Damien Rice – My Favourite Faded Fantasy
Einer der gängigsten Kritikpunkte an ‚9‚ war 2006, dass das Zweitwerk von Damien Rice zu deutlich in der Nähe des alles verschlingenden Gravitationsfeld von ‚O‚ stattfand. 8 Jahre in weitestgehender Funkstille später setzt der irische Wundersongwriter nun vieles daran, diesen Teufelskreis von vornherein zu umgehen.
Das beginnt bereits bei der Wahl des Produzenten (Rick Rubin übersetzt den Folk des 40 Jährigen ins Amerikanische, schleift Kanten glatter, Intimitäten ins große Rampenlicht und pimpt die Arrangements weg von der rührseligen Märchenwelt hin zum bombastischen Romantic-Blockbuster-Abspann: was dann auch die Frage legitimiert, wann der einstige Überproduzent und heutige Loudness War-Kriegsherr in letzter Zeit einem Album tatsächlich mehr genutzt als geschadet hat) und setzt sich beim Blick auf (Albumtitel und) die Trackliste fort, der verrät, dass Rice bei gerade einmal 8 Songs in 50 Minuten ein Faible für deutliche Überlängen gefunden.
‚My Favourite Faded Fantasy‚ gönnt sich demnach auch viele elaborierte Ausschweifungen, letztendlich weist dennoch kein Song eklatante Leerlaufphasen auf: Rice hat seine Händchen für emotionale Melodien und berührende Herzschmerzmomente weiterhin sorgsam geschliffen hat und hat über die Verweigerungsjahre nichts von der alten Songwriter Klasse einbüßen müssen.
Dazu schleichen sich die Feinjustierungen und Neuausrichtungen vor allem Eingangs gar nicht so zaghaft ins Rice’sche Barden-Universum: der eröffnende Titelsong experimentiert mit rührendem Falsettgesang und ‚Hotel California‚-Harmonien, funktioniert dabei aber nun als Opener in umgekehrter Proportion genauso spannungsaufbauend, wie der Song als für sich stehender Vorbote enttäuschen konnte – bevor das epochale ‚It Takes A Lot To Know A Man‚ dem Fass den Boden ausschlägt und sich über knapp 10 Minuten regelrecht progressiv mit tröpfelndem Piano und launigen Streichern vor einer Melodie niederkniet, die die Wartezeit auf ‚My Favourite Faded Fantasy‘ praktisch im Alleingang rechtfertigt: streichelweicher Schmusepop ohne Hang zur Bissfertigkeit ist das, der hinuntergeht wie Öl, aber um keinen Umweg verlegen ist. Erst einmal in ein dunkles Loop-Meer gekippt nimmt der Song durch eine klassisch orientierte Klavierruhephase dann auch tänzelnd neuen Anlauf, voller Klasse und einem bittersüßen Streicherszenario; Bläser taumeln in das Szenario, eine Lounge verschwindet in feierlicher Melancholie. Und Damien Rice erscheint nach all den Jahren größer, als ihn selbst die Erinnerung an ‚O‚ hat werden lassen.
Danach nähert sich der Ire stilistisch allerdings näher seinen beiden Erstlingswerken an, schwelgt in seinen immer an der Grenze zum Schmalz balancierenden Gefühlsballaden und lässt nicht nur die romantische Gittrenminiatur ‚The Greatest Bastard‚ zu einem triefenden Disney-Szenario mit einem Himmel voller Orchestermonument wachsen. Die Arrangements verkommen dabei kaum zum unnötig ausschmückenden Beiwerk, weniger wäre aber eventuell manchmal mehr gewesen und dass nahezu jeder Song auf ‚The Greatest Bastard‚ ähnlich strukturiert auftritt (zurückgenommener Beginn steigert sich in immer theatralischer zum opulenten Orchestercinemascope) ist der vielleicht wahre Pferdefuß an ‚My Favourite Faded Fantasy‚ – wahrscheinlich aber als Kompensationsmechanismus zu verstehen, der den Abschied von Lisa Hannigan auch abseits der aufarbeitenden Lyrics (die sich nicht derart unironisch und bauchpinselnd humorlos geben, wie man das erwarten möchte. „I helped you open out your wings/ your legs, and many other things/ Didn’t I?„) auszugleichen versucht: wo die mittlerweile auf Solopfaden wandelnde Hannigan wohl feingliedrig übernommen hätte, sucht Rice nun die große Geste, findet so neue Klangfarben und verliert im Grunde auch nichts von seiner Wärme und Innigkeit. Er singt nun mit einer sichereren Stimme als auf den Vorgängern, rundet spätestens hier die Emanzipation von seinem Debüt ab.
Die bisweilen magische Breakup-Atmosphäre, die aus den reichhaltig aber nie unangenehm überladen wirkenden Songs wächst, die offen vor sich hergetragene Emotionalität, sie ist jener von ‚O‚ und ‚9‚ nicht unähnlich und fühlt sich doch gänzlich anders an, auch, weil Rice natürlich nicht mit vollends mit seiner Vergangenheit bricht (‚Long Long Way‚ lehnt sich etwa an ‚Cold Water‚ an, ‚The Box‚ an ‚The Blower’s Daughter‚): Rice platziert sein Gespür für feine Singer/Songwriter-Perlen aus ästhetischer Sicht weiter drinnen im konventionellen Songwriterzirkus, treibt der Masse damit aber immer noch mühelos voraus. Mit mehr Grandezza und Stil suhlte sich 2014 kaum jemand im Kitsch.
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