Deafheaven, Touché Amoré, Portrayal of Guilt [20.09.2019: Arena, Wien]
Was für ein Line-Up: Die Szene-Schwergewichter Deafheaven, Touché Amoré und Portrayal of Guilt zeigen in der Arena, dass die ambivalent scheinende Schnittmenge aus hymnischem Blackgaze, Melodic Hardcore und unberechenbarem Tretmienen-Screamo doch zu einem stimmigen Ganzen führt.
(Gleich vorab an dieser Stelle besten Dank an Raphael Sperl von tricky.pics für die Konzertfotos! tricky.pics findet ihr im Netz unter anderem auf Facebook, Instagram oder der hauseigenen Website und ist nicht nur für Musik-Aficionado einen B/Klick wert.)
Portrayal of Guilt
Es lässt sich letztendlich nicht klar festmachen, ob Deafheaven oder Touché Amoré mehr Besucher an diesem Abend lukrieren. Es scheinen sich aber trotz der stilistischen Unterschiede nicht wenige auf die beiden befreundeten kalifornischen Bands einigen zu können.
Dass den Abend mit dem Geheimtipp-Hype Portrayal of Guilt einer der vielversprechendsten Newcomer im Fleischwolf aus Blackened Screamo, Hardcore und Grindcore eröffnet, den man ebenfalls nicht verpassen sollte, hat sich jedenfalls offenbar noch nicht überall herumgesprochen. Zumindest beginnt das Trio aus Texas sein Set in einer noch weitestgehend leeren Halle.
Zugegeben: Der Funke will auch nicht restlos überspringen, als sich die (überraschenderweise für ein Gipfeltreffen dieser Größenordnung nicht ausverkaufte) Arena während der Support-Show langsam aber stetig füllt. Mutmaßlich zu irritierend ist der chaotische Stilmix der sinnbildlich mittlerweile auch optisch so diffusen Band (gefühltermaßen: ein Britpopper am Bass, ein Surfer als Drummer und ein Skater an Gitarre, Gesang und Samples); zu überfordernd die orientierungslos machenden Stakkato-Abfolgen aus bestialischem Gebrüll, Blastbeats und schleppenden Grooves – selbst in Kenntnis des starken Debütalbums Let Pain Be Your Guide (2018) sowie des superben Kurzformates Suffering is a Gift.
Was aber auch daran liegt, dass die elektronischen Interludes zwischen den Songs live (wieder zu) willkürlich forciert wirken und die Setliste zerfahrend ausbremsen. Dazu kommt, dass die Band auf der großen Bühne ein wenig verloren anmutet, in einem kleineren Rahmen wohl besser funktionieren würde.
Doch immer wenn Portrayal of Guilt ihr kotzendes Amalgam in kurzen Attacken fokussiert von der Leine lassen, ist das in den stärksten Szenen sogar besser als auf Tonträger bereits ohnedies bereits – und damit über eine halbe Stunde als manischer Synapsensprengsatz exakt jenen Ruf der veritablen Nischensensation untermauernd, der der Band eigentlich längst vorauseilt. Weswegen zwar eine gewisse Distanz zum statischen Publikum bleibt, das sich aber mit Fortdauer doch immer mehr für den scheuklappenbefreiten Wahnsinn begeistern kann. Das nächste Mal gleich von vornherein nicht verpassen!
Touché Amoré
Derartige Anlaufschwierigkeiten kennen Touché Amoré freilich nicht: Gleich bei Honest Sleep springt Jeremy Bolm in die Menge, ein gutes Dutzend Kehlen brüllt in das Mikro – und spätestens beim zweiten Songs des Sets frisst das Publikum der Band bereits aus der Hand.
Denn nicht nur das Aushängeschild des Debüts …To the Beat of a Dead Horse funktioniert auf der Bühne grandios. Das gesamte (von der Menge adäquat eingeklatschte) Album zündet prächtig, zumal man viele der Songs schon lange nicht mehr live hören konnte. Es war also (trotz einer vorab diesbezüglich zugegebenermaßen aufgekommenen dezenten Skepsis) eine gute Idee, die Platte rund um Ihren zehnjährige Geburtstag (nach der Jubiläums-Neueinspielung Dead Horse X) auch auf der laufenden Tour chronologisch zur Gänze aufzuführen. Herausragend zünden dabei vor allem Cadence, der von Bolm selbst übernommene Rickly-Part von History Reshits Itself (mit bejubelten „Right-Wing“-Texttausch am Ende), Suckerfish und das intensive Adieux.
Doch im Grunde stimmt schon während dieses ersten Parts der Touché Amoré-Show nahezu alles: Da ist enthusiastische Euphorie auf beiden Seiten, Band und Publikum haben merklich Bock. Im Pit geht es ohne Verschnaufpause um und jede Nummer wird textsicher von den Fans mitgetragen. Es gibt ein paar schüchterne Zwischenansagen sowie den ständigen Zug zum Tor einer schnörkellosen und mitreißenden Performance. Das ist emotionaler Hardcore in einer eigenen Liga.
Noch mehr Feuerwerk geht trotzdem. Auf den Dead Horse-Part der Show folgt schließlich ein Schaulaufen der Hits und Lieblingssongs von Parting the Sea Between Brightness and Me (2011), Is Survived By (2013) sowie Stage Four (2016). Ein Highlight jagt deswegen das nächste, auch den neuen Song Deflector gibt es – leider nicht bedeutend aggressiver als auf (der wegen Lieferschwierigkeiten in Europa nicht am Merchtable erhältlichen) Platte, aber durch die Live-Energie zumindest doch impulsiver dargeboten.
Ein Detail, dass dann über Umwege doch noch kleine Schönheitsfehlern der Show offenbart, die explizit im Finale nach dem ausholenden Scyscrapers vor Augen geführt werden. Mit etwas über 50 Minuten hat das Set aufgrund seiner atemlosen Stringenz keinerlei Längen, entlässt ohne ein Gramm Fett auch ohne Zugabe beinahe wunschlos. Trotzdem schade, dass es in Wien im Gegensatz zum Gig in Budapest einige Tage zuvor kein Green als Abschluss gibt.
Stattdessen liefern Touché Amoré bereits ~ als nunmehr genormt das Ende besiegelten Rausschmeißer, zu dem Bolm die Fans auf der Bühne sehen möchte. Doch leichter gesagt als getan, bei den aufgebauten Sperrgittern, die nicht überwunden werden wollen.
Also springt eben Bolm noch mal in die Menge, das Mikro wird zum Gemeinschaftsutensil des Publikums, ein Typ wird über die Bühnenbarrikade getragen. Die erschöpfende Ekstase, die Touché Amoré unter noch kompakteren, nahbareren Rahmenbedingungen erzeugen können, kommt trotzdem höchstens in Greifweite. Als Entschädigung „nur“ eine kleine Machtdemonstration serviert zu bekommen, weswegen das Quintett als eine der bestens Bands an der Speerspitze des Genres steht, ist allerdings freilich auch nicht übel.
Setlist:
And Now It’s Happening in Mine
Honest Sleep
Cadence
Throwing Copper
Swimming With Sharks
History Reshits Itself
Suckerfish
Broken Records
Nine
Always Running Never Looking Back
AdieuxJust Exist
Amends
Pathfinder
Flowers and You
Deflector
Palm Dreams
Home Away From Here
The Great Repetition
Art Official
Displacement
Is Survived By
Rapture
Skyscraper
~
Deafheaven
Besser ist nur, dass man aufgrund der stilistischen Diskrepanz im Zweifelsfall ohnedies keinen der beiden Co-Headliner an diesem Abend favorisieren muss. Auch Deafheaven liefern nach dem Twin Peaks-affinen Sycamore Trees von Jimmy Scott als Intro entlang der hohen Erwartungshaltung beinahe makellos ab, runden gerade durch den ästhetischen Kontrast eine tolle Gesamtpaarung ab: Hier muss es ja auch keinen eindeutigen Gewinner geben – außer dem Publikum.
Die Reihenfolge der Bands erweist sich allerdings trotzdem als optimal; die langen, gewichtigen Epen von Deafheaven am Ende sind ideal platziert. Selbst wenn man nicht in den losbrechenden Tumult vor der Bühne steigen will, kann man sich gedankenverloren in den Sound der Band verlieren, der seine imaginative Sogwirkung live sogar noch weitreichender, zielstrebiger und auch kurzweiliger als auf Platte ausbreitet – die ebenfalls zugabenfreien, knapp 70 Minuten Spielzeit verfliegen förmlich, hätten insofern sogar gerne noch ein wenig länger dauern können.
Selbst wenn die Klimaxe der sechs gespielten Songs vielleicht stets ein wenig zu vorhersehbar inszeniert werden, wenn die enorm dominante Leadgitarre immer wieder zu triumphal gestikulierenden Melodie-Soli abhebt. Was (dem phasenweise nun wie ein Indie-Sunnyboy aus der Reihe zappelnden, optisch kaum wiederzuerkennenden) Scenestealer Kerry McCoy gegönnt sei. Immerhin ist Sänger George Clarke trotz allem der unangefochtene Blickfang der Band.
Ein hünenhafter Schlacks, der sich irgendwo zwischen sexuell aufgeladenen Ausdruckstanz-Schamanen und dirigierendem Stripper-Maestro mit halb verinnerlichtem At the Drive-In-Bewegungsabo zackig in prätentiöse Posen wirft, sich zwischen den Songs die Haare für den effektgeladenen Kreisel-Schwung eitel befeuchtet oder als Tambourine Man des Black Metal sowieso so untrve wie irgendwie möglich auftritt.
Den Ruf der Hipster und Poser werden Deafheaven an diesem Abend natürlich nicht los; wollen sie nicht (sagt alleine das bonbonfärbige Nick Steinhardt-Backdrop) und müssen sie auch nicht, so lange die Performance und die Musik derart auftrumpfen.
Und die vermisst das Deafheaven‘sche Spektrum aus dringlich in den gleißenden Himmel stürmenden Hymnik, keifender Manie, traumwandlerisch sinnierendem Schwelgen und der bestialischen Härte blastender Tremolowände eben furios. Nur Roads to Judah (2011) wird dafür in einer Setliste ausgespart, die Sunbather (2013) und New Bermuda (2015) mit jeweils einem Song beehrt und den Schwerpunkt selbstredend auf dem aktuellen Ordinary Corrupt Human Love (2018) legt, auch gleich mit dessen Vertretern (respektive Singleauskoppelungen) startet.
Honeycomb und Canary Yellow holen direkt an Bord, sind atmosphärisch dicht und kraftvoll – eigentlich bereits kleine Klassiker.
Doch erst mit der Riffgewalt von Brought to the Water kommt wirklich Explosivität in die Arena, herrscht auch durch die stimmungsvolle Lichtshow eine tranceartig fließende Dynamik aus beißend-aggressiver Spannung und weitläufigem Kopfkino. Dass die Band der Nummer anstelle des willkürlichen Piano-Abspannes der Studioplatte live mittlerweile ein mehrstimmig harmonierendes Conclusio spendiert und auf jedwede Gimmicks verzichtet ist eine hervorragende Idee – die grandios attackierende Thrash-Single Black Brick gleich unmittelbar hinterherzujagen sowieso.
Worthless Animal bekommt durch eine fast schon grotesk tollwütige Gesangsperformance noch mehr Biss als bisher und das erhebend strahlende Dream House ist nicht nur aus der Ferne überwältigend, wenn Clarke in die ersten Reihen klettert, seinen psychotisch stechenden Blick aus nächster Nähe in die Waagschale der Katharsis wirft und – stellvertretend für den ganzen Abend, der dem namhaften Line-Up zu aller Ehre gereicht – pure Begeisterung erntet.
Setlist:
Honeycomb
Canary Yellow
Brought to the Water
Black Brick
Worthless Animal
Dream House
1 Trackback