Deftones – Ohms
Die Rückbesinnung als Blick nach vorne: Die Deftones verändern für Ohms nur in feinen Nuancen den elektrischen Widerstand von altbekannten Zutaten und etablierten Rezepten, rühren ihren Alternative Metal damit aber dutlich kraftvoller und frischer an, als zuletzt.
25 Jahre nach dem Debüt Adrenaline feiert nicht nur White Pony seinen Zwanziger und Diamond Eyes seinen zehnten Geburtstag, sondern Gore auch seinen vierten – bis heute ist das achte Studioalbum jedoch der wohl bisher größte Schwachpunkt in der Veröffentlichungshistorie der Kalifornier. Freilich relativ gesehen, bei einer ausfallfreien Diskografie.
Trotz des kommerziellen Erfolgs der Platte sahen wohl nicht zuletzt die Deftones selbst dahingehend Handlungspotential, prolongieren nun, auf menschlicher Ebene im Vorfeld (gerade was den Einfluß von Gitarist Stephen Carpenter angeht) wieder näher zusammengerückt zu sein und kräftigen die Wurzelbesinnung in Trio-Position zudem mit der Rückkehr von Terry Date, der auf die nach Saturday Night Wrist (bzw. dem weiterhin unvollendeten Eros) folgende Nick Raskulinecz -Phase den Produzentenstuhl wieder übernimmt, nachdem Gore ja unter Mithilfe von Matt Hyde von der Band selbst betreut worden war.
In dieser Ausgangslage fühlt sich Ohms nun tatsächlich in mehrerlei Hinsicht wie eine Gegenreaktionen auf den Vorgänger an. Die Platte ist toll produziert, der Terry Date-Sound steht der Band einfach am besten, alleine der Klang des erdigen Schlagzeugs ist nicht nur für Nostalgiker zu lieben. Dass in Urantia neben dem Kontrast aus metallischem Riffing und betont sphärischem Schwelgen auch eine elektronische Reminiszenz an das Pink Cellophane Platz findet, passt da ebenso, wie das Gefühl, über den fantastischen Groove von Error ästhetisch näher dran an Around the Fur zu sein, als auf jeder anderen Platte seit dem neuen Jahrtausend, auch wenn die Deftones das Stück heute eher wie eine harte Shoegaze-Nummer spielen und die Zügel für eine verträumte Bridge lockern.
This Link is Dead liebäugelt kurz mit dem retrofuturistischen Suspence, öffnet dann aber ein aggressives Ventil in der Tradition von 7 Words und When Girls Telephone Boys, wenngleich auch letztendlich gesetzter und mit versöhnlicherem Chorus ausgestattet, während der Verzerrer auf den (nicht nur hier mit ein paar Tricks aus der Effektekammer verfremdeten) psychotisch fauchenden Vocals gut kaschieren, dass die stimmlichen Stärken von Chino längst woanders liegen. Nachzuhören am besten in all den großen Refrains und atmosphärisch ausgekleideten Strophen, die praktisch jeder einzelne Song von Ohms zu bieten hat.
Denn wo Gore im direkten Vergleich die deutlich herausragenderen Einzelsongs hatte, mit Nummern wie Prayers / Triangles, Doomed User oder vor allem Phantom Bride auch einige absolute Instant-Klassiker abwarf, sucht man derartige Kaliber auf Ohms vielleicht vergeblich – das Gefühl überragenden Stücken begegnen zu können trägt dann auch dazu bei, dass Ohms schneller erfasst wirkt, vielleicht sogar nicht so erfüllend, dafür aber auch zehn Signature-Nummern liefert, die kein Ablaufdatum zu haben scheinen.
Die Band verzichtet also auf Genieblitze oder Szenen, die all das Gerede über ein neuerliches Meisterwerk rechtfertigen würden, hat aber den allgemeinen Qualitätslevel wieder hochgeschraubt, liefert in einem ausfallfreien Kontext ein umso stimmigeres Gesamtgefüge, dass die zuletzt etwas abgekühlte Liebe zur Band mit durchaus neuem Sucht-Schub versorgen kann: Kurzweilig, zugänglich und kompakt erinnert Ohms an das Wesen von Diamond Eyes, indem es weitestgehend bekannte Zutaten des Deftones-Trademark-Baukastens in eine motivierte und knackige Form jenseits der reinen Wertarbeit gießt, das Atribut der Souveränität als Adelung und Klasse verifiziert, im Grunde eine Stafette an Ohrwürmern liefert – die dann auch immer wieder mit mal mehr, mal (meistens) weniger gravierenden Facetten klären, weswegen die Band davon spricht, auch soundtechnische Wagnisse eingegangen zu sein.
Genesis nimmt über ein langes Synth-Intro melancholisch plätschernd Anlauf in eine typische Deftones-Parade-Nummer, doch Frank Delgado unterspült das Material nicht nur hier prägend. Die Hit-Tauglichkeit holt an Bord, die Bridge taucht aus dem Äther an – später wird Pompeji den Kontrast aus weich und hart, aus laut und leise noch stärker konturiert pflegen; zwischen einem zärtlich-sehnsüchtiger Tag am Strand samt Möwenschreien einen wuchtig platzierten Hymnen-Refrain platzieren, seinen astralen Abspann aber sogar bis nach Twin Peaks lenken. Ceremony gibt sich ähnlich psychedelisch angehaucht, sanft rumort es mit weit ausholenden Gesten, wo Headless den Chorus ebenso aus dem aufbäumenden Wellengang raten lässt.
The Spell of Mathematics malmt in Schüben zähflüssiger über wattierte Landschaften, am markantesten ist jedoch das Durchatmen hinten raus mit schnipsend-klatschendem Esoterik-Ambiente. In Radiant City zeigt die Rhythmusateilung (Abe Cunningham ausnahmsweise nicht zu weit im Mix hintangestellt, Sergio Vega massiv und songdienlich wie immer) und Carpenter Muskeln, kristalline Keyboarde schimmern durch den Song und eine giftiger Strophe platzt exemplarisch für das das allgemeine Songwriting einmal mehr in einen epischen Refrain.
Ohms ist dabei eine ebenso abgeklärte wie frische Platte, die selten Euphorie auslöst, aber hinterrücks (durchaus Assoziationen zum Status Quo von Mogwai aufwerfend, pessimistischer vom Einheitssymbol Ω betrachtet gar an das finale Collapse Into Now gemahnend) in der konstanten Heavy Rotation landet – wenn auch womöglich nicht einmal in den Top 5 der Deftones-Langspieler. Was zum einen an dem Level der hauseigenen Vorgänger liegt, aber vielleicht auch ein bisschen daran, dass der abschließende Titeltrack als erste Single die Erwartungshaltung über seine sludgy Triolen doch ein bisschen zu hoch geschraubt hat. So hoffnungsgetrieben, offen, beschwingt und optimistisch wie dort hat man die Deftones selten gehört, überhaupt trifft Chino hier aus einer Prä-Corona-Isolation heraus einfach einen Nerv: „This is our time, we devour the days ahead/ We’ve been possessed by these changing times/ As we slip on through, we promised to meet again somewhere“.
Dass das Riff an sich nicht das originellste ist, wo die permanenten Verweise darauf, dass Stephen Carpenter jetzt ein neunsaitiges Instrument spielt, kaum in entsprechenden Unterschieden zu vorherigen Alben ausweisen, seine prägnantere Rolle eher auf soziale Anstrengungen zurückzuführen ist, wird bei einer latenten Zuversicht in der Dystopie, zu der sich die Welt längst verwandelt hat, von einer ungewohnten Aufbruchstimmung mitgetragen: „Yeah, time won’t change this/ This promise we made/ And time won’t change this/ We shall remain.“ Damit, dass ausgerechnet die Deftones einen solchen Lichtblick ins Jahr 2020 lenken, hätte man nicht rechnen müssen – bei aller sonstigen zementierten Zuverlässigkeit dieser Band.
Kommentieren