Colin Stetson – New History Warfare Vol. 3: To See More Light
„The Shape of Jazz to Come„? Vermutlich eher nicht. Denn wie sollen andere Musiker derartiges nachahmen, wenn sich Normalsterbliche nicht einmal ansatzweise ausmalen können, wie der vielbeschäftigte Colin Stetson die unfassbaren Songs seiner Solokarriere überhaupt komponieren konnte.
Außerdem stellt ‚New History Warfare Vol. 3: To See More Light‘ die berechtigte Frage, inwiefern dem originär zirkulierend-atmenden Stil Stetsons hiernach überhaupt noch etwas hinzuzufügen sei. Denn mag ‚New History Warfare Vol.2: Judges‚ streng genommen auch das bahnbrechendere Kunstwerk gewesen sein: im dritten Teil, dem Abschluss einer Trilogie, bringt Stetson all seine unnachahmlichen Trademarks zur Formvollendung. Wo etwa das bestialisch wehklagende ‚Hunted‚ vor getriebenem Klackern die Gedanken von ‚Judges‚ weiterspinnt und damit auch die Limitierungen in der Weiterentwicklung der unnachahmlichen Spielwiese Stetson aufzeigt, ist ‚New History Warfare Vol. 3: To See More Light‚ abermals ein ähnlich radikal auslotendes Werk geworden wie sein Vorgänger, in seinem Königreich zudem ein nahezu makellos wandelndes und beinahe unkompliziert zu goutierendes.
Ausführungen mit vokalen Passagen gab es bereits zuvor, derart ausführlich experimentiert mit Gesangspassagen wie auf ‚New History Warfare Vol. 3: To See More Light‚ hat Stetson jedoch noch nie (lassen). Dass der Wahl-Kanadier seinen langjährigen Kumpanen und Bon Iver-Chef Justin Vernon ans Mikrofon geholt hat, passt dann nicht nur aus chronologischer und freundschaftlicher Hinsicht, sondern vor allem in atmosphärischer: der anmutige, folkige Gesang in ‚And In Truth‚ schafft einen freundlichen Einstieg in ein ansonsten beklemmend dichtes Werk. Die entrückten, gespenstische Zeilen Vernon’s in ‚Who the Waves Are Roaring For (Hunted II)‚ ergänzen die majestätische Dunkelheit der songgewordenen Schönheit in bisher wahrscheinlich direktester Form. In eine ähnliche Richtung bewegt sich ‚What Are They Doing in Heaven Today?‚ – nach Mogwai schon die zweite Interpretation des Washington Phillips-Gospelsongs innerhalb kurzer Zeit. Hier freilich noch weiter draußen – also ungefähr dort, wo Vernon und Stetson erst unlängst den Fink-Song ‚Warm Shadow‚ verinnerlicht haben.
Dagegen ist ‚Brute‚ regelrecht extrem, mit seinen aus der Finsternis des Hardcore gebrüllten Vocals (derart hat man Vernon bisher noch nicht gehört!), die so verschroben kauzig vor allem Tom Waits ein seliges Lächeln in Gesicht zaubern müssten. Das Schnappen der Saxofon-Klappen erzeugt hier einen unfassbar treibenden „Beat“, das brüllende Gefüge wird zum Soundmoloch und ‚To See More Light‚ zum über 15 Minuten ragenden Monstrum. Wohin die sehnsüchtige Melancholie in ‚Among The Sef (Righteous II)‚ zwischen all der Hyperaktivität will, bleibt ungeklärt, findet jedoch in der tottraurigen Hoffnung von ‚This Bed of Shattered Bone‚ Erlösung. Keine leichte Kost, die der Holzbläser da abermals serviert, dennoch sein wahrscheinlich zugänglichstes Album bisher.
Wo Stetson also im Tour-Dienste anderer weiterhin große Hallen füllt (etwa: Arcade Fire) oder deutlich mehr Platten verkauft (etwa: Bon Iver, TV on the Radio, Tom Waits, Feist) bleibt der Ausnahme-Saxofonist solo abermals im mutigen Zwielicht aus Ambient und Jazz in der hintersten Nische der experimentellen Gnadenlosigkeit. Und damit so verstörend intensiv wie atemberaubend eindringlich. Musik wie aus anderen Welten, und außerhalb Stetsons eigener Discographie sowieso immer noch beispiellos. Der Zusatz „All songs written, performed and recorded live without overdubs or loops by Colin Stetson“ prangert da also immer noch zu Recht mit Stolz auf der „New History Warfare„-Trilogie. Einem Zyklus, der auch ohne potente Schüler seinen Platz in der jüngeren Musikhistorie sicher haben sollte.
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