Deafheaven – Infinite Granite
Deafheaven befreien ihren Blackgaze (wie auf Ordinary Corrupt Human Love vor drei Jahren eigentlich bereits angekündigt) von nahezu allen Black Metal-Elementen und konzentrieren sich mit Infinite Granite auf eine Melange aus Shoegaze, Dreampop und Postrock.
Wo der direkte Vorgänger aus dem Jahr 2018 eine Abkehr von jenen Praktiken, die Deafheaven seit dem Debütalbum Roads to Judah so konsenstauglich variierten, zumindest in Aussicht stellte, und die Liveplatte 10 Years Gone sich rückwirkend weniger als Nostalgie, den als Zäsur zu erkennen gegeben hat, vollzieht das fünfte Studioalbum der Kalifornier den stilistischen Paradigmenwechsel unter der stets klaren, sauberen, vielleicht auch etwas risikoscheuen und freie Radikale vermeidenden (also insofern eigentlich alle Vergleiche mit My Bloody Valentine ausklammernden) Produktion von Justin Meldal-Johnsen mit in sich geschlossener Konsequenz.
Die Schärfe wurde zwischen Referenzen wie Shelter und Souvlaki abgemildert, Tempo und Intensität nur noch mit dem Weichzeichner erstellt. Delay-Gitarren dominieren die mit Synthies verzierten Lagen, wohingegen integrale Bausteine wie bestialische Blastbeats nahezu vollständig aus dem Spektrum entfernt wurden – Ausnahmen wie die (sich von einer American Football (III) entliehen scheinenden Wohligkeit zu harscher auftretenden Konturen und einer ansatzweise reißenderen Aggression wandelnden) Great Mass of Color und dem ständig an Kraft gewinnenden Villain bestätigen die Regel. Geschrei gibt es von George Clarke zudem weitestgehend nur noch in diesen Segmenten, ansonsten höchsten in knapp bemessenen Dosen hinter der Atmosphäre versteckt.
Der cleane Gesang erweist sich als auffälligste Veränderung jedoch als neue Achillesferse von Deafheaven. Denn Clarke intoniert als generischer New Romantic-Epigone, wie ein Davey Havok ohne wirkliche Bandbreite, stets latent distanziert, kühl und auch ein bisschen zu hüftsteif, was die gleichförmige Austauschbarkeit von Infinite Granite doch unschmeichelhaft erhöht, anstatt den Tiefgang zu forcieren.
Daneben geht diese Kurskorrektur am Mikro allerdings eigentlich nur in The Gnashing, dessen knackig rockender Zug sich beschwörend aus dem Fenster lehnt, Clarke die angestrebten Amplituden der Gesangslinie aber nicht ausfüllen kann. Catchy ist das Ganze trotzdem – oder gerade deswegen – bevor die Nummer ihre aufkeimende Wildheit wie alles hier dem ästhetischen Gesamtkontext unterordnet.
Das restliche Kollektiv trägt Clarke aber sowieso, stützt ihn mit mehr Harmoniesucht in vielschichtigen Vocals (jeder trägt irgendwann seinen Teil zum Gesang bei), fängt ihn mit einer bittersüßen Sanftheit, einer nostalgisch-soften Melancholie auf, die (auch durch das doch sehr charakteristisch gebliebene Gitarrenspiel von Kerry McCoy und Shiv Mehra) dann doch vertraute Gefilde umschließt. Die Essenz der vergangenen zehn Jahre Deafheaven ist eben immer noch zu jeder Sekunde erkennbar, quasi als neue Form der Artikulation bekannter Muster und Motive; das Verschieben des Fokus und eine gravierende Gewichtsverlagerung bedeuten vor allem nicht, dass das Songwriting am von der Band gewohnten Niveau scheitern würde.
Zwar stimmt es, dass eine gewisse Gefälligkeit, auch unverrückbare Unverbindlichkeit, Einzug im Kosmos des Quintetts gehalten hat; dass das einst zwingende und packende Momentum des Metal nun mit einer auch mäandernden Veträglichkeit des Schönklanges aufgewogen wurde, und eine subtile Gleichförmigkeit in den Strukturen und dem Sound praktiziert wird: Die (da und dort sicher als unentschlossen bezeichnet werden könnenden) Kontraste und Amplituden der beiden direkten Vorgängerplatten sind einer schon berechenbaren Homogenität gewichen.
Die emotionale Katharsis entwickelt so gerade am Stück gehört aber auch etwas seltsam körperloses, ist nicht wirklich greifbar, füllt mit ihrer Anziehungskraft den Raum eines eklektisches Growers jedoch hinterrücks, zumal die besten Szenen der Platten auch die wenigen schwächeren Passagen überstrahlen.
Shellstar lebt etwa von seinem poppigen Schlagzeugspiel und der verträumten, schwelgenden Lieblichkeit im „nanananana„türlichen Ambiente, das tolle In Blur badet genüsslich in einem Goth- und Postpunk-Schimmer, bevor das instrumentale Interlude Neptune Raining Diamonds der Postapokalypse eine tröstende, wärmende Ausstrahlung verleiht, hoffnungsvoll funkelnd. Lament for Wasps mag ein Standard sein, skizziert aber ein feistes Solo und orakelt in seinen Nuancen, wie leicht der Song live variiert werden könnte, um nahtloser zu älterem Material zu passen.
Other Language fühlt sich bereits wie versöhnlicher Abschied an, ist in Summe über sechs Minuten zu zwanglos plätschernd, ebnet in seiner Unscheinbarkeit aber den Weg für Mombasa. Der Schlußpunkt beginnt fast folkig mit gezupften Gitarren aus dem Mike Kinsella-Lehrbuch scheunkelnd, besonders ruhig, weich, betörend, vermisst aber letztendlich den Weg bis zum angestammten Hohheitsgebiet von Deafheaven zurück, öffnet also die Ventile in den Blackgazeund bietet damit eine versöhnliche Geste mit breiter ausbalancierter Dynamik, was angesichts all der fabelhaften Melodien und imaginativen Atmosphäre (die dann zwischen den Wertungen liegend aber nicht ganz den Ausschlag für die höhere Punktezahl geben kann) gar nicht unbedingt als Conclusio notwendig gewesen wäre – aber dann doch irgendwie einfach verdammt befriedigend die zuvor anmutig balsamierte Wunde ausbrennt.
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