Cult Of Luna & Julie Christmas – Mariner
Cult of Luna verlagern ihren konzeptionellen Post Metal auf Mariner erneut und verlassen die beklemmende Industrial-Dystopie von Vertikal und dessen Appendix Vertikal II, um gemeinsam mit Julie Christmas die unendlichen Weiten des Weltalls zu erforschen.
Hat man grundsätzlich so seine Schwierigkeiten mit dem so weitreichenden Organ der ehemaligen Battle of Mice und Made out of Babies Sängerin, musste man Mariner zwangsläufig ein wenig skeptisch entgegenblicken – am Hang zur exaltiert quäkenden Vorführ-Theatralik kann man sich subjektiv eben nur zu leicht verschlucken.
Unbegründete Sorgen, wie Mariner letztendlich zeigt. Die so schizophren in der gesamten Bandbreite von psychotisch bis engelsgleich umschaltende Stimme der Brooklynerin harmoniert generell erstaunlich nahtlos mit dem imposanten Post Metal der Schweden und deren monolithischen Expeditionen – dass die Aufnahmen der beiden Parteien separat auf unterschiedlichen Erdteilen entstanden sind, würde man ohne entsprechende Information kaum mutmaßen – man spürt keinerlei Distanz zwischen Christmas und der Band. Mariner fühlt sich in den besten Momenten deswegen so an, als würden die bulligen Fantasten Cult of Luna eine kaum zu bändigende Bestie an der Stacheldrahtleine halten, die ohne Mühen vom Gift und Galle spuckenden Brüllwürfel zur anschmiegsamen Schmeichlerin wandelt und den Schweden Wege in einen deutlich weiteren Klangraum als zuletzt weist, dabei aber den Sound gleichzeitig auch zu einer organischeren Erdung leitet.
Christmas sorgt damit nicht als zusätzliches Gimmick, sondern als gewichtiger, gleichberechtigter Part für feine zusätzliche Facetten und Nuancen in den zu erforschten Landschaften. Schwer zu sagen bleibt da, ob sie die Spielwiese von Cult of Luna damit vielleicht genau im richtigen Moment bereichert, oder ob die Vorteile ihrer Beteiligung, die konzeptionell einhergehende Atemfreiheit in der Produktion und den Arrangements nicht auch mit einem Haken verbunden sind. So unverwechselbar die Schweden ihren unverwechselbaren Sound auch auf Mariner nämlich pflegen – man meint den Weggang einiger tragender Stützen (Keyboarder Anders Teglund und Stamm-Gitarrist Erik Olofsson) in der Besetzung zwischen den Zeilen und der weiterhin aufgefahrenen Monumentalität durchaus zu hören, in der Tiefenwirkung zu spüren.
Sind die fünf neuen Songs in ihrer Konstruktion aber tatsächlich leichter auszurechnen, eher physisch präsent, als psychisch beklemmend, entwickeln sie ihre emotionale Wucht eher durch die Massivität und den aufgebauten Druck? Oder strahlen die Momente der Schönheit bisweilen gleißend hell obwohl/gerade weil Mariner verlangt Christmas‘ Stimme unweigerlich folgen zu müssen ohne sich durch deren markante Leitsymbolik vollends in den hypnotische Rausch der Kompositionen fallen lassen zu können? Fest steht: Mariner umspült weniger, als dass es dem Ritt auf einer unbarmherzigen Welle gleichkommt. Und natürlich: Hinsichtlich derartige Fragen offenlassender Kritikpunkte müssen sich Cult of Luna längst nur mehr an sich selbst und den hauseigenen Meisterwerken messen lassen – eine nichtsdestotrotz beeindruckendere und überwältigendere Reise als Mariner wird man im Genre 2016 angesichts der Klasse der versammelten Songmonolithen vermutlich nur schwer finden.
A Greater Call beginnt atmberaubend warm, nachdenklich, melancholisch, nur um bald darauf umso mächtiger zu explodieren, sich stoisch in die Intensität zu arbeiten. Infernales Gebrüll und in den Himmel steigende Gesangslinien umgarnen sich, das effiziente Riff malträtiert mit variabler Hand über einem ausufernden Soundkosmos, der letztendlich in eine entspanntere Versionsnummer des Eingangsinferno zurückfindet. Das neue Setting in der Freiheit des Kosmos steht der Band, gerade die stilleren und melodischeren Momente funktionieren im Schulterschluss mit dem Konzept kopfkinotechnisch am nachhaltigsten.
Im immensen Grower Chevron gibt Christmas dann den zwielichtig um die Ecke schielenden Screamo-Creeper, zieht die Zügel vor knarzemdem Bassgroove bald enger. Die Band untermalt jedes Aspekt mit malmender Härte und viel Feingefühl, bis der Spannungsbogen in brutaler Härte aufbricht. Das Zusammenspiel harmoniert perfekt, Cult of Luna werken mit grimmiger Konzentration, während Christmas faucht, kratzt und beißt, bevor sich am Ende einer leidenschaftlichen Abfahrt beide Parteien tröstend streicheln.
Die Katharsis, die das sich erst bedrohlich und aggressiv auskotzende The Wreck Of S.S. Needle mit dem Schritt ins Hymnische, Epische vollzieht ist dagegen in seiner Länge etwas zu ausführlich zelebriert. Aber dennoch stimmig, zeichnet eine poetische Größe mit hoher Eingängigkeit auf die das für sich alleine stehend etwas träge Durchatmen der Platte folgt. Approaching Transition entschleunigt die verdichtete Stimmung, plätschert postrockig über Synthiewelten, die die traurige Eleganz auffangen, stapft bekümmert durch die Endlosigkeit und köchelt irgendwann doch noch unerbittlich auf.
Dennoch: das über die ersten drei Kompositionen etablierte Niveau fällt hinten hinaus dezent ab. Gerade das über weite Strecken fulminante Cygnus als Schlusspunkt findet nicht die auslaugende und erschöpfende Transzendenz, die man sich nach einer faszinierenden Reise als finale Erlösung erträumt hätte. Dass die entfesselt gniddelnden Tabbing-Spacerock-Gitarren zumindest zuviel Malen nach Zahlen verhindern, und sphärische Ambientwelten mit erhabener Atmosphäre malen, um eruptiv zu zünden, unterstreicht dann auch irgendwo den ambivalenten Charakter eines nicht über die volle Distanz euphorisierenden, aber in sich absolut stimmigen, faszinierend entfesselnden Gesamtwerks, das mehr als nur eine brillante Fußnote im Schaffen einer Ausnahmeband und die potentielle persönliche Aussöhnung mit Christmas darstellt.
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