Coldplay – Ghost Stories

von am 17. Mai 2014 in Album

Coldplay – Ghost Stories

Ghost Stories‚ schöpft sein Potential zwischen ärgerlichen Single-Katastrophen und unerwartet stillen Schönheiten plätschernd nicht aus, ist aber das am angenehmsten zu konsumierende Album der Briten seit Jahren.

Wäre da nicht ‚Sky Full of Stars‚, diese stilistisch vollkommen aus dem Rahmen fallende, grauenhafte Tanzflächenfüller mit kaschiertem Avici-Unterbau – ‚Ghost Stories‚ könnte über die volle Distanz als mutig (und doch auch pseudounangepasst) den Kurs korrigierende Platte der größten Popband der Welt durchgehen. So sabotieren die viereinhalb Minuten als mutmaßlicher Plattenfirmenkompromiss und absoluter Totalausfall den ansonsten konsequent zurückgenommenen Albumfluss, treiben auch die an sich souverän um leidende Gwyneth-Beziehungsabgesänge gepinselten und im eigenen Selbstmitleid suhlenden Innenansicht  Texte doch noch auf eine enervierende, plattitüdenhafte Spitze: darum herum kreiert der limitierte Texter Martin zumindest stimmungsvolle Bilder; die gerade für eine derart klar orientierte Breakup-Platte nötigen, wahrhaftig ergreifenden Momente wollen ihm allerdings nicht gelingen – Guy Garvey bleibt für derartiges Ansprechpartner Nummer 1 auf der Insel. ‚Ghost Stories‚ wird nicht nur – aber doch vor vor allem – wegen dieses unnötigen Tiefpunkts eine Platte der verpassten Gelegenheiten – viel mehr noch aber ist es eine überraschend erfreuliche Umbesinnung  im Schaffen von Coldplay.

Waren die restlichen Vorboten abseits des ‚Every Teardrop is a Waterfall‚-Klons doch auch durchaus adäquatere Indikatoren für Studioalbum Nummer 6: Coldplay verzichten diesmal auf die großen Arena-Momente und erschlagende Wellen aus Ohohoho-Chören (einzig ‚Ink‚ kann sie sich diese hinten raus zaghaft nicht verkneifen: ein Ritt ins Stadion findet dennoch auch hier nicht statt – die Band hat begriffen dass sich die Massen daran sattgehört haben). ‚Ghost Stories‚ will als zurückgenommene, in sich gekehrte und behutsame Intimität im bescheidenen Rahmen verstanden werden, die sanft aus den Boxen tröpfelt, sich vom Bombast des letzten Jahrzehnts freischwimmt, die Augen schließt und sich durch liebesbedürftige Trennungsschmerz-Landschaften treiben lässt, sich darauf verlässt in gespenstischer Atmosphäre gebrochene Herzen zu beschwören.

Eingangs hat ‚Ghost Stories‚ derart noch seine Probleme in Gang zu kommen: ‚Always In My Head‚ wirkt nicht vollständig zu Ende gedacht und in ‚Magic‚ suggerieren abgedämpfte Gitarren und Elektrodrums dass Coldplay inzwischen The XX und Majical Cloudz gehört, aber nicht vollends verstanden haben wie man in diesem Kontext für eindringliche Momente sorgt. Stattdessen gibt es vorhersehbare Standardarrangements und ausgelutschte Akkordfolgen (Johnny Buckland hat sein Repertoire vor Jahren erschöpft, tritt aber auf ‚Ghost Stories‚ ohnedies weit in den Hintergrund), so dass das wehmütig vor elegischen Streichermeeren stattfindende Solo im Timbaland R&B ‚True Love‚ geradezu erfrischend neben der Spur gespielt klingt. Letztendlich sehen Coldplay mit Fortdauer ihr Ziel ohnedies immer klarer vor Augen: Songs wie das erhabene ‚Postcards From far Away‚-Update ‚O‚ (nie scheint es offensichtlicher als während dieses erhabenen Schlusspunktes, dass Sigur Rós-Fan Chris Martin seine Band zu ihrem eigenen ‚Valtari‚ dirigieren wollte) oder das zaghaft an die verletzlichen Ursprünge der Band erinnernde ‚Oceans‚ umspülen wärmend auf regelrecht betörende Weise. ‚Midnight‚ wäre gerne ein Bon IverVocoderwärmekissen das sich stimmig in den von Jon Hopkins ausgelegten ‚Immunity‚-Ambientbrutkasten zurückzieht, in ‚Another’s Arms‚ perlen die Unterwassergitarren und ein verführerischer Geister-Chor gespenstisch aus der Zwischenwelt.

Es ist angenehm zu hören wie Coldplay offenkundige Hits verweigern, pushende Upbeat-Momente aussparen, dem Chart-Pop fernzubleiben suggerieren und die Penetranz von ‚Mylo Xyloto‚ umgehen, obwohl Chris Martin und Co. immer wieder Gefahr laufen nur die Extreme wechseln: wo die Songs der Band in jüngster Vergangenheit stets den schnellsten Zug nahmen unbedingt zu nerven, wandelt ‚Ghost Stories‚ oft am schmalen Grad zum nur reizvollen, wenig dynamischen und allzu gleichförmigen Hintergrundgeplänkel. Der tröstend ausgerichtete Seelenbalsam wird zwar niemals zum Narkotikum, ein paar markante Ausbrecher nach oben, die eine oder andere packende Melodie hätten dem Gesamtpaket dennoch gutgetan. Die Möglichkeiten dazu wären nicht zuletzt  mit leicht veränderter Setlist durchaus vorhanden gewesen:
1. Always in my Head
2. Magic
3. Ink
4. Ghost Story
5. All Your Friends
6. True Love
7. O (Part 2/Reprise)
8. Midnight
9. Another’s Arms
10. Oceans
11. Atlas
12. O
Mag das Album die Coldplay hier vorgeschwebt sein dürfte derweil zeitgleich auch eher The Antlers mit der traumwandlerischen Schönheit ‚Familiars‚ gelungen sein – ‚Ghost Stories‚ ist die erste nicht den Abwärtstrend fortführende Platte der Briten seit über einem Jahrzehnt, fühlt sich als als Anstoss für den Umschwung auf den Weg zurück in die richtige Richtung an. Wodurch gelingt womit man kaum mehr hoffen durfte: Mit Coldplay muss man in Zukunft offenbar wieder rechnen.
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