Deftones – Gore
Da verweilen sie mit ‚Gore‚ mehr denn je in ihrer zutiefst selbstreferentiellen Klasse und machen es dennoch weder sich selbst, noch sonst jemanden einfach: Die Deftones langweilen mit ihrem vielleicht bisher sperrigsten Album auch knapp 20 Jahre nach ‚Adrenaline‚ nicht, stehen 2016 aber dem immensen Potential ihrer Songs in mehrerlei Hinsicht selbst im Weg.
Zum Einen liegt das daran, dass sie ihrem achten Studioalbum Matt Hyde entgegenstellen, der letztendlich nicht nur für die Produktion von ‚Gore‚ verantwortlich zeichnet, sondern nach einigen Umwegen auch dessen finalen Mix übernahm – und auf diesen Positionen einige prägnante Stärken der Deftones-Historie untergräbt, indem das Schlagzeug plötzlich verhältnismäßig kraftlos im Hintergrund bleibt, während das restliche Instrumentarium von den so dominanten, mitunter gewollt roh und verwaschen klingenden Gitarren ohne die nötige Balance ins Abseits gedrängt wird (und das genaue Betätigungsfeld von Frank Delgade vielleicht niemals mehr Rätsel aufgab, als diesmal).
Die Intention von Hyde scheint dabei durchaus klar: Er will ‚Gore‚ mehr Raum und atmosphärische Weitläufigkeit geben und den allgemeinen Klang gleichzeitig weniger optimistisch und hell ausgeleuchtet grundieren, eine dreckige Unmittelbarkeit kreieren. Das Ergebnis ist jedoch nicht nur im Soundvergleich zum langsam wachsenden, sauber ausgeleuchtet und prägnant auf den Punkt produzierten ‚Koi No Yokan‚ durchaus ernüchternd. ‚Gore‚ fehlt es in der Verarbeitung abseits der zurückgenommenen, stimmungsvoll in sich gehenden Passagen schlichtweg am nötigen Druck, an der Energie, dem Punch und dem übermannenden Killerinstinkt, um den heavier austeilenden Momenten tatsächlich relevante Schlagkraft zu verleihen. Spätestens nachzuhören im finalen ‚Rubicon‚, wenn Abe Cunnigham gleich zu Beginn wuchtig dahinpoltert – das Gefühl davon aber niemals die Magengrube erreicht.
Zwar bekommt ‚Gore‚ so trotz unverkennbarer Deftones-Handschrift seinen eigenen, unverwechselbaren Charakter in der Discographie, enttäuscht aber stellenweise frustrierend, indem es die vorhandenen PS nicht auf den Boden bekommt und schlimmstenfalls regelrecht flach die gravierenden Höhen und Tiefen umgeht, die das Quintett ansonsten vermisst.
Zum Anderen liegt der subjektive Rückschritt zu einem Gutteil aber eben auch am zu friedlichen Songwriting der Deftones selbst. Indem die Band auf ‚Gore‚ Nummern abliefert, die abseits des Kontextes mal nicht über den gehobenen Routine-Standard hinauskommen (‚Acid Hologram‚ beispielsweise, oder ‚Xenon‚, das zwischen einer dissonant gegen den Strich gebürsteten Leadgitarre und dem es sich viel zu einfach machenden, die Hymne nur anplätschernden Refrain pendelt) oder gar zu bequem im (nichtsdestotrotz gelungenen) wenig waghalsigen Selbstzitat verweilen.
Die zwingende Heavy-Abfahrt ‚Doomed User‚ klingt etwa wie eine rockende Symbiose aus ‚Cmnd/Ctrl‚ und den rasanten Elementen von ‚Rocket Skates‚, während letzteres dann mittels des brutal abgehenden, grandiosen Highlight-Titeltracks gleich ein vollständiges Update erfährt (wie gut der Platte doch der Funke Agressivität tut!). Das sehnsüchtige ‚(L)MIRL‚ baut seine Spannungen dagegen in den Fussspuren von ‚Rosemary‚ auf, bekommt aber vor dem viel zu abrupten Finale niemals die Chance, seine Intensität auch adäquat zu entladen.
Ein generelles Manko: ‚Gore‚ lässt selbst in starken Momenten immer wieder ernüchternd viel vorhandenes Potential liegen, holt nur selten das Maximum aus durchaus hochklassigem Material (, das sich bisweilen wie ein Amalgam aus ‚Saturday Night Wrist‚, ‚Diamond Eyes‚ und ‚Koi No Yokan‚ anfühlt). Auch das grandios atmosphärische ‚Hearts / Wires‚ baut sich als Herzstück der Platte so beispielsweise mit langer, ätherisch verschwimmender Vorlaufzeit stimmungsvoll auf, bekommt dann aber im Fahrwasser von Chinos melodieseligen Palms nicht den nötigen Auslauf, um sich wirklich exzessiv und bissig entfalten zu können: Eine eingesperrte Schönheit mit verträumt-betörenden Dream-Gitarren und zu gnädig walzender Breitseite. Das fordernde ‚Geometric Headdress‚ will sich dagegen voller Tatendrang alleine rhythmustechnisch auf keinen Nenner bringen lassen, verabsäumt es jedoch einen erlösenden Climax zu beschwören und vertändelt sich so ziellos zwischen den Polen. Man spürt förmlich, wie sehr die Band gewillt ist, sich wieder aus dem etablierten Wohlfühlbereich zu zwingen und relevant zu bleiben – dabei aber paradoxerweise zu oft nur zuverlässig längst bekannte Hoheitsgebiete begeht.
Und dann gibt es da wieder die Augenblicke, in denen die Deftones jenseits des Jammerns auf hohem Niveau all ihre Stärken bedingungslos ausspielen – und in feinen Nuancen ihrem Sound sogar durchausnoch neue Aspekte abringen.
‚Prayers / Triangles‚ merkt man zwar subjektiv an, dass die Nummer wohl nie als eigentlicher Opener von ‚Gore‚ gedacht war, jedoch wächst sich der Song entlang seiner simplen Konstruktion mit unerbittlich infektiösem Chorus zum klassischen Band-Hit aus, bevor das überragende ‚Phantom Bride‚ wehmütige Melodien zum Niederknien auspackt und dann auch noch Alice in Chains-Gitarrenmagier Jerry Cantrell für ein schlicht umwerfendes 80er-Solo ankarrt – genau das gniddelnde Umfeld, in dem Carpenter auf die letzten Meter das mächtigste Riff der Platte auffährt. Im finalen ‚Rubicon‚ schaffen die Deftones mit bösartiger Vertracktheit und melancholischer Eingängigkeit dann sogar noch den Spagat, es sich in der eigenen Komfortzone nicht zu bequem zu machen.
Das Versprechen einer ”out of the box”-Platte, ”full of keyboards and a lot of cool, spacey low frequencies and organic jams” lösen die Kalifornier damit zwar dennoch nicht ein – sehr wohl entpuppt sich das sperrige, widerspenstige und auch schwierige ‚Gore‚ nach und nach aber als immer dichter zusammenwachsendes Werk, das das Niveau der meisten Vorgängeralben nicht halten kann, mit einem einnehmenden und letztendlich fesselnden Fluss jedoch immer weiter in seinen stimmigen Bann zieht. Womit mit jedem neuen Durchgang die langjährige Vermutung ein klein wenig mehr bestätigt wird: Selbst eine schwache Deftones-Veröffentlichung spielt in ihrer eigenen Liga – und ist in Summe (wenn auch um Haaresbreite) immer noch eine sehr gute.
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