Cindy Lee – Diamond Jubilee
Mit einem Doppel-Album, das auf keinem Streaming-Portal verfügbar, mittlerweile aber gratis via der hauseigenen Geocities-Website als wav-Paket zum Download angeboten wird, hat Patrick Flegel alias Cindy Lee mit Diamond Jubilee einen unerwarteten Hypes des Jahres losgetreten.
Und, wenn es dann um die Gesamtbilanz von 2024 gehen wird, wohl auch wirklich eine der Songsammlungen des Jahres vorgelegt, dessen jetzt und im zukünftigen Rückblick zu erwartenden Lobpreisungen jedwede Begeisterung durchaus verdienen.
Doch aktuell gilt es nichts zu überstürzen – alleine um nicht in der schieren Masse dieser unkonventionellen (dem Radar des hippen Feuilleton aber gerade deswegen nicht entkommen könnenden) Veröffentlichung unterzugehen, der Reihe nach: Vier Jahre nach dem Doppelschlag aus What’s Tonight To Eternity? und Cat O’ Nine Tails hat der ehemalige Women-Vorstand Flegel als Cindy Lee das angekündigte Triple-Album Darling of the Diskoteque auf veritable 32 Songs und 2 Stunden Spielzeit zusammengefasst, seinen von gespenstisch entrückten Girl Group-Halluzinationen geformten Indie Pop weitestgehend jenseits der Noise-aufreibenderer Feedback-Exzesse (nur If You Hear Me Crying schunkelt noch ausnahmsweise derartige Ahnungen zulassend am Galopp entlang) in zugänglichere Bahnen gelenkt, das homogene Gefüge mit sparsamen stilistischen Experimenten aufgelockert (im knubbelige Gayblevision verbinden Sound & Fury und Hotline Miami beispielsweise den 80er-Club; Dracula schaltet als krautige Seance in den Ladebildschirm einer 70s-Investigation samt sinister-astralem Schimmer, läuft gefühlt ewig dahin und könnte noch unendlich weiter gehen; das Zwischenspiel Olive Drab ist der forschende, streicher-affine Soundtrack zu einem Defektiv-Thriller – um ein paar der auffälligsten Schattierungen in der Palette zu nennen).
Cindy Lee klingt dabei, das Tempo mal entschleunigt aus dem Zeitlupen-Äther einer entrückten Parallelwelt ziehend, mal etwas prägnanter den Lou Reed-Rock im Lo-Fi-Spektrum betonend (Glitz schippert etwa abgehangener mit verhalten noisigen Gitarren als sedatives Allman Brothers-Delirium oder Dreams of You bietet verschwommene Impressionen aus entrückten Rock’n’Roll-Sphären) ein bisschen so, als hätten Chromatics ihr Faible für die 50s und 60s jenseits des Synthpop von Dirty Beaches für verführerisch unwirkliche Drag-Radiostationen in Twin Peaks einfangen lassen: verträumt bittersüß, vertraut heimelig und andersweltartig jenseitig, eine unaufgeregte Melancholie in lethargischer Nostalgie in die Vintage-Grieseligkeit fallen lassend, entspannt aber fokussiert dahinnlaufend, stets eine vage Psychedelik transzendierend.
Es schippern so Märchen-Trancen über markanten Bassläufen (Always Dreaming) an der Wahrnehmung vorbei, es pasiert entspannter Eskapismus, der abstrakt den Zauber der Beach Boys reflektiert (Wild One oder das mit körperlich postpunkigem Drive smooth nach vorne gehenden, im Nebel abtauchenden Flesh and Blood sowie das Roy Orbison-Prisma I Have My Doubts). Nach der bedächtig schreitenden Grusel-Anmut Le machiniste fantome fasert Kingdom Come wie ein gespenstisches Musical flanierend aus, oder hat ein Crime of Passion die somnambule Romantik vergangener Hollywood-Ären verinnerlicht, während Darling of the Diskoteque als Moonlight-Serenade plätschert.
Alles diese (auf absehbare Zeit trotz ihrer massigen Verortung wohl nur bedingt selektiv konsumiert werdenden) Szenen träumen in symbiotischer Einheit von anderen Leben und Welten, erzeugen durch ihr konstantes Niveau einen nachhaltigen Reiz, anstatt überfallsartig zu überwältigen. Eine allgegenwärtige faszinierende Atmosphäre umhüllt die Platte und fesselt abgedämpft im trippigen, friedlichen Fiebertraum, in elegischer Zurückhaltung shakend, eine eigene, zutiefst assoziative Welt erschaffend, die sich hinter dem Horizont der Women–Rarities abspielt.
An der Oberfläche mag Diamond Jubilee so zwar die Aura einer unspektakulär einnehmenden, fragmentarischen Skizzensammlung haben können, tatsächlich ist das Material allerdings zu einer konkreten Pop-Sensibilität ausformuliert und gewinnt als süchtig machender Grower, wo so viele Songs wie niemals ganz greifbare Erinnerungen an so niemals passierte Hits aus der Vergangenheit anmuten (gerade das überragende All I Want Is You oder Dallas pflegen die Ästhetik entschleunigter Duette im Demo-Flair, funktionieren als im sehnsüchtigen Hall aufgelöste Ohrwürmer wie vergessene Klassiker!). Gerade am Stück entfaltet sich dieser Sog (ungeachtet einiger weniger – niemals langweiliger oder wirklich schwächelnder, jedoch ansatzweise gleichförmiger – Längen, die sich im passiven Konsum als Worldbuilding Soundtrack auflösen) ideal, weil die so stimmig in sich geschlossene Kunst ohne prätentiöses Gewicht zu mehr als der Summe ihrerTeile wird. Etwas Ultimativem, in seinem Rahmen zumindest. Einem definitiven Statement, dem Opus Magnum von Cindy Lee – dessen Veröffentlichungsweise wie auch das Volumen des Materials zur Magie beiträgt, weil das Gesamtwerk über die eingefangene Musik hinausgehend auch auf Metaebene berauschend in seinen Bann und Kosmos zieht: Alben wie der siebente Cindy Lee-Langspieler erscheinen insofern gefühlt heutzutage eigentlich gar nicht mehr, denn Diamond Jubilee lässt hippe Hypes untertauchend verblassen und wirkt subjetiv eher wie ein in den 90ern aus einer Zeitkapsel geborgenes Juwel (mit potthässlichem rym-Artwork), über das bisher nur Mythen hinter vorgehaltener Hand erzählt wurden.
[Update: seit 23.10.2024 ist Diamond Jubilee via Bandcamp verfügbar!]
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