Deerhunter – Why Hasn’t Everything Already Disappeared?
Nach der sinnlos-obskuren Tour-Absurdität Double Dream of Spring wollen Deerhunter das existentialistische Why Hasn’t Everything Already Disappeared? offenbar betont auf Nummer Sicher gehend nach Hause spielen. Letztendlich wird daraus jedoch ein kompaktes Schaulaufen mit unfertigem Beigeschmack.
Mehr oder minder direkt am bereits erstaunlich griffig-aufgeräumten Pop-Vorgänger Fading Frontier anknüpfend, ist es zuallererst erstaunlich, mit welcher Souveränität Deerhunter mittlerweile beinahe jeden unorthodox unterfütterten Ausflug samt all den (explizit auf den Einfluss der Drittel-Produzentin Cate Le Bon sowie des neuen Bandmitglieds Javier Morales zurückzuführenden) instrumentalen Unkonventionalitäten zum nonchalant zugänglichen Ohrwurm und relativ kompakt funktionierenden Szene-Hit dirigieren können.
Das entwaffnend zugängliche Death in Midsummer tändelt etwa erst melancholisch mit Cembalo und Piano, nimmt über das beschwingte Schlagzeug jedoch bald an Fahrt auf und lässt ganz hinten raus gar doch noch die Gitarre heulen, bevor No One’s Sleeping über seinem kompakten Rhythmus Synthies und Mandolinen die Ästhetik bestimmen lassen, dazu Bläser in ein feierlich in Schieflage schunkelndes Finale aufnehmen: Nie zuvor haben sich Deerhunter derart unmittelbar dafür empfohlen, das Erbe der Kinks in das Vermächtnis des Berlin-Bowie zu übersetzen. Später wird Why Hasn’t Everything Already Disappeared? über den geschmeidigen Kammermusik-Pop des Hook-Triumphes Element sogar noch besser – läuft es bei Deerhunter, skizzieren sie mal eben im Vorbeigehen ihr nächste fantastisches Glanzstück, vielleicht gar wieder ein Meisterwerk?
Eindrücke, die das flott auf eine simple Melodie ausgelegte What Happens to People? (mit seiner im Refrain fein abgebremst durchatmenden Kontemplation) sowie das wieder locker hinausgespielte, nostalgisch mit sanfter Wucht (ins zu rasche Ende) tänzelnde Futurism geradezu mühelos verwalten: Diese ungezwungene Catchyness haben Deerhunter mittlerweile wie selbstverständlich verinnerlicht.
Nur einmal hängt es die Band neben dem unfokussierten Synthie-Instrumental-Fragment Greenpoint Gothic – eine nette Pause ohne Gewicht – dezitiert aus dieser pragmatischen Zugänglichkeit aus, lässt man den Avantgarde-Trip als psychedelisch mäanderndes Delirium walten: Détournement plätschert über (gefühlt doppelt so lange) dreieinhalb Minuten als ziellose, nervtötend monoton-elegisches Städtenamen-Aufzählen dahin, ohne kompositorisch oder stimmunstechnisch essentiell zu sein – eine dröge Skizze, von der man sich eigentlich bereits auf Double Dream of Spring befreit haben hätte sollen.
Vor allem ist diese kaum essentielle Unnötigkeit jedoch auch ein Relationspunkt und Stolperstein in zweierlei Hinsicht. Détournement unterbricht den an sich einnehmenden Albumfluß ohne erkennbaren Grund in der ansonsten kohärenten Ausrichtung, verdeutlicht aber auch, dass der experimentelle Indierock/Artpop von Deerhunter auf Why Hasn’t Everything Already Disappeared? selbst mit (dem sehr guten, aber rückblickend nur noch selten aufgelegten) Fading Frontier im Rückspiegel mittlerweile grundlegend gefälliger und weniger herausfordernd agiert, weniger nachhaltig spannend ausgefallen ist, als die tatsächlichen Großtaten der Band.
Die instrumental vom typischen Gitarrenspiel (und Lockett Pundts-Trademarks) weiter abweichende Inszenierung der Platte kann nicht vollends kaschieren oder aufwiegen, dass Deerhunter ihr Händchen für zwingende Melodien und schmissigen Aspiranten schon deutlich wagemutiger, experimenteller und vielschichtiger gebastelt haben, mit sperrigerem Mut entlohnender auftrumpften – vielleicht mit Double Dream of Spring gar bereits zuviel Chaos aus dem Druckventil entlassen wurde, die Balance deswegen nicht mehr stimmt? Mehr noch ist Why Hasn’t Everything Already Disappeared? deswegen zwar eine typische, aber eben auch überraschend unbefriedigende Platte, die ob ihrer unspektakulären Veranlagung gerne und immer wieder wohltuend nebenbei läuft, aber nicht die Präsenz eines Halcyon Digest oder Microcastle erzeugen kann.
Symptomatisch steht dafür spätestens auch das finale Dreierpack Tarnung, Plains und Nocturne. Schließlich wirken weder das ätherisch verwaschene, sakral mit Le Bon in eine jazzig-entrückte Hypnose meditierende Tarnung, noch das unkompliziert fluffige ins symphonisch stampfende Plains, und schon gar nicht das über 6 Minuten ohne Climax oder Geistesblitz in die legere Psychedelic treibende Nocturne schlüssig zu Ende gedacht. Das Songwriting hängt hier zwischen immanenter Klasse und Unfertigkeit in der Luft, endet eher abrupt, als dass Deerhunter noch einen genialistischen Schub anbringen könnten. Es kann schon frustrierend sein, wieviel Potential Why Hasn’t Everything Already Disappeared? liegen lässt.
Gerade das letzte Drittel der Platte ist es dann auch, das den Eindruck einer überhasteten Fingerübung unterstreicht, die phasenweise schlichtweg unvollendet wirkt, dann wieder leerlaufenden Ballast hinter bärenstarkem Material ausführt und letztendlich schärfer selektiert wohl als triumphale EP besser aufgehoben gewesen wäre – oder noch mehr Zeit benötigt hätte, um vollends konsequent zu reifen.
Freilich gibt es zwar schlimmeres, als ein mindestens gutes, kohärentes, durchwegs kurzweiliges und weitestgehend unterhaltsames Album mit einigen herausragenden Einzelsongs einer immer abliefernden Band serviert zu bekommen: Selbst ihr bisher schwächste Werk unterstreicht in Ansätzen immerhin den anhaltenden Ausnahmestatus von Deerhunter. Dennoch eine verpasste Chance: Das achte Platte des Quintetts begnügt sich damit, hinter seinen Möglichkeiten einzunehmen.
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