Cult of Luna, Brutus, A.A. Williams [06.12.2019: Arena, Wien]
Und schon wieder so ein Abend, an dem sich ausnahmslos herausragende Tourkollegen die Klinge in die Hand geben: A.A. Williams und Brutus liefern die Steilvorlage, damit Cult of Luna eine überwältigende Dominanzgeste als aktuell unangefochtener Genre-Primus zelebrieren können.
Kurz bevor das abschließende The Fall in sich geht, um ein letztes Mal eruptiv und extatisch erschöpfend auszubrechen, wonach Cult of Luna von der Bühne verschwinden und ein wenig anerkennendes Klatschen das Maximum an direkter Interaktion seitens der Musiker mit dem Publikum darstellt, erklimmt Bandkopf Johannes Persson die Verstärker zwischen den Drumsets seines (mit Gitarrist Kristofer Jankarls verstärkt) als siebenköpfiges Kollektiv aufgetretenen Zusammenschlusess, und betrachtet vor dem postapokalyptischen Segel-Backdrop im eindringlichen Lichtshow-Meer die heterogene Zuschauermenge, die die Arena gefüllt hat, um den aktuellen Gradmesser des Post Metal ehrfürchtig zu bestaunen.
Das hat als Standortbestimmung dann auch längst nichts mehr damit zu tun, dass Neurosis die Form ihres Lebens hinter sich haben und Aaron Turner mit Sumac eher die unkonventionelle Herausforderung sucht, nachdem er Isis vor einer Dekade justament zu Grabe getragen hat, als die Schweden wohl ihre definitivste Genialitätsphase jenseits des Epigonentums erreichten: Seit knapp einem Jahrzehnt liefern Cult of Luna nahezu makellos ab – und haben diesen Status Quo nicht nur im aktuellen Studioalbum A Dawn to Fear beeindruckend kanalisiert, sondern die Tour drumherum auch zu einem puren, beeindruckenden Schaulaufen am herrschenden Nonplusultra gemacht. Aber der Reihe nach.
A.A. Williams
A.A. Williams hat mit ihrer selbstbetitelten EP ein absolutes Jahreshighlight (und unlängst auch auf Vinyl wieder)veröffentlicht – die gemeinsame Platte mit Mono steht derweil kurz bevor. An dieser Ausgangslage setzt die Supporttour der Engländerin an, die eine erst noch relativ leere Arena mit der hypnotisch-betörenden Sogwirkung ihrer dunklen Goth/Rock/Folk/Americana-Balladen auch rasch füllt. Absolut verdient. Der satte Sound der Rhythmussound gibt der mysteriös aus Twin Peaks herüberträumenden Atmosphäre schließlich eine zusätzlich organisch-satte Textur und Räumlichkeit, die im Nebel und den tiefen Farbtönen einer (den ganzen Abend über und in jeweils individuell starker Akzentuierung) Lichtgestaltung aufgeht und den Sound von Williams weiter wachsen lässt, verführerisch anzieht.
Gleich das klar flirrende (neue) Love and Pain gibt insofern einen Eindruck davon, wo Wye Oak nach Civilian in die Outlaw-Nacht abbiegen hätten können, installiert aber mit mächtigen, assoziativen Reverb-Gesten einen live allgegenwärtigen MO, der durchaus Sorgen bereiten kann. Denn auch das erst komplett entschleunigte, dann mit sanftem Groove in die Arme nehmende Belong taucht ein bisschen magisch in den ebenso somnambul ausschweifenden, puren Postrock an. Wenn aber auch eine bisher unbekannte Nummer sowie das erst melodisch am Bass herbeigeschmeichelte, dann kantiger packende Melt diesen immer selben Spannungsbogen in den funkelnden Hall wählen, funktioniert das auf der Bühne zwar triumphal – allerdings wird Williams anhand dieser Gradmesser für künftige Tonträger wohl aufpassen müssen, dass sie auf Albumlänge nicht zu ständig ähnlich strukturierten Klimaxen neigt. Sobald das Finale in Form von Control als zupackender Exzess im Stroboskop-Sperrfeuer zündet ist das aktuell freilich irgendwo vorerst egal. Diese wundervoll sehnsüchtige Melancholie kann nicht kaltlassen.
Setlist:
Cold
Love and Pain
Belong
?
Melt
Control
Brutus
Stichwort Momentum: Das haben die Belgier von Brutus definitiv auf ihrer Seite und rund um ihr hochgejazztes Zweitwerk Nest einen gehörigen Popularitätsschub erfahren. Dass der nicht unverdient ist, lässt sich über 40 bisweilen furiose Minuten rekapitulieren. Mehr noch: Das Material von Nest gewinnt im Live-Outfit einfach merklich an Intensität, Druck und Wucht, was das Tonträger-Ergebnis beinahe noch ein wenig enttäuschender wirken lässt. Zumal sich auch der Eindruck bestätigt, dass die Songs des Debütalbums nichtsdestotrotz einfach noch besser sind, als die des Nachfolgers: der unberechenbare Übermut und die impulsive Aggressivität der Burst-Nummer steht jedenfalls klar über dem Rest.
Einigen wir uns im Zweifelsfall allerdings darauf, dass die Songs in ihrer Live-Version durch die Bank allesamt gewinnen, wenn detwa as ausgebaute Horde II im Gewitter explodiert, Drive so unheimlich packend angetrieben wird und Space bis zur krautigen Abenteuerlust wandert, wo Techno im Übermut gar neu begonnen werden muß, um nicht über das Ziel hinauszupreschen.
Es spiegelt sich einfach wider, dass die Band absolut Bock hat und sich von der kleinen Gruppe aufdringlicher Enthusiasten im Publikum zusätzlich pushen lässt, gerade Bassist Peter Mulders und Stefanie Mannaerts (als Schlagzeugerin immer dann wirklich gut, wenn sie nicht – auf der Bühne näher bei Alizee als bei Björk – gleichzeitig singen muß; und umgekehrt) spielen sich einen kraftvollen Wolf, das dynamische Set strotzt vor Energie.
Auch ohne die in den vergangenen Monaten auf Brutus niederprasselnden Jubelgesten zu teilen ,muß man schon zugestehen, dass der Unterhaltungswert des Trios live absolut klar geht.
Setlist:
War
Cemetery
Horde II
Drive
Space
Justice De Julia II
Techno
Baby Seal
Sugar Dragon
Cult of Luna
Cult of Luna spielen hingegen diskussionslos in ihrer eigenen Liga. Und das Wien-Gastspiel der laufenden Tour ist dann eben im Grunde (und ungeachtet einer kleinen Irritation nach dem darkfolkig in der Scwebe hängenden Lagerfeuer-Intermezzo der Bühne vor I: The Weapon) auch makelloser Ausdruck dessen. Eine Wall of Sound, die die sieben Musiker – darunter zwei Schlagzeuge, eine (erst zu wenig akzentuiert vernehmbare) Synthieanlange und drei Gitarren – erzeugen ist unfassbar wuchtig und majestätisch, umspült mit einer hermetischen Heavyness und saugt atmosphärisch unerbittlich in den Klangkosmos der Schweden. Auch optisch steht die fehlerfreie Performance dem in nichts nach, wenn die Lichtshow zwischen ambienter Tiefenwirkung und infernalen Muskelspiel auftrumpft, von den sich in Posen werfenden Musikern meist nur Silhouetten überlässt, keinerlei Zwischenansagen oder Animationen benötigt – Leithammel Persson streift höchstens über die Bühne und lässt seinen Blick durch die Masse streifen.
Die scheint derweil geradezu andächtig mit der beeindruckend inszenierten Band zu verschmelzen, die wie ein tonnenschwer walzender Organismus alles im sich herum assimiliert, Raum und Zeit vereinnahmt und die Wahrnehmung in einem physisch greifbar werdenden Ozean des Post Metal in verlieren lässt, so das selbst die Luft schwer wiegt.
Knapp 100 Minuten spielen die Schweden ein Set, das sich nur aus Material von Somewhere Along the Highway (2006), Vertikal (2013) sowie A Dawn to Fear speist. Keine einzige davon lässt in seiner Gravitation auch nur eine Sekunde nach. Das ist in seiner Sogwirkung fast schon absurd kurzweilig, hat keinerlei Längen und hätte auch gerne doppelt so lange dauern können. Dass es natürlich keine Zugabe gibt, passt trotzdem ideal zur kompakt in sich geschlossenen Show: Hier sitzt einfach jedes Detail in einer brachialen Anmut, einer gefühlvoll ausbalancierten Brutalität und ebenso roh wie erfüllend in wohltemperierter Ganzheitlichkeit.
Die Riffkaskaden brüten vom imposanten Opener The Silent Man weg noch überwältigender als auf Platte, der Groove hebelt im Magen und verstärkt gerade auch rhythmische Extravaganzen wie den pumpenden Mittelteil von Nightwalkers und spannt den Nacken nicht nur für In Awe of archaisch an. Dass die dabei vermessene Bandbreite einer tonalen Planierraupe trotzdem nuanciert bedrängend und in aller Perfektion emotional instinktiv funktioniert, wird alleine über die beiden Ruhepole And With Her Came the Birds sowie Passing Through überdeutlich: zwei Herzstücke mit Gänsehaut – die subjektiv gerne um das stimmige We Feel the End ergänzt hätten werden können, wo generell zumindest eine Vertikal-Nummer gegen neueres Material getauscht verkraftbar wäre.
Cult of Luna kommen live jedenfalls einer rituellen Erfahrung gleich, zelebrieren eine Machtdemonstration, deren spirituelle Körperlichkeit fast schon übermächtig ausgebreitet spätestens am Ende der Show noch eine menschliche Komponente bekommt, wenn Brüllwürfel Persson sich als zuvorkommender Kerl entpuppt. Erfüllender geht kaum.
Setlist:
The Silent Man
Finland
Nightwalkers
I: The Weapon
And With Her Came the Birds
Lights on the Hill
In Awe Of
Passing Through
The Fall
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