Cloud Rat – Do Not Let Me Off the Cliff

von am 10. September 2019 in EP

Cloud Rat – Do Not Let Me Off the Cliff

Mit Pollinator haben Cloud Rat ihre Vormachtstellung im Grindcore untermauert und darüber hinaus eines des Metal-Alben des Jahres aufgenommen. Wirklich spektakulär ist aber eigentlich, was das Trio auf der separaten EP Do Not Let Me Off the Cliff veranstaltet.

Hier bewegt sich die Band nämlich endgültig vollends außerhalb ihrer angestammten Hohheitsgebiete und bastelt eine wunderbar abgründige Anti-Wohlfühlzone im Ethereal Wave, Ambient Pop und Post-Industrial. Also ganz so, wie man sich das nach den ambitioniert veranlagten Aufeinandertreffen mit Moloch, Test, Disrotted, Crevasse oder The World is a Vampire ausmalen wollte.
In Thrust singt Madison Marshall mit klarer Stimme im dichten Nebel, als würde Pharmakon zu finsteren Synth-Drones wehklagen, die Big | Brave, Anna von Hausswolff oder Lingua Ignota ähnlich erdacht haben hätten können. Eine dumpfe Perkussion und dystopische Gitarrenriffs schleppen sich da jedenfalls in Zeitlupe, kalt und einsam, während der Song einen hypnotisch-tektonischen Groove im kargen Wellengang entwickelt – und damit die Atmosphäre von Do Not Let Me Off the Cliff vorwegnimmt.
In dieser Stimmung wummern die programmierten Beats von Keep Flies trostlos hallend über das hinter einem Schleier driftende Klang-Delirium. Cloud Rat legen ihre Kompositionen so minimalistisch inszeniert wie verführerisch ausstrahlend an, lassen Melodien in Trance köcheln, ohne diese zwingend zupacken zu lassen.

Share streift mit seiner einsamen Akustikgitarre und dem zurückhaltenden Schlagzeug so gar die folkigen Goth- Gefilde von Marissa Nadler, Chelsea Wolfe und Grouper, entwickelt eine entrückte Schönheit, die wie später auch das ähnlich phasenverschobene Pity Sex nie wirklich konkret greifbar wird. 623 badet dagegen mit purer Sehnsucht in den melodramatisch fließenden 80ern, funkelt zu The Cure und Merchandise, Depeche Mode und Blaqk Audio, während The Portal of God Is Nonexistence als beklemmender Ambient-Klangteppich eine anziehende Klaustrophobie inmitten solcher Referenzen wie Basinski entwickelt. Der Gesang verschwimmt dabei mystisch und körperlos im Äther, der irgendwann herüberwehende Beat klingt wie eine verlorene Erinnerung an die somnambule Tanzbarkeit von Jon Hopkins.
Sobald Dropping From the Trees das knapp 25 Minuten lange Do Not Let Me Off the Cliff beendet, als wäre eine Funeral Doom-Ballade als beschwörender Shoegaze übersetzt worden, fallen drei Dinge auf. Erstens ist es beeindruckend, mit welcher schlüssigen Homogenität Cloud Rat die verschiedenen Facetten der EP in einen stimmigen Kontext setzen. Zum zweiten ist dies auch deswegen der Fall, weil das Trio zwar sein angestammtes Hoheitsgebiet verlässt, sich dafür aber gefühlt nicht erzwungen verbiegt, sondern die stilistischen Landschaften absolut natürlich erforscht. Und drittens sticht ins Auge, dass Do Not Let Me Off the Cliff im Vergleich zu Pollinator nicht nur das ästhetischere Artwork spendiert bekommen hat, sondern auch die subversiv größere Faszination ausstrahlt.
Dass dabei im Gegensatz zu Pollinator ein bisschen das Gefühl fehlt, dass Cloud Rat auch hier wirklich schon an ihre Grenzen gegangen wären und sich das aufgezeigte Potential ebenso kompromisslos und konsequent erschöpfend veraschiedet, ist angesichts der Tatsache eines ersten Gehversuch durchaus zu verschmerzen. Bitte mehr davon!

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