Defeater – Letters Home
So grundsätzlich ambitioniert und gelungen der Acoustic-Appendix von ‚Empty Days & Sleepless Nights‚ auch war, so klaffte doch ein Graben zwischen der drangepappten Fokussierung auf in die Singer-Songwriter-Welt und dem Gesamtkontext. Knapp drei Jahre später ist das Schnee ohnedies von gestern: auf ihrem dritten Album konzentrieren sich Defeater über 35 Minuten nämlich fast ausschließlich auf ihre Stärken im aggressiven Hardcore.
‚Letters Home‚ ist die erste weitestgehend rückwärtsgerichtete Veröffentlichung der Band um Storyteller Derek Archambault: Defeater orientieren sich an ihrer Anfangszeit um das Debüt ‚Travels‚, nehmen vor allem aber die Fäden des vier Jahre alten ‚Lost Ground‚ wieder auf und knüpfen diesen nachdrücklich weiter.
Einerseits inhaltlich: das Konzeptalbum ‚Letters Home‚ macht den Vater der beiden Brüder aus ‚Travels‚ und ‚Empty Days & Sleepless Nights‘ wieder zum Hauptprotagonisten, erzählt die angefangene Post-WWII-Familiengeschichte weiter, verdichtet diese mit Verknüpfungen und selbstreferentiellen Bezügen, was im Kleinen wie im großen Ganzen beeindruckend konsequent und im Idealfall wahlweise sogar in bester Serienmanier spannend mitzuverfolgen ist – oder schlimmstenfalls (Coheed and Cambria lassen grüßen) nur ein aufgeblähter Überbau, der die emotionale Verbundenheit des Hörers nur bedingt fesselt. Der Trumpf: Defeater verstehen es wieder furios mit ihrem Hardcore Punk auch abseits jeglicher Kenntnisse der Hintergrundgeschichte zu packen.
Denn andererseits ist da auch die musikalische Rückbesinnung, die in einem sportlichen, modernen und melodiös in dunklen Gefilden wütenden Hardcore mündet, der erstmals keinen Gedanken an Lagerfeuer, Veranda und Bright Eyes verschwendet. Der Stringenz des Albums kommt dies nur entgegen, ‚Letters Home‚ drückt straight und punktgenau, wandert weniger umher, gönnt sich kaum Ruhephasen, ist fetter produziert und räudiger zähnefletschend.
‚Letters Home‚ riskiert dabei nicht soviel wie sein Vorgänger, ist sicher seiner Stärken allerdings auch kompromissloser bewusst. Über 10 anstandslos ausfallfreie Songs (einzig ‚Rabbit Foot‚ hinkt hinterher) hinweg erreichen Defeater auf ihrem Drittwerk damit zwar nie die besten Momente von ‚Empty Days & Sleepless Nights‚ und ‚Lost Ground‚, erlauben sich aber eben auch kein Zeichen der Schwäche (mehr). ‚Letters Home‚ in diesem Zwiespalt gleichermaßen als Enttäuschung wie auch als in Summe stärkstes Defeater-Album anzusehen, ist das große Paradoxon einer unmittelbar auf ihre Ziele zusteuernden Platte.
Kompakte Hardcore Songs wie das galoppierende ‚Bastards‚, das zwischen fetten Riffs nervös fiepende ‚Blood in my Eyes‚ oder das Eingangs heftig aufs Punkpedal tretende, dann zur epischen Handbremse greifende ‚Hopeless Again‚ stellen sich in ihrer Eingängigkeit jedenfalls keinen Millimeter hinter bisherige Hits der Marke ‚Dear Father‚ oder ‚White Knuckles‚ an. Spätestens ab dem ‚Parting The Sea Between Brightness And Me‚-Brückenschlag ‚No Relief‚ unterstreichen Defeater fraglos, warum sie längst zur A-Liga des modernen Hardcore gehören – und sobald Blacklisted-Kehlkopf George Hirsch plötzlich ins Geschehen gröhlt ist das ohnedies ein funkensprühendes Gipfeltreffen. Auffallend dabei: die brennende Verzweiflung in Archambaults Stimme hat einer angepissten Wut deutlich mehr Platz eingeräumt, die Produktion stellt sein Organ weit in den Vordergrund. Noch eklatanter: Neu-Schlagzeuger Joe Longobardi erweist sich als unheimlicher Glücksgriff, trumpft nicht nur in ‚No Faith‚ mit überragendem, so varianten- wie einfallsreichem Drumming auf, während die Gitarren glühen.
Rund um all diese zahlreichen Ohrwurm-Bretter fächern Defeater ‚Letters Home‚ dynamisch auf: ‚No Shame‚ bremst sich zur Midtempo-Walze aus, breitet sich intensiv und atmosphärisch in den Gefilden von Pianos Become the Teeth aus. ‚Dead Set‚ steht mit einem Bein im vibrierenden Post-Metal, und teilt mit dem anderen aggressive Kicks im Moshpit aus. Dagegen gibt ‚No Saviour‚ als nachdenkliches Gitarrengeplänkel 80 Sekunden lang den versöhnlichen Ruhepol des Albums um danach Emotionen explodieren zu lassen und diesen gemächlich beim Verglühen zuzusehen. Im finalen ‚Bled Out‚ schließen Defeater letztendlich den Kreis, suhlen sich ein letztes Mal im wiederkehrenden Mantra von ‚Letters Home‚: „And All I See Is The Bastard in Me“ brüllt sich Archambault die Seele wund, die Gitarren dröhnen bedrohlich im kakofonischen Feedback, der Bass malt genüsslich im marschierenden Doom und Defeater zelebrieren das ausladende Ausbluten, das sie ‚White Oak Doors‚ noch nicht gönnen wollten.
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