Cloakroom – Dissolution Wave
Geschlagene fünf Jahre haben Cloakroom gebraucht, um ihr mit Abstand kürzestes Studioalbum aufzunehmen. Dissolution Wave macht dies zu keinem schlechten Deal – sondern zu einem regelrecht effektiven.
Abgesehen von der Kompaktheit, die acht Songs über 37 Minuten für den Kosmos von Cloakroom bedeuten, ist zwar die generelle Ausrichtung der Band die selbe geblieben, indem das Trio aus Michigan seinen Shoegaze immer noch mit Elementen des Dreampop, Spacerock, Midwestern Emo, Doom und Post Hardcore schattiert. Doch ist der Fokus, die Inszenierung und das Songwriting auf dem dritten Album um das kleine, aber so gravierende Quäntchen direkter und konkreter als auf den (auch enervierend mäandern könnenden oder nicht gänzlich zum Punkt findenden) Vorgängern. Zumindest sind die Intentionen und Ziele der einzelnen Songs klarer erkennbar, schneller fassbar und dabei auch gewissermaßen versöhnlicher und zugänglicher, obwohl (oder gerade weil?) der pastoralen Kontemplation in der kompakten Form mehr Raum gegeben wird, ästhetisch wie kompositorisch.
Exemplarisch dafür eröffnet gleich Lost Meaning mit einem heavy Riff und wird vom bittersüß-poppigen, dem Genre verpflichtend gehauchten Gesang (der Mastermind Doyle Martin selbstsicherer denn je zeigt, ohne eine latente Fragilität einzubüßen) konterkariert. Der Opener geht nach vorne und sofort ins Ohr. Selbst ein nach Dissonanz strebendes Solo purzelt nicht schief aus der Reihe, egal ob sich die Band in verträumte Gefilde zurücklehnt oder ansatzlos in die Majestäten einer fast doomigen Weite wechselt, die Songstrukturen elegant und sehnsüchtig in den Postrock öffnend, um die sofort an Bord holende Einstiegs-Hook wie eine wohlige Erinnerung zurückzulassen. Mit dem Aroma von Infinity im Hinterkopf destilliert Dissolation Wave quasi auf griffige Weise die Möglichkeiten, die das formidable Time Well der Band erschlossen hat.
Zwischen Diiv, Hum und Nothing fächern Cloakroom ihr Spektrum jedenfalls bei aller gewahrten Homogenität und Kohärenz relativ variabel auf. Der ambiente Slowcore des Titelsongs betört ruhig und entschleunigt, friedlich und nachdenklich, melancholisch, lässt die Zügel auch soweit los, dass die Atmosphäre-Arbeit über jeder Stringenz steht, im elegischen, sphärischen Sog. In A Force at Play zieht das Schlagzeug die Konturen wieder etwas enger. Die Band flaniert mit einer mitternächtlichen Leichtigkeit durch die 90er, unverfänglich catchy. Offenen Jangle-Gitarren holen sich die Brise eines dröhnenden Verstärkers niedlich an Bord, Synthies perlen pointillistisch, schmiegen sich in den Schmerz, den My Bloody Valentine bei The Pains of Being Pure at Heart dereinst hinterlassen haben. Dottie-back Thrush stampft im undefinierbaren Grad aus Härte und Luftigkeit androgyn in eine psychedelisch angehauchte Tendenz, bevor eine elektronische Kraut-Programmierung die Balance aus Stoizismus und Freiheit sucht, während das Antesten des Gaspedals keine Verführung findet. Fear of Being Fixed klingt dagegen wie eine zärtlich wattierte Fantasie von Manchester Orchestra in der Sludge-Grunge-Wohligkeit, die durch zurückhaltend auftauchende Acoustic-Saiten eine heimelige Wärme bekommt.
Der muntere Slowcore von Lamspring atmet absolut imaginativ, verwaschen, weich, lieblich und sanf. Die softe Cocteau Twins-Grandezza bekommt schroffe Kanten und ein lose angedeutetes Ambiente wie Reverie Lagoon, bevor Dissembler (eine Anlehnung an den Stoner, die ihre Heaviness über Bord wirft, um eine fast hippieske Lockerheit zu pflegen, bis plötzlich der Regler in die traumwandelnden Trance umgelegt wird und das Outro plätschert) als Closer deplatziert anmutet. Den idealen Schlusspunkt hätte als Abschied schließlich das (idealerweise den Platz mit Dissembler im Sequencing getauscht haben müssende) Doubts geboten: romantisch schwofend ergeben sich Cloakroom dem Americana und Country, kreieren eine Emo-Sehnsucht im schwerelosen Reverb-Weltraum. Schöner war noch kein Moment der Bandhistorie, nicht einmal The Sun Won’t Let Us Go. Ein heimlich überwältigender Schritt über den Horizont.
Dass die Gruppe also durchaus neue Kapitel aufschlägt, hat auch damit zu tun, dass new Neo-Drummer Tim Remis seinen Vorgänger Brian Busch nicht nur im Dienste des Bandsounds ersetzt, sondern einen organischen Punch zum Spiel addiert, der durch die kraftvolle und transparente, reichhaltig und voluminöse, jedoch nie opulente Produktion besonders zur Geltung kommt.
Hinsichtlich des übergeordneten Konzeptes – „Written from the perspective of the album’s protagonist—an asteroid miner who writes songs by night“ – dem die drei Amerikaner dabei folgen, lässt sich dagegen musikalisch und auch anhand der typisch abstrakten Texte nur bedingt nachvollziehen und differenzieren: „Dissolution Wave is a space western in which an act of theoretical physics—the dissolution wave—wipes out all of humanity’s existing art and abstract thought. In order to keep the world spinning on its axis, songsmiths must fill the ether with their compositions. Meanwhile, the Spire and Ward of Song act as a filter for human imagination: Only the best material can pass through the filter and keep the world turning. We lost a couple of close friends over the course of writing this record. Dreaming up another world felt easier to digest than the real nitty-gritty we’re immersed in every day.”
Wo der Eskapismus funktioniert, ist Dissolution Wave in der realen Welt jedenfalls – nach dem Rahmen, den etwa Heavenly, Blankenberge, SOM oder Grivo in den vergangenen Wochen vermessen haben – das nächste Highlight in einer wirklich erstaunlich starken Shoegaze-Zeit.
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