier (man kann auch sagen: trotz seines Mixes!) mit Playing With Angels zudem ein gerne übersehenes Glanzstück ihrer Discografie ablieferten. Wie man mittlerweile leider weiß: Die bis heute letzte durchwegs überzeugende Platte der Institution Depeche Mode.
Denn Hilier hin oder her: Weniger gravierend als der produktionstechnische Sound ist längst die Erkenntnis, dass das Songwriting der Band vor 12 Jahren noch von einem gänzlich anderen Kaliber war, als es das heute ist. Nachhören lässt sich dies nach den beiden mediokren Vorgängern in etwas gefälligerer Form nun abermals auf Spirit.
Gore und Gahan liefern nämlich auch 2017 Kompositionen, die mit detaillierten Fiepen und akribischen Elektro-Brutzeln tatsächlich geniale Melodien, erinnerungswürdige Hooks oder feine Arrangements aufzuwiegen versuchen, während Gahans auf Nostalgie-Ebene immer noch anstandslos greifende, dominanter in Szene gesetzte Stimme (ungeachtet der weiterhin beschämend simpel reimenden Lyrics) so manche Gore’sche Songskizze zusammenhalten muss.
Man kennt diesen Modus Operandi mittlerweile, Depeche Mode haben sich diesbezüglich nicht unbedingt aus der Sackgasse bewegt. Zu vieles auf Spirit dümpelt also erwartungsgemäß uninspiriert und selbstreferentiell. Die Frage – was, außer Hits und großen, den Gesten und Arenen entsprechenden Refrains, könnte der Kunde hören wollen? – schwebt auch über Spirit. Die zeitpolitisch direktesten Texte der Band bisher versuchen eine Antwort zu geben und für Relevanz zu sorgen, wo ansonsten weitestgehend gemütliches Business as usual herrscht.
Der Umschwung hin zu Simian Mobile Disco-Lenker James Ford (seines Zeichens Teil eines vieles schuldig bleibender Dancerock-Hypes, New Rave-Förderer und natürlich Arctic Monkeys-Spezi) als Produzent hätte dabei der markante Schritt sein können, um dem zuletzt arg in die Beliebigkeit abdriftenden Schaffen von Depeche Mode neue Impulse zu versetzen. Doch bleibt sein Einfluss überschaubar, höchstens zwischen den Zeilen als sanfter Umschwung spürbar. Er mindert die finstere Wucht von Delta Machine ein wenig zugunsten einer leichteren Eingängigkeit, verleiht Spirit einen Kraftwerk‚esken Drive, ermöglicht ein größeres Einzugsgebiet der internen Einflüsse und forciert mit gebremsten Tempo die allgemeine Elegie gekonnt.
Eventuell, weil die Band und auch Ford verstanden hat: Wenn die Songs an sich schwächeln, müssen sie zumindest auf atmosphärischer Ebene funktionieren. Und hier liefert Spirit – obgleich phasenweise an der Langeweile entlangschrammend – doch relativ zuverlässig ab.
Im dystopisch-funkelnden, retrofuturistisch frischen Klanggerüst der Platte fügt sich so nicht nur auch Where’s the Revolution deutlich stimmiger in den Kontext ein, auch vermeintlich leere Kompositions-Hüllen wachsen nach und nach, da Depeche Mode neben ihrer grundsätzlichen Klasse und Grandezza eben auch charismatisch genug in ihren Bann ziehen, um Spirit routiniert durchzulaufend abzuspulen.
Die große Leistung von Spirit ist es vielleicht ohnedies weniger, mit dem großartig sinister stampfenden, unterkühlt köchelnd und beschwörend stampfenden Opener Going Backwards einen der stärksten Depeche Mode-Opener dieses Jahrhunderts aufzufahren, sondern danach auch frustrierende Unausgegorenheiten stets mit viel Stil und Gefühl in Szene zu setzen, bis eine gewisse Zufriedenheit den Kunden beruhigt.
Die verblassende Melancholie-Skizze The Worst Crime perlt etwa mit bluesiger Gitarre melancholisch zwischen den dramatisch angedeuteten Synthies, bleibt jedoch wie vieles hier vage. Das ätherische You Move pumpt andächtig in die Ziellosigkeit und das sphärische Cover Me sucht seine Visionen im Krautrock. Poison Heart schrammt catchy an der harten Dramatik vorbei, So Much Love zeigt einen angenehmen Zug über seine minimalistischen Grundstrukturen – inklusive auffällig stumpf-dilletantischen Beat – und kaschiert damit ziemlich gut seine unverbindliche Eindimensionalität. Das lethargisch im Kreis drehende Poormon wiederum skizziert mit digitalisiertem Western-Flair, was Gahan mit den so stark abfärbenden Soulsaver besser zustande bringt, und das kristalline No More (This Is The Last Time) leitet für einen relativ versöhnlichen Abgang ein.
Weil Gore in den substanzlosen dramatischen Geste Eternal zwar mit pathetischer Emotionalität seiert, nur um die apokalyptisch verdichtete Theatralik abrupt zu kappen, sich das mit unfreiwilliger Komik beschwörende Fail („
Und dennoch: Selbst in diesen gelungendsten Momenten wirken Depeche Mode, als könnten sie vielversprechende Ansätze einfach nicht mehr zu restlos packenden, vor allem aber emotional wirklich berührenden Nummern zu Ende denken.
Die Momentaufnahme Scum führt diesbezüglich als Paradebeispiel des Unform-Zustandes das eigentliche Problem der Band eventuell am besten vor: Ohne den nötigen zündenden Geniestreich-Funken, aber mit zuviel Blick auf unwichtige Ausschmückungen, mäandert das Trio hier um einen potentiellen Hit, ohne ihn tatsächlich in die Enge treiben zu können. Es fehlt Depeche Mode zwar mittlerweile auch an Inspiration, aber noch offensichtlicher jemand, der den undankbaren Job übernehmen würde, die Band dazu zu animieren Kräfte zu bündeln, lose Fäden zu verbinden und die vorhandenen Ideen mit erinnerungswürdigen Melodien zu einem schlüssigen Songwriting abzurunden. Auch, um das Profil des mitunter orientierungslos anmutenden Trios wieder zu schärfen und Depeche Mode aus der Wohlfühlzone zu pushen. Das im Gesamtschaffen der Band wohl bald in den Hintergrund rückende Spirit liefert insofern – und ohne aufgelegte Alan Wilder-Rufe zu provozieren – die Erkenntnis, dass dieser jemand für Depeche Mode ganz offensichtlich nicht der ausführende Produzent sein kann.
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