Denison Witmer – Anything At All
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Wenn der Protagonist beinahe zum Erfüllungsgehilfen und der Regisseur zum alleinigen Maßstab der Dinge wird: Anything At All ist gefühlt eher ein sehr solides Sufjan Stevens-Werk, als ein wirklich gutes Denison Witmer-Album.
Nicht nur in dem dezidiert als Gastspiel ausgewiesenen Doppel aus (dem friedfertig schippernd mit harmonischen Chören hippiesk schwelgend aufgehenden) Focus Ring sowie (dem beton lebendig und munter samt dezenter Synth-Patina im Fahrwasser von Illinois aus dem sonst eher ruhigen Fluss aufzeigenden) Shade I’ll Never See, ist der Einfluss des prominenten Förderers und Label-Bosses Stevens auf seinen Kumpel Witmer diesmal sogar flächendeckend (zu) überdeutlich.
30 Jahre nach seinem Debüt setzt der versierte Veteran Witmer (acoustic guitar, electric guitar, classical guitar, rubber bridge guitar, vocals) bei der Umsetzung des vorwiegend während der Pandemie entstandenen Materials neben Andy Park (bass, piano, drum programming, keyboards, trympet, xylophone) Abby Gundersen (strings), Hannah Cohen (vocals), Meghan Lui, (vocals) Sean Lane (drums) Sam Evian (bass guitar, saxophone, lead electric guitar) sowie Keenan O’Meara (lap steel) jedoch überdeutlich auf Stevens, damit dieser als Multiinstrumentalist (electric guitar, keyboard, percussion, piano, autoharp, omnichord, recorder, bass, banjo, celeste, synth, drums, high strung guitar, drum programming, vocals) und Produzent einen Gutteil von Anything At All stemmt.
Dies führt zu einem mit viel Expertise und Feingefühl gezeichneten Folkrock-Balsam, verschiebt die Perspektive aber auch so weit, dass es doch zu viel des Guten ist.
Die Inszenierung des (je nach Zählweise dreizehnten oder) vierzehnten Studioalbums von Witmer passt sich über weite Strecken nämlich phasenweise geradezu identitätsabgleichend und formelhaft der Ägide Stevens an. Beispielsweise im fast andächtig zu ohne Oppulenz auskommenden Streichern schreitenden Lost in My Head sind nicht nur die Arrangements und der Chor, sondern die ganze Stimmung oder alleine schon sogar auch der Banjo-Sound ein einziges Nach-Exerzieren seines Trademark-Patents.
Zumal das Songwriting des (mit einer wenig variablen, ständig in derselben Anti-Intensität tiefgehende, kluge Texte säuselnden Stimme des) 48 jährigen Witmers zwar ausfallfrei liebenswürdige, fachmännisch einnehmende Melodien bietet, doch letztlich (abseits der fast zu plakativ hartnäckig jubilierenden Hook von Clockmaker) ohne wirklich zwingend hängen bleibende Augenblicke gerade im unvermeidbaren Vergleich ständig eine gewisse Redundanz transportiert.
Meist beginnt das wie im feinen, noch individueller geprägt bleibenden Older and Free sanft gezupft in der Intimität und blüht dann im wiegenden Rhythmus auf, feinfühlig und in wärmender Gemütsruhe. Stevens Stimme taucht immer wieder (etwa in dem mit Klavier und zupfender Zurücknahme schwelgenden Making Love oder Confessions) auf, bevor das tolle Slow Motion Snow behutsam schleichend in verträumter Nostalgie bimmelnd ein himmlisch erhebendes Finale skizzierend symptomatisch flüchtig bleibt, und der kurze Abspann Brother’s Keeper mit einem naturalistisch verzauberten, geradezu naiven Wohlwollen entlässt.
Oder: das ist, im positiven, aber eben auch bis zu einem gewissen Grad im negativenSinne, als würde man seine eigenen Stärken zugunsten des Komforts eines gemachten Bettes zurückstecken und über gefälliges Kerzenlicht staunen, weil aktuell kein Feuerwerk zur Verfügung steht.
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