Dendemann – Da nich für!
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Die Zeit bleibt nicht stehen – und auch Dendemann tut dies nicht: Da nich für! ist sein bisher vielseitigstes, modernstes und wohl auch ambitioniertestes Album geworden: Musikalisch am Puls der Zeit, inhaltlich zeitlos wichtig.
Da nich für! hätte nach neun Jahren Pause mühelos ein nostalgisch geprägtes Comeback werden können, doch ist das erst dritte Studioalbum von Dendemann in 15 Jahren Solokarriere eine aus der Vergangenheit gelernt habendes, vom aktuellen Zeitgeschehen geprägte Momentaufnahme geworden: „Nach Vom Vintage Verweht habe ich bereits auf Tour angefangen, auf die gleiche Weise – nur im 90er-Style – die nächste Platte zu produzieren. Das habe ich schnell verworfen, weil sich das nicht gut angefühlt hat. „sagt Dendemann. Oder: „Nachdem wir es eine Zeitlang mit diesen typischen Ami-Beats probiert und ich wieder die ersten zwei, drei deutschen Dinger zuhause gebastelt hatte, war dann klar: Das ist das, was ich möchte!“
Dendemann nutzt diesen Anspruch und liefert (nahezu) kein banales Bauchpinseln, hier haben sich dringende Gedanken angestaut, Da nich für! positioniert sich dezidiert, zieht klare Fronten, denn „Ich dende, also bin ich“: Der bald 44 Jährige sagt selbst, dass ihn die Zeit bei Böhmermann politisiert hat, seinen Fokus geschärft und seine Perspektiven erweitert hat. Dendemann thematisiert also Flüchtlingszenarien und Nazi-Gegenwart, die eigene Bequemlichkeit und akzeptierten Egoismus. Er sampelt Die Goldenen Zitronen, Slime oder Rio Reiser wie selbstverständlich – „Opportunistische Drecksscheiße, die ich mir gegönnt habe!“– aber immer absolut song- und zweckdienlich.
Da nich für! entwickelt sich aus dieser langen Inkubationszeit und hungrig gehaltenen Ambition zu einem akribischen Werk mit spontaner Energie, auch seinem bisher vielseitigsten Album. Ich dende also bin ich lehnt sich mit subversiver Wucht entspannt und locker zurück, ist auf einfallsreiche Art beinahe klassisch, bevor Keine Parolen („Wir ham nur noch transparente Transparente/ Voller Angstzustände, Toleranz am Ende/ …/ Keine Haltung, die nur stets im Weg is’/ Alles nix Finales, Ergebnis-Tetris/ Ja unser Rückgrat ist stufenlos verstellbar„) Das Karmakonto ist im Soll – Kanzlerrenteals unfassbar catchy daherkommender Boom Bap-Kracher seinen Titel mit unbarmherziger Hook an der Nase ad absurdum führt. Der (ursprünglich als eigenständiger Song geplante) Appendix döst sich halluzinierend aus, zeigt aber auch, wie sehr hier alles auf den Punkt kommt, ohne eindimensional limitiert sein zu müssen. Die Lyrics funktionieren auch deswegen so packend, weil Dendemann niemals nur den Zeigefinger hebt, sondern sich selbst nie aus der Kritik exkludiert und dorthin geht, wo es nachhaltig wehtut,
Wo ich wech bin gibt sich lauernd pulsierend, hat mit seinem stoischen Bass und ein Lavalampen-Suspense Flair im 80er-Schick den kompakten Retro-Punch auf seiner Seite. Zeitumstellung klingt wie ein auf Colin Stetson herum gebauter Bouncer, das leger grooved in schillernden Farben kurbelt und Teutilla alias Arnim Teutoburg-Weiß (Beatsteaks) für den zwingenden Refrain an Bord holt. Zauberland dreht die Schrauben eng, bleibt aber nur hinterrücks verträumt dösend: „Alles nimmt seinen abgefackelten Lauf/ Apparat Vater Staat hat den Dackelblick auf/ Kurze Beine lange Rede/ So schleichen viele gleiche Ziele andere Wege“. Menschine baut für seine Sozialkritik auf ein dramatisches Sample und Drauf & Dran auf seine tanzbare Percussion: Da nich für! mag ein tiefschürfendes Bewusstsein haben, macht aber eben auch über die nahezu gesamte Spielzeit Spaß wie Sau, bevor das jazzig-elegisch Treibende Nochn Gedicht auf persönlich-romantischer Ebene zum überwältigenden Liebeslied wird, mit breitem Instrumentarium ohne Opulenz schwelgt: Eine Sternstunde des Dendemann!
Doch all diese Songs hofieren ausnahmslos großartige Beats (auch die instrumentale Version der Platte ist kein substanzloser Fanbox-Gimmick!). Eine gleichzeitig extrem präzise unterstützende, wie außerhalb angestammter Komfortzonen herausfordernde, Produktion erschließen auch stilistisch Neuland (Trap-Facetten geistern etwa durch das hibbelig zappelnde Müde – „Müde und in schlechter Verfassung wie Artikel 3/ Müde von den Rechten, den Faschos, den Naziparteien/ Müde von den Sexisten, Machos und Spastivereinen/ So hält das dreckigste Arschloch seinen Platz immer frei/ Ich bin müde und ich werd‘ müde sein mein Leben lang„), bringen Dendemann alleine formhalber ohne Altersschwächen nahezu mühelos an der Konkurrenz vorbei.
Die es so vielleicht ohnedies nicht gibt, weil der Wahl-Hamburger mit sprachlicher Präzision, Doppelreinem und smartem Flow ohnedies in einer eigenen Liga zu spielen scheint. Seine Wortspiele und Reimekunst bleiben jedenfalls State of the Art, auch unerreicht in hiesigen Gefilden, wenn sich auch beim zehnten Durchlauf noch schlaue Mehrdeutigkeiten und hinterlistige Pointen finden, die eigene Performance ohne Leerlauf sitzt: Von den geladenen Gästen kann zumindest niemand Dendemann das Wasser reichen.
Die also nichtsdestotrotz vorhandenen Mankos der Platte lassen sich insofern schnell abhandeln: Nein, mit den Eins Zwo-Alben kann Da nich für! in letzter Konsequenz nicht ganz mithalten, und ja, nicht nur die Zusammenarbeit mit den zuletzt ohnedies arg schwächelnden Beginnern für BGSTRNG ist gemessen an der Erwartungshaltung ebenso ein bisschen enttäuschend, wie Casper dem smarten Hit Alle Jubilare Wieder abseits der Ästhetik nichts Essentielles beisteuern kann.
Im Grunde gönnt sich Da nich für! allerdings nur mit der Trettmann-Geschmacklosigkeit Littbarski einen tatsächlichen Ausfall: Wüsste man es besser, könnte man meinen, Dendemann biedere sich mit galligem Vocoder und drögem Flair ein bisschen zu beliebig dem trendingen Zeitgeist-Klientel von Yung Hurn hinterherschwänzelnd an – bis der Spiegel aufgehängt wird: „Aber Rapper sind wir alle/ Oder hängst du in ’ner Cloud/ Ja, die Trap ist eine Falle„.
Bedeutend schlechter wird Da nich für! im Gesamten aber selbst durch derartige Schönheitsfehler übrigens keineswegs. Dendemann serviert stattdessen eine zum modernen Klassiker schielende Platte, auf die man nach neun Jahren vielleicht nicht mehr unbedingt gewartet hat – aber nur, weil man nicht wusste, wie dringend sie gebraucht wird.
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