Chvrches – Screen Violence (Directors Cut)
Damit konnte man aufgrund des stetigen qualitativen Abstieg nach The Bones of What You Believe sowie der Talsohle Love is Dead samt Death Stranding-Single-Pleite nicht rechnen: Chvrches haben mit Screen Violence ihr ziemlich sicher stärkstes Album aufgenommen.
Mit den Reparationsarbeiten an der zuletzt schon merkliche Einbußen nehmenden Reputation beginnt das Trio aus Glasgow praktisch unmittelbar, auch wenn man beim eröffnenden OhrwurmAsking for a Friend noch ein paar zähneknirschende Textzeilen („And the mess we made on Fridays/Gave me Sundays on my knees“) und dem nicht gerade vieldimensional (weder inhaltlich noch produktionstechnisch) zum Club wummernden He Said She Said noch eine ambivalente Skepsis überwinden muß, gerade die Lyrics auch weiterhin ein Zankapfel im Chvrches-Kosmos bleiben.
Spätestens danach aber ist das Songwriting aber auf einem überraschend überzeugenden und bisweilen die eigenen Synthpop-Standards triumphal zelebrierenden Niveau angelangt, das vielleicht nie das restlos euphorisierende Momentum erzwingt, aber eine so konstante Stafette an anachronistischen Ohrwürmern produziert: Jeder Song auf Screen Violence ist catchy und emotional zugänglich, keine Entscheidung klingt diesmal billig oder geschmacklos. Kitsch und Pastiche sind passé, oder wenigstens idealer dosiert, und Chvrches die zuletzt frappant gewordene Oberflächlichkeiten und Plakativität weitestgehend losgeworden.
Die Balance der qualitativen Amplituden ist rund, wenn die überragenden Singles keine schnell vergessenen Füller dazwischen mehr bedingen, womit selbst ein etwas belangloseres Routineprogramm wie Lullabies im Kontext stimmig funktioniert und das abschließende Better If You Don’t weniger unverbindlich, als vielmehr exemplarisch für die Unangestrengtheit der wiedergefundenen Tritteicherheit wirkt.
Dazu halten kleine Impulse und Variationen den freilich erwartbaren Sound frisch und kurzweilig. California liebäugelt etwa vage mit einer postpunkigen Unterwanderung, Violent Delights baut seine Hymne auf Drum and Bass-Loops. Good Girls kommt dagegen bedächtig aus dem Darkwave pumpend, macht bei den in der Bridge angedeuteten epischen Postrock-Texturen aber leider nicht ernst, bevor Nightmares sich dann doch noch in der Dramatik suhlen darf.
Final Girl pflegt einen 80er Funk-Bass samt janglenden Smiths-Gitarren, nachdem die andere tatsächliche Pop-Instanz zu Gast war: How Not to Drown gibt sich rockiger dröhnend und hofiert Robert Smith – die Momente des Duetts überlagert die Stimme von Lauren Mayberry übrigens komplett und der The Cure-Boss wird zur Ahnung im Hintergrund; dafür gehört ihm der ambiente Softrock-Ausklang, auch wenn er singt: „This is the first time I know I don’t want the crown/ You can take it now“.
So weit ist es dann noch lange nicht – doch ist die Qualität von Screen Violence dann zumindest locker eine der willkommensten Electropop-Überraschungen des Jahres.
Mit latent hanebüchener Begründung liefert die Band rund um ihr bisher wohl tatsächlich dunkelstes, den persönlichen Horror im Zeitalter der voranschreitenden Technologie suchenden Albums übrigens pünktlich zu Halloween nun noch einen Directors Cut der Platte: „This album was thematically so different to previous Chvrches albums that it would have been rude of us to let Halloween come and go without injecting some more ‘Screen Violence’ into it. ‘Killer’, ‘Bitter End’ and ‘Screaming’ were all started in 2020 and finished just after the album was released. As any good horror fan knows, just because the film ends, it doesn’t mean the story does.”
Im Grunde haben wir es hier jedoch eher mit einer schnöden nachträglichen Deluxe Edition zu tun, keinesfalls mit einem tatsächlichen Directors Cut. Lieblos an den regulären Verlauf des Viertwerks angepappt wäre eine Veröffentlichung der drei Nummern zum jetzigen Zeitpunkt als separate EP insofern wohl der fandienlichere Weg gewesen, zumal man hier die Möglichkeit verpasst, einen richtigen Directors Cut anzufertigen: Das qualitative Niveau locker haltenden sind Killer (ein atmosphärischer in die 80er flimmernder leisetretender Synthwave-Stampfer), (dem sehnsüchtig aus der aufgeräumten Elektronik in den Breitwand-Sehnsucht aufmachenden) Bitter End und Screaming (mit einer schimmernden Aufbruchstimmung) zwar auch so eine willkommene Erweiterung, hätten bei einer konsequenten Einbindung in den Spielfluß (auch die einen oder anderen weniger starke Nummer ersetzend) aus Screen Violence sogar ein noch besseres Album machen können.
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