Deerhunter, Crush [20.08.2019: Dom im Berg, Graz]

von am 22. August 2019 in Featured, Reviews

Deerhunter, Crush [20.08.2019: Dom im Berg, Graz]

Gipfeltreffen der (heimischen und internationalen) Indie-Darlinge im Dom im Berg: Crush rollen den roten Teppich für das einzige Deerhunter-Konzert auf heimischen Boden im Jahr 2019 aus.

Eine hochwertige Konstellation, die so per se für massive Vorfreude bei Genre-Freunden sorgen musste, dann aber im Falle beider (ihre aktuellen Studioalben betreffend gewissermaßen unter konträren Vorzeichen startenden) Bands über den Erwartungen abzuliefern verstand.
Im Falle der unfehlbaren Institution Deerhunter sind nämlich nicht alleine die Besucher der gewissermaßen exklusiven Show die Gewinner des Abends, sondern vor allem die neuen Songs von Why Hasn’t Everything Already Disappeared?. Das achte Studioalbum der Amerikaner wußte natürlich durchaus zu überzeugen, hinterließ  als Ganzes dann jedoch auch einen weniger euphorisierenden Beigeschmack als seine mitunter superben Vorgängerwerke. Live ist von diesem relativen Leistungsrückstand allerdings nichts mehr zu merken: Deerhunter haben sich ein halbes Duzend Vertreter – die Highlights, genau genommen – von Why Hasn’t Everything Already Disappeared? herausgepickt, lassen die eingängige Hittauglichkeit jedes einzelnen davon bestehen, spielen schmissige Nummern wie Death in Midsummer, No One’s Sleeping oder No One’s Sleeping gleich im eröffnenden Block (nach dem nur wenig Unterschied zwischen Intro und Kickstart machenden Cryptograms) aber allesamt mit mehr Wumms und Kraft, auch mehr psychedelischer Schlagseite, baden sie in Hall, trippigen Effekten und jammender Ausführlichkeit.

An all diesen Maßnahmen wachsen die neuen Songs, bekommen in einem gerade in den ersten beiden Dritteln der (sound- und lichttechnisch sowieso wenige Wünsche offen lassenden) Show mehr interessanten Tiefgang und Abenteuerlust, agieren gleichzeitig tight und frei schwebend rauschend. In diesem Fluß harmonieren sie zudem großartig mit den (adäquat angepassten) älteren Songs – wie einem entschleunigten Helicopter, das etwa über ein minutenlanges Intro mit der trippigen Trance flirtet, während das an sich wundervolle Sailing (leider) zur schief-drögen Kontemplation wird, die mutwillig an der Anschmiegsamkeit und dem Animal Collective vorbei zur Deformation tröpfelt, bevor ausgerechnet Take Care die Amplituden zwischen Laut und Leise herrlich exzessiv auslotet.
Abgesehen davon, dass Lockett Pundts einziger Frontmann-Moment im Scheinwerferlicht in weiterer Folge ein bisschen untergeht, seine Vocals zu leise gemixt wirken und auch ein kurzes Feedbackkreischen Desire Lines stört, gibt es schlichtweg wenig zu bekritteln. Was aber vielleicht nur selbstverständlich bei einer Band ist, die schon optisch ein eigenwilliges Spektakel bietet, wenn fünf Typen auf der Bühne ein wenig wie eine Schausteller-Gang anmuten, die sich als 80er-Salonlöwen im Kalifornia-Hemnde-Schick im Hipster-Mashup zwischen Stranger Things (Pundt), Shameless-Macey (Keyboarder – sowie im späteren Verlauf auch Saxofonist – Javier Morales) und Once Upon a Time in Breaking Bad (Bassist Josh McKay) samt Sunglasses at Night (Cox) verkleidet haben. Eine skurille Coolness.

Richtig überragend wir der Abend allerdings erst, als Deerhunter und vor allem Zampano Bradford Cox nach Futurism alle Distanz fallen lassen und der 37 Jährige dem Konzert als ebenso redseliger wie charismatischer Entertainer einen individuellen Anstrich verpasst.
Dann führt er seine imposanten Deutschkenntnisse aus („Schlampe. Wie geht’s. Scheiße. Das ist sehr schlecht. Auf Wiedersehen.„) oder weiß, dass Österreich und Deutschland ebenso „the same thing“ ist, wie Mexico City und New York – nur um diese These nach einen rasant beendeten Plains vorsichtshalber doch zu relativieren – und stattdessen lieber ABBA-Referenzen zu skizzieren, Fassbinder ins Gespräch zu bringen und (nach dem Erlernen der korrekten Aussprache des Namens) mit dem Publikum (odern zumindest dem demonstrativ philosophiebewanderten Teil davon) über Wittgenstein zu philosophieren.
Allerdings nimmt er keine Programmwünsche entgegen: „Strange Lights? Anyone can play that song….Don’t you wanna hear some new songs? Is it…because…we’re old?“ schluchzt er dramatisch in das Mikrofon und hat spätestens hier alle Sympathien auf seiner Seite. Nach dem Finale um das ausgegrabene Disappearing Ink mitsamt dem rockigen Doppel aus Coronado und Nocturne gewähren Deerhunter der (im Vergleich zu anderen Tourstopps noch ausgiebigeren) Zugabe allerdings zumindest eine strukturoffen mit ungezwungen tanzbaren Drive daherkommende Melange aus Agoraphobia, Cover Me (Slowly) und He Would Have Laughed, bevor die Band mit einem knappen „Tschüss!“ zu den wartenden Pizzen verschwindet.

Wobei: Überragend ist der Abend genau genommen eigentlich bereits zu Beginn, wenn  Crush vor einem noch sehr spärlich anwesenden (später zumindest ordentlich wachsenden, aber für ein Konzert dieser Größenordnung doch irgendwie unwürdig-mager erscheinenden) Publikum (inklusive einer sich nichts scheißenden Ausdruckstänzerin, die durch den Zuschauerraum pirouettiert) die Show eröffnen.
Wenn man so will starten die Lokalmatadoren im Gegensatz zu den aussöhnenden Deerhunter zwar mit der Hypothek eines bärenstarken aktuellen Langspielers – Sugarcoat war immerhin eines der absoluten Highlights des vergangenen Jahres – wachsen aber stellenweise trotzdem über sich selbst hinaus (obwohl subjektiv hin und wieder noch mehr impulsiver Pfeffer von den Drums kommen hätte dürfen). Weniger, weil das präzise Jellyfish, Clams, Whales etwa gleich zum Einstieg seine Reputation als Instant-Hit untermauert, sondern, weil beispielsweise Blue Colored hier kurz zum Western blickt oder Ivy eine fast magische Ambient-Träumerei spendiert bekommt und nun so episch strahlend ausfällt, wie man sich das insgeheim immer gewunschen hat.
Noch besser ist da nur, dass die zahlreichen neuen Songs, die es in die Setliste geschafft haben, dem bisherigen Material offenbar keinesfalls nachstehen, sondern die Qualitäten des Quintetts auf dem kommenden Tonträger sogar durchaus auf eine neue Ebene heben könnten. (Wovon man sich die kommenden Wochen übrigens gegebenenfalls noch ein paarmal ein Bild machen kann). Auch wegen derartiger Zukunftsaussichten mutiert die Kombination mit Deerhunter zu einem gar nicht so heimlichen Geheimfavoriten des Konzertsommers 2019.

Setlist:

Cryptograms
Death in Midsummer
No One’s Sleeping
What Happens to People?
Helicopter
Revival
Desire Lines
Sailing
Take Care
Futurism
Plains
Disappearing Ink
Coronado
Nocturne

Encore:
Agoraphobia
Cover Me (Slowly)
He Would Have Laughed

 

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