Cold Specks – Neuroplasticity
Weil sich neuerdings verzweifelte Trompetenbläser hinter beinahe jeder Ecke verstecken ist man glatt versucht zu behaupten: wenn ‚I Predict a Graceful Expulsion‚ das Doom-Soul-Album der 26 jährigen Londonerin war, dann ist ‚Neuroplasticity‚ wohl ihre Interpretation eines Doom-Jazz Albums.
Näher ran an die gar nicht so einfach zu fassende Wahrheit kommt aber wohl die Feststellung, dass sowohl die Zusammenarbeit mit Blue Note-Jazzer Ambrose Akinmusire als auch mit den Swans auf ‚To be Kind‚ deutliche Spuren hinterlassen haben. Wovon kompositorische Kehrtwendungen und Vice Versa-Kooperationen wie die bedrohlich brodelnde Abgründigkeit inmitten der verträumten Xylophonlandschaft von ‚Exit Plan‚ oder der schlichtweg ergreifende, wahrhaftig für stille Gänsehaut sorgende, Abgesang von ‚A Season Of Doubt‚ als niedergeschlagenes Wehklagen zwischen ausblutender Pianoballade und trostlos in die Nacht blasendem einsamen Trompetenwolf zeugen. Da wie dort entpuppt sich Al Spx als Brückenbauerin und straft sich damit selbst Lügen, wenn sie „I’ve got an unrelenting desire to fall apart“ sinniert: viel eher zieht es sich als Muster durch ‚Neuroplasticity‚ dass die Engländerin versucht vermeintliche Gegensätze miteinander zu vereinen, den stark klaffenden Kontrast zwischen Strophen und Refrains dabei allerdings so harmonisch wie möglich zu gestalten.
In ‚A Formal Invitation‚ prallt eine trügerische Ballade butterweich in einen fiebrig scheppernden Unruhestifter, als hätte Spx den Avantgrde der Swans mit Popreißzähnen gezähmt. ‚Let Loose The Dogs‚ ist wenn man so will Dreampop mit Softrockmitteln, ‚A Broken Memory‚ ein rumpelnder Bastard aus einer besoffenen den Exzess herausfordernden Trompete, schlurfenden Synthies mit Spx inmitten als Dompteuren: „All is calm“ beschwört sie magisch die selbst gerufenen Geister zur Einsicht und der Zirkus verebbt. ‚Bodies At Bay‚ startet dann unmittelbar als nach vorne gehender Ohrwurm mit 80er-Keyboardschwaden und dängelnden Postpunkgitarren, für seinen Chorus steigt der Song aber nachdrücklich auf die Bremse und breitet die Arme aus, widersagt aber dennoch allem offensichtlich hymnischen und kündigt mit scheppernden Drums lieber an, was das für ein Livemonster das werden wird.
Womit ‚Neuroplasticity‚ auch dem (eigentlich unfairen) einzigen Kritikpunkt ausgesetzt sieht: Al Spx hat die Versprechen, die sie mit ‚I Predict a Graceful Expulsion‚ gegeben hat eingehalten, ein ebenso unwirklich aus den Rahmen tänzelndes Kleinod geschaffen, dass dem Artwork folgend die Visionen seines Vorgängers in dunklere, düsterere schrägere und doch auch greifbarere, eingängigere Szenarien (alleine ‚A Quiet Chill‚ hat eine Melodie wie die überdauernden Hits des Debütalbums, geht aber mit rollenden Rhythmus und elfenhaften Chorteppich drückender und handfester zu Werke) übersetzt. Dennoch bleibt auch diesmal das Gefühl zurück, dass Spx nicht das Optimum aus den Gegebenheiten herausholt, weil sie stets auf dem Abgrund tanzt, ihre betörenden Kompositionen aber nicht über die Klippe schickt und ihnen so nicht zu den unkontrollierten Momenten verhilft, nach denen sich die etwas zu kompakt gehaltenen Stücke eigentlich sehnen. ‚Old Knives‚ zeigt etwa wie eine einsame Western-Postrockgitarre in Schieflage über einen stolpernden Rhythmus torkelt, in seinem seinen offenen Refrain in eine weite, unwirkliche und gefährliche Melancholie kippt – aber das kakophonische Freejazz-Finale hinterlässt unbefriedigt, als hätte der Ausbruch ergiebiger und vor allen länger sein müssen um wahrhaftig unter die Haut zu fahren. Wo Michael Gira seine Songs auch gerne allzu hemmungslos im Delirium wüten lässt bevorzugt Spx die (allzu) eng gehaltene Leine: ‚Neuroplasticity‚ ist mit gerade einmal 35 Minuten kurz gefasst, entlohnt in jeder einzelnen Sekunde hinterrücks mit fiebrigen Pop-Soundlandschaften in entrückter und erhabener Schönheit voller majestätischer Eleganz.
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