Chuck Ragan – Till Midnight
Mehr Pop, mehr Rock, mehr Musiker: auch wenn der Name Ragan so alleine wie maßgeblich am Cover von ‚Till Midnight‚ prangert – mehr Bandplatte war noch kein Soloalbum des Hot Water Music–Sängers.
Vor allem: mehr All Star-Platte war noch kein (Solo)album des 39 jährigen. Neben Todd Beene (Lucero), David Hidalgo Jr. (Social Distortion), Rami Jaffee (The Wallflowers), Jon Gaunt und Joe Ginsberg (Kontrabass) drücken sich mit Dave Hause, Jon Snodgrass und Chad Price (Drag the River), Ben Nichols (ebenfalls Lucero) und Jenny O. auf ‚Till Midnight‚ die namhaften (Revival Tour-)Kumpels von Ragan die Klinke in die Hand und veredeln das vierte Einzelgängerwerk kollektiv zur reichhaltig ausstaffierten Veranda-Sause – wie exzellent diese Konstellation funktionieren würde deutete ja bereits ‚Live at Skaters Palace‚ als vollmundiger Appetithappen an.
Von Grund auf neu erfindet Ragan sein kumpelhaftes Songwriting an der staubigen Kreuzung von Folk, Blues, Rock und Country für die sich auftuenden Möglichkeiten im neuen Rahmen freilich nicht – Ragan’s mächtige Bärenstimme steht im Mittelpunkt, kratzige Akutikgitarren umgarnen die Geschichten der Gainesville-Legende wettergegerbt, Fideln tänzeln um das Geschehen, Orgeln verbreiten soulige Wärme und Dylan-Mundharmonika-Momente lechzen nach den weiten Präriehorizonten, die von gestrichenen Pedal Steel-Geheule versprochen werden – allerdings sorgt alleine die beinahe jeden Song energisch stemmende Rhythmusabteilung für einen direkteren Zug zum Tor.
Auf dem nährstoffreicheren Boden blüht Ragan hörbar entfesselt auf: ‚Till Midnight‚ ist das dynamischste und auch zugänglichstes Werk des Hemdhochkremplers, die kernige instrumentale Seite hinkt der wie immer vor Leidenschaft berstenden Performance von Ragan kaum noch hinterher: vor einer gehörigen Portion Popappeal schreckt der Hot Water Music-Kehlkopf dabei ab dem immens eingängigen ‚Non Typical‚ (wie gut diese befederte Gangart Ragan doch steht!) niemals zurück. Seine unheimlich organisch groovende Backingband impft Songs wie ‚You and I Alone‚ eine CCR-Stadionmentalität mit der Intimität einer lauen Nacht am Tresen ein: irgendwann werden The Gaslight Anthem die Nummer wohl zwangsläufig aufgreifen.
Da schunkeln Songs wie ‚Bedroll Lullaby‚ oder ‚Gave My Heart Out‚ kraftstrotzend nach vorne, es stampft und drückt an allen Ecken und Enden ausgelassen, nicht nur im verspielten Sqauredance von ‚Something May Catch Fire‚.
Richtig großartig wird ‚Till Midnight‚ aber ausgerechnet dann, wenn Ragan und seine Jungs die eigene Komfortzone ohne Fernweh verlassen und sogar pathetisch übers Ziel hinausschießen: ‚For All We Care‚ beginnt auf diese Stimme, eine Gitarre und angespannte Gänsehautatmospäre reduziert, so unheimlich direkt und ergreifend, bevor Ragan die wahrscheinlich größte Bühne seiner Solokarriere aufbaut, Marschschlagzeug, Kneipenchöre und Streicher beschwört: der Mann ist so geerdet, dass selbst dieses Szenario bodenständig wirkt und quasi nebenbei die große Geste rausschaut, die Bruce Springsteen derart nicht mehr zustande bringen zu scheint.
Flotter Countryrock als ‚Vagabond‚ bilden das Rahmenprogramm um die zahlreichen Highlights mit all ihren kleinen Geschichten rund um die Liebe und ihre Makel, herznah brechenden Melodien und schulterklopfenden Weisheiten, die Jeff Tweedy abnicken und Frank Turner neidisch betrachten muss. Dass die Arrangements dabei oft zu wertkonservativ bleiben, die Produktion ruhig auch etwas ungehobelter sein hätte dürfen, schwächt ‚Till Midnight‚ zu kaum einer Phase: weil sich Ragan sicher sein kann niemals im Einheitsbrei unterzugehen – dafür bleibt seine Stimme zu charakteristisch und sein Songwriting ohne das Verlangen auf billiges Spektakel schlichtweg zu zeitlos funktionierend. Mit ‚Till Midnight‚ holt Ragen nicht nur auf noch unmittelbar emotionalerer Ebene ab als je zuvor, die enorm kurzweiligen 37 Minuten strahlen auch eine Aufbruchsstimmung aus, die Erwartungshaltungen elegant umarmt und schafft, was seinen drei Vorgängern nur bedingt gelang: liebgewonnene Traditionen fortzuführen und gleichzeitig die Weichen für manigfaltige Zukunftsszenarien zu stellen.
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