Chromatics, Desire [14.10.2019: Arena, Wien]
Mit der spontan aus der Hüfte geschossenen Dear Tommy-Ersatzplatte Closer to Grey im Rückspiegel beehren die endlich wieder tourenden Chromatics auch Europa mit einer Konzertreise. Terminlich schlechter hätte das Wien-Gastspiel der Italians Do It Better-Clique um Johnny Jewel jedoch kaum ausfallen können.
Immerhin spielt nur wenige Meter weiter die wunderbare Emma Ruth Rundle am selben Abend komplett zeitgleich eine Show im längst ausverkauften Dreiraum. Die Entscheidung, welches der beiden Pflichtkonzerte man da als Fan besucht, ist insofern eine kasteiende und hängt letztendlich alleine von der Tatsache ab, dass die Chromatics sich zuletzt (sowieso in hiesigen Breitengraden) ziemlich rar gemacht hatten. Zudem könnte Rundle ja rund um ihren Roadburn-Vorsitz im kommenden Jahr eventuell bald wieder in der Nähe zu sehen sein könnte, so die Hoffnung.
Obwohl man sich ganz nüchtern bewertend schon eingestehen muß: Das Momentum ist eigentlich absolut auf der Seite der 36 Jährigen Gitarristin und Sängerin, die nicht erst seit dem 2018er-Glanzstück On Dark Horses einen beeindruckenden Lauf hat und diesen mutmaßlich wohl durch die demnächst auch auf Tonträger zusammenfindende Thou-Kollaboration fortsetzen wird – während das Chromatics-Comeback Closer to Grey eher einem Mittelding aus unausgegorenem Meisterstück und souveränem Fanpleaser nahekommt.
Dass die Setlist der laufenden Tour zudem keinen einzigen der neuen Albumsongs beinhaltet (obwohl etwa Twist the Knife durchaus laustark gewünscht werden stemmen vor allem Kill For Love und Night Drive das Szenario) bestärkt den latent stiefmütterlichen Eindruck um Closer to Grey und hinterlässt zudem einen etwas unbefriedigenden Eindruck. Andererseits: Eine Greatest Hits-Show, die sich beinahe ausnahmslos um alte Hits und Klassiker dreht, sollte natürlich auch keiner Tortur nahekommen.
Worauf die Labelkollegen und Double Exposure-Tourpartner von Desire mit personeller Überschneidung und spieladäquater Nahverwandschaft zu den Chromatics natürlich ideal einstimmen – wenn auch subjektiv schon zu indifferent nahe am praktisch identisch geborenen Signature Sound von Jewels Hauptband. Ein bisschen mehr Kontrast zwischen Support- und Mainact wäre insofern zwar gefühlt zwar spannender gewesen, schließt auf der anderen Seite den ästhetischen Kontext des Abends aber mit einer umso nahtloseren Kompromisslosigkeit.
Zudem zieht die prägende stilistische Ästhetik ja auch darüber hinausgehend immer weiter in die stylische Stimmung hinein: Selbst die zwischen den Sets gespielte Musik (bei Umbau in Finsternis vor entsprechend designten Videowall-Werbebannern) führt das Ambiente mit tanzbarem Synthpop absolut konsequent kuratiert im geremixten Label-Kanon fort. Italians Do It Better ist eben nicht nur ein Sammelbecken für ähnlich veranlagte Bands, sondern ein szeneintensives Gesamtkunstwerk; eine audiovisuelle Marke – die zelebriert werden will.
Desire gehören in diesem Portfolio trotz sehr überschaubarer Discografie seit jeher zu den Highlights, liefern mit ihrer knapp halbstündigen Show auch eine ansteckenden Skizze ihrer (zehn Jahre nach dem einzigen Studioalbum immer noch) konservierten Qualitäten – selbst wenn der Funke nicht restlos überspringen will. Klatschende Animationsversuche beim brillanten If I Can’t Hold You wollen etwa nicht so recht mitgemacht werden, dabei geht die Band direkt in die Hüften. Vielleicht will Frontfrau und Labelpräsidentin Megan Louise ja deswegen ihre Handschuhe nach anfänglicher Geste doch nicht in die sehr dicht gestaffelte Zuschauermenge werfen.
Dass sie in den langen Lackteilen schwitzt wie Sau ist nachvollziehbar. Die Luft ist stickig und beinahe alle Bandmitglieder sind von mächtigen Sunglases at Night über Rüschenhalsbänder und Lederminiröcken zu eindrucksvollen Stilettos im retroschick maßgeschneiderten Haute Couture-Design gewandet, harmonieren ideal mit der entsprechenden Licht und Bühnenshow, Louise ist als regierende PVC-Glam-Queen aber eben klar der absolut dominierende Blickfang und Showmittelpunkt.
Wieviele (erste, zweite, dritte,…?) Dates heute anwesend seien, will sie später wissen und widmet das starke New Order-Cover Bizarre Love Triangle allen „lovers out there“ (obwohl gemessen an den nach oben gehenden Armen kaum welche anwesend sind). Ganz allgemein wird das kompakte Set mit Fortdauer immer zwingender, gipfelt im überragenden Hit Under Your Spell, auch wenn einige wenige Szenen minimal gestelzter wirken, als dass sie eine instinktive Verbindung zum Publikum aufbauen würden. Jewel zieht den Abschied mit der Tourkeyboarderin dennoch genüsslich in die Länge, provozieren anhaltenden Applaus. Bis das (freilich auch vom Konzept aufdoktrinierte) Distanzgefühl zwischen den Musikern und dem Arenaklientel (das zahlreich erschienen wohl exzessiven Gebrauch von der Abendkasse gemacht hat) vollends schwinden wird, soll allerdings noch ein wenig Zeit vergehen.
Setlist:
Mirroir Mirroir
Dans mes rêves
Don’t Call
If I Can’t Hold You
Bizarre Love Triangle
Under Your Spell
Genau genommen bis zur ziemlich sensationellen Zugabe des Chromatics-Sets. Dabei beginnt diese extrem holprig mit einem verdammt verstimmten Jewel: Als der Zampano nach dem regulären Set und anhaltendem Applaus wieder im Alleingang zurück auf der Bühn erscheint um zur Ansprache anzusetzen, wird ein leerer Getränkebecher aus der Zuschauermenge zu den Instrumneten geworfen. Auf die Frage des 45 Jährigen nach dem fucking Beweggrund dafür bekommt er jedoch auch noch eine halblustige Antwort serviert („Please fill it up!„), woraufhin Jewel ohne ein weiteres Wort entnervt die Bühne verlässt – was wohl insofern nicht verwundert, wenn man sich vor Augen führt, dass an diesem Abend auf Wunsch der Band alle Besucher sogar mit Metaldetektoren am Eingang untersucht wurden.
Irgendwo in der ambivalenten Wahrnehmung zwischen nachvollziehbar entrüsteter Reaktion (der Wurf passte wirklich gar nicht zur Stimmung, glich einer reinen Respektlosigkeit) und übertriebener Divenhaftigkeit seitens Jewel bleibt es daraufhin jedenfalls minutenlang finster – ob überhaupt noch eine Zugabe folgen würde schien zu diesem Zeitpunkt unklar. Bis Chromatics-Sängerin Ruth Radelet (die im direkten Vergleich zu Desire-Chefin Megan Louise übrigens den gesamten Abend über wie eine Ausgeburt der schüchternen, fast unsicheren Zurückhaltung wirkte) nach einem minutenlangen, frenetisch gefeierten und eine gewisse Euphorie auslösenden Videozusammenschnitt die Bühne beritt und alleine an der Gitarre (in einem digitalen Kerzenmeer) eine schier umwerfend intime Version des Springsteen-Klassikers I’m on Fire in die vor Melancholie zerfließende Arena hinausflüstert.
Als die restliche Band danach wieder einzeln auf die Bühne kommt, lässt sich der beleidigte Jewel zwar länger bitten, legt sich dann aber in ein umso elegantere Version der Twin Peaks-Nummer Shadow. Das versöhnt und bringt den Abend zum endgültigen Knackpunkt: Jewels kongenialer Partner, Schlagzeuger und (als einziger nicht mit Kajal bewaffnete) Labelintimus Nat Walker feiert in wenigen Stunden Geburtstag – woraufhinkurzerhand ein allgemeines „Happy Birthday„-Ständchen von der Menge angestimmt wird. Weil Jewel augenzwinkernd aber ein etwas mehr zum aktuellen Auftrittsort passendes Glückwunschlied gehört hätte, folgt noch „Hoch soll er leben“ – zu dem der Mann mit der ungeraden Punkteanzahl unter den Augen begeistert am Bass improvisiert und offensichtlich nicht nur seinen Frieden mit Wien geschlossen hat, sondern dem Abend auch eine individuellen Färbung verliehen hat.
In diesem Moment geht das Konzert auch über den ansonsten zelebrierten Perfektionismus hinaus und verleiht der ansonsten meist ernst dargebotenen Show Humor und charismatische Emotionen, wie zuvor nur, als während des in den Club jagenden I Want Your Love die Pferde mit Jewel durchgehen und er den Synthesizer immer unberechenbarer improvisierend ausdehnt, nur um Radelet lausbubenhaft zu irritieren. Das abschließende Kate Bush-Cover Running Up That Hill (A Deal With God) ist danach eine routiniert-stoische Bank, die der Bandvorstand noch einige Minuten im Alleingang nachhallen lässt.
Vor diesem impulsiven Finale serviert die (immer wieder zwischen den Instrumenten wechselnde) Band im Grunde Flaggschiff-Makellosigkeit, nicht immer wirklich nahbar, aber merlich packender und physischer als auf Platte inszeniert. Die Drums sind wuchtiger und härter treibend, die Synthies braten im Mix massiv, weswegen Radelets Stimme phasenweise ein wenig dünn klingen kann, irgendwann hängt Jewels edles Halstuch nur noch schweißnass über die Schultern, Publikumsanimationen funktionieren längst.
Nach ätherischen Instant-Smashern wie Lady und dem hymnenhaft stampfenden Kill for Love pumpt Back from the Grave (mit Jewel am monströs den Fokus fordernden) Bass und ordentlich Tempo unter der Haube schon bis in die Disco, I Can Never Be Myself When You’re Around bekommt einen exzessiv zelebrierten Rock-Klimax (Time Rider gleich darauf wiederum ein zu abruptes Ende), und These Streets Will Never Look the Same mit Gitarrist Adam Miller am Vocoder-Mikro wird zum intensiven 4-to-the-floor-Banger, sogar zum pumpenden EDM-Trip mit kakophonischer Wucht.
Die bittersüße Nostalgie von Cherry wirkt danach freilich umso versöhnlicher und sehnsüchtiger, bevor das von Neil Young vereinnahmte Hey Hey, My My (Into the Black) sich in seiner wundervollen Grandezza majestätisch aufzubäumen droht, dann aber doch umso melancholischer (und beinahe zu rasch) verglüht, während die 35mm-Montagen der stimmigen Italian Do it Better-Filmsequenzen im Hintergrund die gesamte Zeit über den in weiche neonfarben getauchten Auftritt formvollendet begleiten.
Keine Ahnung also, ob der Vorzug der Chromatics gegenüber dem Emma Ruth Rundle-Auftritt gerechtfertigt war – zu bereuen sind die eineinhalb von Raum und Zeit gelösten Stunden im cinematographischen Kosmos des Johnny Jewel und seiner Gang jedenfalls zumindest keineswegs. Sie haben allerdings einen schlimmen Beigeschmack: Die Vorfreude auf das sadistische Godot-Werk Dear Tommy ist hiernach sogar wieder gestiegen.
Setlist:
Tick of the Clock
Lady
Kill for Love
Night Drive
Birds of Paradise
Back from the Grave
I Can Never Be Myself When You’re Around
Time Rider
These Streets Will Never Look the Same
I Want Your Love
Cherry
Hey Hey, My My (Into the Black)Encore:
I’m on Fire
Shadow
Running Up That Hill (A Deal With God)
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