Deafheaven – Ordinary Corrupt Human Love
Wenn der triumphale 2013er-Wegbereiter Sunbather der gleißende Sonnenstich war, ist Ordinary Corrupt Human Love nun wohl das wilde Bad in der milden Sommersonne. In jedem Fall: Un-blacker, als es Deafheaven auf ihrem vierten Studioalbum tun, kann Black Metal jedenfalls kaum mehr klingen.
Deafheaven haben ganz offensichtlich erkannt, dass das unausgegorene New Bermuda von 2015 den Charakter ihres grundlegenden Wesens in die verkehrte Richtung zu entwickeln versuchte: Nicht umsonst hatte sich die Band nach Road to Judah (2011) mit Sunbather weit vom traditionellen Black Metal entfernt, doch begann das Drittwerk der Band von George Clarke und Kerry McCoy vielleicht auch mangels der Wertschätzung von Szene-Puristen an vermeintlichen Wurzeln zu werken, die für Deafheaven eben in eine Sackgasse zu führen drohten.
Das praktizierte Mehr an thrashigen Riffs und Härte fühlt sich nun zumindest im Rückblick als wenig natürliche Verbiegung vor Mustern und Tropen eines Genres an, dessen konservative Anhänger Deafheaven ohnedies nie die nötige Anerkennung zugestehen wollten. Ausgerechnet diese Tatsache, dass New Bermuda trotz aller Stärken insofern auch enttäuschen konnte, scheint sich für Ordinary Corrupt Human Love nun allerdings vollends auszuzahlen.
Immerhin ziehen Deafheaven die richtigen Schlüsse aus dem Vorgänger und wuchten Studioalbum Nummer Vier im Umkehrschub quasi in die gegenteilige Richtung: Ordinary Corrupt Human Love zelebriert die wohl endgültig polarisierende, massentaugliche Öffnung zu unbeschwerteren Strukturen, sonnigen Szenen und einer generell optimistischeren Grundstimmung: California Sunrise, euphorischer und wohlklingender, weniger gewaltsam und selbstzerstörerisch.
Black Metal ist da nur noch der lose auftauchende Kontrastrahmen für ein Album, dass sich zu weiten Strecken viel mehr in ätherische Postrock-Passagen zu verlieren pflegt, über Slowcore-Versatzstücke mit einem Hang zu ziemlich cheesy daherkommenden Melodien und Soli sogar immer wieder in Richtung Stadion samt hymnischem Stadiongestus aufschwingt, ohne schwingende Nackenmatte klimpert. Gerade in diesem demonstrativ vollzogenen Auflösen des metallischen Blackgaze-Korsetts gehen Deafheaven den nötigen Schritt, um (wieder) zum Einklang mit sich selbst und finden – und dabei auch ein größeres musikalisches Spektrum als bisher zu vermessen wagen.
Schon You Without End gibt dafür konsequent den Weg vor und schließt gleichzeitig einen Entwicklungsprozess ab, der auf dem Piano-Outro des Ghost Bath-Lookalikes Brought to the Water noch unentschlossen im Raum stand: Deafheaven ist eine auf dem Klavier erbaute Ballade als Begrüßung gelungen, deren wehende Gitarren mit sommerlicher Nostalgie eher aus Reverie Lagoon: Music For Escapism Only stammen könnte, den an etwaige Metal-Ursümpfe zu erinnern. Im Midtempo plätschert da eine kitschige Melancholie, Deafheaven spielen schon beinahe Pop mit behände hochschaukelnder Grandezza, Lana Del Rey-Melodik, gen Envy rezitierende Sprachsamples (von Nadia Kury und Tom McElravey) sowie einem durch den Hintergrund schunkelnden Harmoniegesang, der kaum greifbar wird. Der lange abstinente Clarke beginnt erst am erklommenen Sahnehügel garstig zu greinen und kontrastiert das hoffnungsvoll nach Lieblichkeit suchende Klangbild ohne es zu persiflieren oder zu untergraben. So entsteht Grande-Kammermusik im Hexenzirkel voller Pomp und Schmalz, Gift und Galle, die ihr Panorama immer majestätischer flimmernd über den Horizont samt Sonnenaufgang zieht: „And then the world will know/ Of all true love, true.“
Understatement geht anders, Konsequenz aber genau so. Zudem definiert You Without End damit unmittelbar die faszinierende Selbstverständlichkeit, mit der Deafheaven zu mutieren bereit sind, neue Häfen ansteuern und dafür auch riskieren, ihren Signature-Sound zu verschieben und in vermeintlich geschmacksverirrten Territorien zu übersteigern; also neue Extreme auszuloten – ausgerechnet was eine kontemplative Ruhe, weiche Lieblichkeit und zugängliche Sanftheit im Spektrum angeht.
Das bezaubernde Near geht in seiner zurückgennomen-entschleunigt Form gar soweit, die nachdenkliche Behutsamkeit von Slowdive zu adaptieren. Auch der traurig verwaschene Klargesang gibt sich textlich entsprechend minimalistisch („Thought I saw you there/ Wishing you were near/ Can I rest for awhile?“), wo die ansonsten gewohnt schwülstigen Lyric des Fokus von Clarkes Privatleben weg auf abstraktere Alttagsbeobachtungen legen.
In Night People holt sich der nicht mit makelloser Stimme gesegnete, aber die durchaus kohärent einsetzende (hier mehr denn je nach New Romantic-Epigone klingende) Frontmann dann sogar Ben Chisholm und Chelsea Wolfe als Duettpartnerin für eine mystische Neofolk-Klaviernummer samt Gothic-Flair, skelettiert marschierende Percussion oder organischer Elektronik aus dem pittoreskeren Hall ans Mikrofon: Eine ätherische Elegie mit ambivalenten Ergebnis. Zwar funktioniert der Song ästhetisch ansatzlos mit der restlichen Theatralik der Band, doch will die Nummer auf emotionaler Ebene weitestgehend als berieselnde Streicheleinheit nachwirken – im Gegensatz zur bittersüß packenden Leidensfähigkeit von Near, das sich einfach kompletter in den Klangkosmos der Band integriert.
Dennoch kein gescheitertes Experiment: Weiter draußen als in diesen beiden Nummern (die gerade als ruhigsten Passagen der Platte den überraschendsten Eindruck hinterlassen) waren Deafheaven schließlich bisher noch nie. Ein Umstand, der die Perspektiven zwangsläufig erweitert. Zudem liegen selbst derartige Spagate im Stil nicht außerhalb des homogenen Wesens von Ordinary Corupt Human Love. So kontrovers, divers und kontrastiertet die Platte hier im Speziellen und darüber hinaus im Allgemeinen auch sein mag, klingt sie dabei nicht bemüht oder unnatürlich konstruiert, sondern entwickelt einen stimmigen Gesamtfluss mit feinen Facetten und spannend wechselnder Dynamik.
Das liegt auch daran, dass Deafheaven den um diese stilistischen Expansionen gewachsene MO mit einer praktisch formvollendeten Zuverlässigkeit abrufen. Ordinary Corupt Human Love inszeniert typische Momente mit keifend-greinenden Gebrüll, jubilierenden Tremolo-Gitarren und etwaige Blastbeats praktisch makellos, auch wenn derartig automatisiert im hauseigenen Hohheitsgebiet abliefernde Szenen phasenweise durchaus den Autopilot anwerfen.
Die Vorabsingle Honeycomb nimmt sich etwa ausführlich Zeit und ballert seine Doublebass-Attacken unter ein Szenario, das Eleganz in der Aggressivität sucht und Bögen von traumhafter Süße finden („My love is a nervous child lapping/ From the glowing lagoon of their presence/ A field of flowers„), doch erst wenn ein katharsischer Befreiungsschlag einsetzt, finden Deafheaven zwischen den ohnedies wärmer als bisher ausgebreiteten Zeilen aus dem routiniert-überzeugenden Selbstzitat: Das oszillierende Spiel von Mastermind McCoy orientiert sich schon an den finalen Szenen, mit denen etwa Jimmy Eat World-Alben wie Clarity oder Futures in den Sternenhimmel hoben.
Zu dieser Emo-Verbundenheit passt es dann auch, dass das bezaubernde Glint später beginnt wie aktuelles von Brand New, bevor Deafheaven die Gitarren entschleunigt im Alternative Rock zurückspulen und den Song lange Zeit als reines Instrumental folgen, das unbeschwert und befreit aufspielend durchatmet. Selbst nachdem die Band ein tackerndes Inferno losbrechen lässt, dass trotz seiner Härte eher wie der tröstende Abspann nach dem erlebten Horror klingt, obwohl das Quintett erst auch immer noch eine Scheibe drauflegt, mehr Gas und Intensität gibt – letztendlich bleiben Deafheaven auf Ordinary Corupt Human Love immer erhabenen und epische blühende Schönheiten verbunden.
Noch eindrucksvoller vermisst das überragende Canary Yellow diese Spannweite: Die zweite Single der Platte beschert Deafheaven ein Karrierehighlight, das erst in den Fußspuren von Explosions in the Sky und Mono mit geschlossenen Augen in die leuchtende Transzendenz gleitet – wie fabelhaft alleine hier die Produktion von Jack Shirley über elegante, klar perlende Gitarren sowie die körperbetonte Rhythmussektion aufzeigt.
Flimmernde Reverb-Crescendos zitieren mit knackiger schnepfendem Schub einen schwelgenden Sinnierer herbei, als würde sich jeder Anflug von Heavyness sofort in einer tagträumenden Grandezza einlullen – selbst die bollernden Blastbeats sind Teil einer sphärisch sprintenden Atmosphärearbeit. Deafheaven galoppieren mit hymnischer Geste, variieren die Dynamik und werden sich im epochalen Gitarrenarpeggiofinale in umarmenden Gangvocals als triumphierenden Backingchöre stürzen. Schon zu diesem Zeitpunkt ist klar, dass diese Band will immer höher steigen, der Sonne nahe sein, wird jedoch einmal mehr nicht zum Ikarus.
Deswegen ist es auch eine passende Entscheidung, das abschließende Worthless Animal den an etwas zu billigen Ausweg über das Fade Out wählen zu lassen – nachdem der shoegazend die Früchte von Alcest erntend zwischen Arenarock und Dreampop rasend etwas zu ziellos agierend verabschiedet, ist der leise Ausklang der Platte symptomatisch für das glimmernd destillierende Wesen von Ordinary Corupt Human Love: 62 erstaunlich kurzweilige Minuten detonieren hier als eklektisches Amalgam voller offensichtlicher und subtiler Reminiszenzen und Assoziationen weniger punktuell, als dass sie flächig glimmernd destillieren. Soll auch heißen: Deafheaven haben sich hiermit endgültig freigeschwommen und in eine Position gebracht, die für Album Nummer 5 ein ganz neues Spektrum an Optionen öffnet. Vielleicht sogar vollkommen jenseits des Blackgaze.
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