Deafheaven – 10 Years Gone
Die angedachte Tour fiel Corona-bedingt ins Wasser, weswegen Deafheaven ihr rundes Jubiläum kurzerhand mit einer Live-im-Studio-Platte feiern. 10 Years Gone ist dabei aber zu stark, um als bloßes Methadonprogramm durchgewunken zu werden.
Etwas mehr als ein Jahrzehnt ist es her, dass Deafheaven ihre erste Demo am 1. Juni 2010 veröffentlichten. Was 2020 auf einer gemeinsamen Tour mit Inter Arma, Greet Death and All Your Sisters durch Nordamerika zelebriert hätte werden sollen – wäre da nicht das weithin bekannte Problem mit der Pandemie.
„To rebound from the financial and morale hit, we put together an album of the set we intended to perform.“ erklärt George Clarke den Gang mit Jack Shirley in die Räumlichkeiten des Atomic Garden, der die abgesagte Konzertreihe am ehesten aufwiegen sollte.
Und wo es vor diesem Hintergrund ohnedies nicht extra erwähnt werden müsste, dass man nicht den Fehler machen sollte, die Auswahl der acht Songs auf 10 Years Gone mit einem Best of gleichzustellen (denn diesbezüglich kann die Platte ohne beispielsweise ein Black Brick oder Violet nur scheitern), darf man die Sinnhaftigkeit einer solchen Live-im-Studio-Platte zwar grundsätzlich auch hiernach weiterhin in Frage stellen, wenn Deafheaven auf Konserve natürlich nicht dieselbe stimmungsvolle Tiefe und Intensität erzeugen, wie sie es in natura auf der Bühne tun.
Doch überzeugen die aufgefahrenen 73 Minuten dann doch so nah wie wohl überhaupt möglich am essentiellen Mehrwert, indem bekannte Songs eine bisweilen furiose Frischzellenkur verpasst bekommen, mit kraftvoller Energie ebenso eine fokussierte Unmittelbarkeit destillieren, wie die Entwicklung der Band über die vergangenen Jahre transparent gemacht wird.
Das ohne Piano auskommende The Pecan Tree wird ebenso wie Dream House um einige Gitarrenlagen entschlackt, die Songs agieren zudem weniger aggressiv als noch auf Sunbather (2013), dafür aber auf noch melodischere Nuancen hin ausbalanciert. Das erstmals physisch erhältliche, Death-affine From the Kettle Onto the Coil schärft über das Zusammenspiel von Kerry McCoy und Shiv Mera seine Konturen; gerade Daedalus als Deafheaven-Genesis klingt nun knackiger und kompakter, ist wie auch das ähnlich modifizierte, seine Texturen nunmehr weitaus detaillierter ausleuchten könnende Language Games vom 2011er Werk Roads to Judah spielzeittechnisch präziser auf den Punkt gebracht.
Die Modifizierungen der Nummern bleiben im stets im Rahmen, schlagen vor allem in kleinen Segmenten und Facetten zu Buche, führen aber auch dazu, dass etwa ein berauschendes Glint (von Ordinary Corrupt Human Love aus dem Jahr 2018) nun hoffnungsvoller den Sound lüftet, leichter und melancholisch. Nicht nur in Vertigo kommen die Post Rock-Parts auch atmosphärischer und reichhaltiger zur Geltung als auf den ursprünglichen Album-Versionen, haben mehr Geduld, während der shoegazende Anteil seine Schleifen mit verträumter Bandbreite darüber ziehen kann. Wenn der Song über das immer noch überschaubare Funken sprühende Solo Tempo aufnimmt, kann auch Clarke als fauchender Derwisch zeigen, dass er wie auch der Rest der Band stets in giftiger Hochform agiert. Was alles verdammt gute Argumente sind, sich das wunderbar ausgewogen eingefangene und druckvoll nach vorne ziehende 10 Years Gone unbedingt ins Regal stellen zu müssen (denn besser gehen diese Art von Aufnahmen wohl kaum) – aber eben auch die Tatsache umso deutlicher unterstreicht, dass das als tatsächliches Live-Erlebnis einfach noch zwingender gewesen wäre.
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