Colter Wall – Western Swing & Waltzes and Other Punchy Songs
Rund um sein fabelhaftes, sebstbetiteltes Debütalbum 2017 hätte man Colter Wall noch ansatzlos attestiert, zu jener Riege an jungen Nachwuchstalenten zu zählen, die die Zukunft des Country formen werden. Spätestens mit Western Swing & Waltzes And Other Punchy Songs weiß man nun allerdings, dass dem heute 25 Jährigen daran nichts liegt.
Viel eher ist anhand des Drittwerks des Kanadiers endgültig klar, dass Wall alleine daran interessiert ist, die Vergangenheit in der Gegenwart zu verankern, dem Country als Traditionalist weniger neue Perspektiven aufzuzeigen, als die pure Zeitlosigkeit des Genres zu zelebrieren, ohne dabei jemals wie ein bemühter Gimmick-Anachronist oder angestaubtes Pseudo-Relikt aufzutreten. So, wie es bereits Songs of the Plains 2018 wollte, aber nicht derart überzeugend bewerkstelligte. Man ist nun mitten drinnen in dieser auf die Prärie und das Ranchleben konzentrierten Welt, in der es mit ehrlicher Arbeit darum geht, sich der Annalen würdig zu erweisen und diese gleichzeitig mit frischem Wind flott zu halten; Klasse jenseits aller Trends zu zeigen, weil man die ungefälschte Authentizität, die Wall in die Nostalgie legt, ohnedies nicht imitieren kann. Ein bisschen Magie, ohne verklärende Romantik.
Was im speziellen Fall eben bedeutet: Wall hat mit Western Swing & Waltzes And Other Punchy Songs ein Album aufgenommen, das seine Agenda schon im Titel ohne überhöhte Ebene preisgibt; und von dem nur noch die Hälfte des aufgefahrenen Materials überhaupt aus der eigenen Feder stammt, während die andere durch verdiente Songs mit jeweils mindestens über einem halben Jahrzehnt am Buckel gefüllt wird – man aber zwischen Originalen und Coversongs gefühlt keinen Unterschied machen kann und will, weil sie derart natürlich nebeneinander stehen.
Der Titelsong etabliert diese zeitlich gelöste Gangart exemplarisch mit einem unaufgeregten Auftritt, ist simpel und locker nach vorne gehend, mit voller Bandbesetzung im Rücken eingespielt auf subversive Art reichhaltig, wenn instrumental ein breites Spektrum von der Harmonika über Slide Gitarren und Piano sowie Fidel auftauchen, aber nichts hier überladen wirkt, alles bescheiden bleibt. Das fabelhafte Big Iron (Marty Roberts) tritt ähnlich munter und flott auf, der Bass und die federnden Drums geben wie so oft – etwa auch in High & Mighty (aus der Feder von Lewis Martin Pederson) – das gelöste Ambiente vor, in der eine Ausnahmestimme förmlich in die großartige Interpretation der unsterblichen Nummer schmilzt. Auch, wenn man das tiefere Timbre im Organ, das die ersten eineinhalb Alben so unsagbar prägnant dominierte, dabei durchaus stark vermissen kann. Zumal die Spielweise knapp fünf Jahre nach der Debüt-EP generell beschwingter, die Atmosphäre weniger bedrückend geworden ist – und die Transformation vom vergleichsweise folkigen 2017er Einstand zum ausnahmslosen Cowboy-Style hier längst abgeschlossen scheint. Vielleicht adressiert Wall das vor geschrammter Gitarre rhythmisch eilende Spoken Word-Stück Talkin‘ Prairie Boy insofern auch ein Stück weit an sich selbst, wenn er belächelnd und süffisant Ratschläge verteilt: „East Nashville kid in a cowboy hat/ Couldn’t tell a shoe lace from a lariat/ And the furthest west he’d ever been is Ohio/…/ So if you’re in Nashville trying to look cool/ But ya can’t tell a pretty palomino from a mule/ Take my advice and leave the buckaroo hat on the shelf“ – dabei aber vielleicht mehr als je zuvor wie jemand klingt, der das Erbe von Townes Van Zandt oder Johnny Cash als Konsens über Genre-Grenzen durchaus mainstreamtauglich zu bedienen, ohne auch nur einen Meter aus seiner Kompetenzzone abzuweichen.
So wird es zwar im späteren Verlauf etwa mit dem catchy Rocky Montain Rangers noch flapsige Ohrwurm-Singalongs geben, die an Geschwindigkeit zunehmen, doch wählt Western Swing & Waltzes And Other Punchy Songs trotz der knackig bleibenden Direktheit und kurzweiligen Unterhaltsamkeit zumeist ein ruhigeres Auftreten, wenn schon das Traditional I Ride An Old Paint / Leavin‘ Cheyenne deutlich intimer und reduzierter Auftritt, auch Henry and Sam entspannt dahinstapft.
Noch besser sind da nur das ebenfalls aus dem überlieferten Songbook stammende Diamond Joe, ein absolut ergreifendes (neuerliches) Duett mit Vincent Neil Emerson, das zudem ideal demonstriert, dass die erstmals in Eigenregie übernommene Produktion nun noch nackter und unprätentiöser geworden ist, näher am Live-Erlebnis kein High End sein will, sondern heimeliger auftritt: der Raum hinter den Stimmen ist greifbar, einladend. Im wundervoll schippernden Geniestreich Cowpoke von Stanley Davis Jones jauchzt und jodelt Wall allerdings nicht nur mit gedämpfter Euphorie, auch bestechen für sehnsüchtig-schwelgenden Arrangements, ohne deswegen aus dem Rahmen zu fallen.
„One month on the road will leave you wondering/ How any man could ever want for more/ But 3 months on the road will leave you stumbling/ Falling through another hotel door/. ../ If I’m paid well, a tale I’ll tell and sing/ I seldom pay a cent for my drinks/ The folks in here tonight think I’m a king/ I’d trade it all for a double rigged saddle and good pair of chinks“ heißt es in der abschliessenden, melancholisch zurückgelehnten Standortbestimmung Houlihans At The Holiday Inn – womit Colter Wall den Zustand seiner Welt nicht nur perfekt zusammenfasst, sondern auch mit einer solch chronistischen, unstillbaren Unmittelbarkeit daran teilhaben lässt, die moderne Western-Studien von beispielsweise einem Tyler Sheridan beinahe wie inszenierte Kulturtrips anmuten lässt.
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