Depeche Mode [08.02.2014, Stadthalle, Wien]

von am 10. Februar 2014 in Featured, Reviews

Depeche Mode [08.02.2014, Stadthalle, Wien]

Dave Gahan, Martin Gore und Andy Fletcher, das Triumvirat der Düstersynthies, könnte sich dank umfangreichem Schaffen mittlerweile getrost zur Ruhe setzen. Sie tun es nicht und schaffen es seit Jahrzehnten, sich immer wieder ein bisschen neu zu erfinden, immer haarscharf am Mainstream entlang, aber auch immer mit der richtigen Portion frischen Sounds. Im Studio gelingt das mal weniger (‚Sounds of the Universe‚) und mal mehr (‚Delta Machine‚). Live allerdings beweisen Depeche Mode, warum man auch in Zukunft mit ihnen rechnen muss – und warum sie gut daran täten, verstärkt auf aktuelle Songs in ihren Sets zu setzen.

Über dreißig Jahre im Business und kein bisschen müde – so oder ähnlich unoriginell könnte man eine Konzertreview von Depeche Modes jüngster Performance in der ausverkauften Wiener Stadthalle beginnen. Man hätte zwar durchaus recht, würde den Synthiepoplegenden aber dennoch nicht gerecht werden. Dass die Herren Gahan, Gore und Fletcher trotz mittlerweile fortgeschritteneren Alters alles andere als geriatrisch daherkommen, sollte sich erstens schon lange herumgesprochen haben und versteht sich zweitens von selbst. Dementsprechend gespannt ist die Crowd: Lange bevor die Band selbst die Stage betritt, lässt man sich in der allgemeinen Euphorie dazu hinreißen, jeden Roadie, der in letzter Minute an Kabeln und Verstärkern herumschraubt zu bejubeln – es könnten ja die Leibhaftigen höchstselbst sein.

Das Intro mit seinen wummernden bass lines schafft es dann, die Spannung fast bis zum Zerreißen zu steigern, bevor die ersten Beats von ‚Welcome To My World‘ zu hören sind und Dave Gahan auf die Bühne tänzelt, seine Arme ausbreitet und wie eine Mischung aus Messias und Racheengel der Menge geradezu erscheint. Es stellt sich heraus, dass ‚Welcome To My World‚ die knapp zweistündige Show bedächtig, aber umso erhabener eröffnet – und bereits in den ersten Minuten den Tenor vorwegnimmt, der über weite Strecken herrschen wird.

Ohne groß zu fackeln wird mit ‚Angel‚ nachgelegt – einer der stärksten Momente auf Depeche Modes aktuellem Album, Delta Machine. Man traut sich erfreulicherweise die ohnehin schon rohe, etwas verrotzte Nummer noch um einige Gänge höher zu schrauben, was vor allem Dave Gahans knarzigen Vocals zuzuschreiben ist. Hier zeigt sich einmal mehr eines der Mankos bei so gut wie jedem Depeche-Konzert: Eigentlich wartet fast jeder auf die Klassiker, was neue Songs in der Gunst der Crowd meist zu kurz kommen lässt. Gerade im Fall von ‚Angel‚ ist das mehr als nur ein bisschen schade, denn auch wenn den Briten mit ‚Delta Machine kein so großer Wurf gelungen ist wie etwa mit ‚Playing the Angel‘, funktionieren die neuen Songs vor allem live um einiges besser als die cleaneren Studioversionen.

Bei ‚Walking In My Shoes‚ dürfen vor allem altgediente Devotees dann zu einem Klassiker abgehen – das macht Spaß, das ist erwartbar hymnisch, kommt aber auch einen Tick zu berechenbar daher. Immerhin macht die Menge ihre Sache gut und nimmt Gahan die Vocals erstmals aus dem Mund. Da lässt sich selbst Andrew Fletcher, sonst eher mit dem Charisma eines Buchhalters ausgestattet, zu so etwas wie Jubel hinreißen – für seine Verhältnisse peitscht er das Publikum geradezu ein. Das Stagedesign kommt diesmal übrigens angenehm reduziert daher: Von UFO-ähnlichen Verbauten und glühendem Lauftext àlà Touring the Angel hat man sich verabschiedet und räumt den Visuals mehr Platz ein. Bei ‚Precious‚ zeigt sich, dass das eine durchaus gute Idee war, denn ab jetzt wird die Videowall einiges zur Atmosphäre beitragen. Mit ‚Black Celebration‚ wird der nächste Hadern in den Ring geschickt und entführt nach wie vor in die düstersten Ecken der 80ies. Mit dem mächtigen ‚Should Be Higher‚ wird wieder eine Auskopplung von ‚Delta Machine‚ geliefert, macht ordentlich Druck und darf dank Christian Eigners stampfenden Drums zu einem frühen Höhepunkt des Gigs gezählt werden. Hier darf sich Dave Gahan außerdem von seinem düsteren Timbre befreien und seine Vocals in ungewohnte Höhen schrauben. ‚Policy of Truth‚ wirkt danach beinahe zahm, wenn auch gewohnt souverän und natürlich ganz nach dem Geschmack der Fans.

Slow‚ läutet den ersten Cut in der Show ein. Hier darf sich Martin L. Gore – seines Zeichens Mastermind und Leidensmann der Band – traditionellerweise balladesk austoben und die Crowd einkochen: „Slow, slow, I’ll go with your flow“. Reduktion ist hier einmal mehr das Gebot der Stunde und so wird Gore lediglich von Peter Gordeno am Keyboard begleitet, was vor allem auch dem altgedienten ‚Blue Dress‚ gut zu Gesicht steht, das den Weg für das getragen-sinnlich wummernde ‚Heaven‚ bereitet – ein Depeche Mode-Song in Reinkultur, wenn man sich Gores Liebe zu feinen Spielereien abseits der bekannten Pfade bewusst ist. Mit ‚Behind The Wheel‚ wird anschließend wieder aufs Gas getreten – eine weitere sichere Bank in der Liveversion. ‚A Pain That I’m Used To‚ diente bei der ‚Playing the Angel‘-Tour noch als dröhnender Opener, biegt hier nach dem Intro aber in Jacques Lu Conts Version ab. Der Remix macht der Nummer nicht nur ordentlich Beine, sondern scheint auch Dave Gahan mehr noch als das Original im wahrsten Sinne des Wortes auf den Leib geschneidert zu sein. Es folgen ‚A Question of Time‚, das obligate ‚Enjoy the Silence‚ und ‚Personal Jesus‚. Letzteres sticht vor allem dank seiner bluesigen Interpretation angenehm frisch heraus, was Gahan noch mehr Gelegenheit gibt, die Hüften kreisen zu lassen und sich am Mikrofonständer zu vergehen. Eigentlich erstaunlich, dass man ihm das nach all den Jahren immer noch abkauft.

Bei der Encore hat man sich mit ‚But Not Tonight‚ erfreulicherweise für eine weniger bekannte Perle aus Black Celebration-Zeiten entschieden. Wieder darf Martin Gore Seite an Seite mit dem Keyboard in Melancholie versinken und so den unbestreitbar berührendsten Konzertmoment aufs Tapet bringen, die Crowd singt noch Minuten nach Ende des Songs weiter und man weiß wieder, warum die drei aus Basildon auch nach gut drei Jahrzehnten noch Stadien füllen. Mit ‚Halo‚ folgt ein weiterer Geheimtipp, auch hier hat man sich für einen Remix entschieden, dieses Mal von Goldfrapp, was den düsteren Tenor des Originals ins beinahe Schmerzhafte steigert, Gahans Vocals mehr Raum gibt und sich so als ein weiterer Höhepunkt des Sets herausstellt. In den Visuals darf übrigens Johanna Wokalek eindrucksvoll die Hauptrolle spielen. Das dazugehörige Video, eigens für die Tour produziert, komplettiert diese gelungene wie ergreifende Neuinterpretation eines in die Jahre gekommenen Juwels. ‚Just Can’t Get Enough‚ entführt in die Zeiten der Anfänge und dreht sich um 180 Grad in Richtung Spaßfraktion – klingt immer noch frisch und wird dank quietschbunter Visuals noch lustiger. Mit ‚I Feel You‚ darf sich Dave Gahan wieder extatisch in Szene setzen. ‚Never Let Me Down Again‚ erweist sich schließlich als durchaus klug gewählter letzter Song des Sets und drückt ein letztes Mal ordentlich auf die Tube.

So müde Depeche Mode bisweilen im Studio klingen (was sich vor allem mit dem überforderten ‚Sounds of the Universe‘ gezeigt hat), so tief greifen sie in die Live-Trickkiste – hier wird nach wie vor ganz großes Kino geboten, ohne in trivialen Stadiongestus abzugleiten, eine Kunst für sich. Doch auch auf diesem hohen Niveau lässt sich noch jammern und so kann man Depeche Mode nur wünschen, dass für die nächste Tour ein wenig am bewährten Konzept geschraubt wird. Obwohl Klassiker wie ‚Enjoy the Silence‚ & Co. zeitlos sind und ihre Wirkung nach wie vor nicht verfehlen, ist das Gesamtwerk der Briten zu umfangreich, um live bloß auf die alten Hitmaschinen zu setzen. Die besten Momente der Show waren zu großen Teilen auch neuen Songs zuzuschreiben und auch sonst ist Depeche Modes wahre Größe häufig gerade abseits der Singleauskopplungen zu finden. Mit der Aufnahme von Remixes und Neuinterpretationen alter Perlen ins Set haben die Synthiepopgrößen zumindest streckenweise unter Beweis gestellt, dass sie ihr eigenes Repertoire bisweilen auch gegen den Strich bürsten können – eine mehr als willkommene Abwechslung in der allgemeinen faith-and-devotion-Euphorie.

Print article

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen