Chelsea Wolfe – She Reaches Out To She Reaches Out To She
Der Titel dreht sich im Kreis um sich selbst, doch Chelsea Wolfe schließt mit ihrem siebten Studioalbum She Reaches Out to She Reaches Out to She nicht nur ein gutes Stück weit an Abyss and Hiss Spun an, sondern wagt sich mit Dave Sitek dabei auch weiter denn je in die dunkelsten Abgründe des Trip Hop vor.
Welch sensationellen Job der TV on The Radio-Mann auf dem Produzentenstuhl dabei abliefert (richtiger: wie fantastisch sich seine fesselnde, kraftvolle und faszinierend mysteriös bleibende Detailversessenheit in elektronischen Gefilden mit der Ästhetik und dem Songwriting von Chelsea Wolfe sowie ihren kongenialen Mitstreitern Ben Chisholm, Bryan Tulao und Jess Gowrie zu einer atmosphärischen Intensität sondergleichen verbindet), lässt sich gleich im überragenden, den Weg der Platte vorgegebenen Opener Whispers in the Echo Chamber kaum verbergen. Der andersweltartige Gesang von Wolfe, hauchend und verführerisch, verletzlich und betörend flehend, schmiegt sich hier gleich praktisch ideal in eine dichte, jedoch kontrastreich ausgewogene und Raum erschließende, keineswegs klaustrophobisch erdrückende Klangwelt aus kalten Post Industrial-Beats. Finster und sinister umarmt ein bedrohliches Darkwave-Flair hart und martialisch mit sägender Gitarre unter der pulsierenden Rhythmik. Eine Art Symbiose aus Nine Inch Nails und Portishead, grimmiger, retrofuturistischer Trip Hop-Goth mit sattem Rock-Abgang. Roh, ungeschminkt und direkt in seiner Agenda, wohlüberlegt ausstaffiert und bestechend konsequent.
In diesem Rahmen, mit diesen Assoziationen, bewegt sich She Reaches Out to She Reaches Out to She folgend, variiert die Dynamik und die Ausrichtung in variablen Nuancen. Das archetypisch in der Tracklist positionierte House of Self-Undoing übernimmt etwa mit betont flott polternden Groove (und muss sich die Frage gefallen lassen, wie viel mit einer Inszenierung ohne die markant treibenden, simpel durchlaufenden Drums übrig bliebe) dort, wo Trent Reznor auf die Stadionbühne stiege, während das abgedämpft schlapfende The Liminal sich in eine träumende Sehnsucht zurückzieht, die Tricky und James Blake imaginativ schwelgen und schwärmen lassen sollte, bis das Finale in Form des wuchtig bis zu einem so selbstsicher heulenden Solo schreitenden, ganz formidablen Closers Dusk sich nur vorwerfen lassen muß, zu kurz beschnitten worden zu sein, wo sich eine mit insgesamt 42 Minuten kompakt gehaltene Platte spätestens hier eine weiter ausholende Geste verdient gehabt hätte.
Dass die erste Hälfte des Möbiusbandes She Reaches Out to She Reaches Out to She etwas stärker ausgefallen ist, als die zweite, zumindest aber das letzte Drittel, verringert die ganzheitliche, homogene Qualität des Albums dennoch keineswegs. Ob Everything Turns Blue als in Trance wiegender, pulsierender Pop am Abgrund galoppierend die vage Aussicht auf ein episches Momentum andeutet oder sich das mit einigen Piano-Tupfern zur dystopischen Melancholie abgebremste Tunnel Lights im Stroboskop aufbäumt, mag kompositorisch zwar etwas imposanter ausgeprägte Eindrücke hinterlassen, als wenn das mit toller Hook pluckernde Eyes Like Nightshade über ein rasselndes Scherben-Meer der abgedämpfter Elektronik zum märchenhaften Untergrund-Varieté wandernd, wie der effektvolle These New Puritans-Remix einer The Notwist-Skizze für Martina Topley-Bird oder Ioanna Gika anmutend.
Auch Salt lebt von seinem Refrain, noch mehr aber von dem plastisch repetierten Bild, das Wolfe dabei über so vielen Feinheiten im Sound zeichnet, während die enigmatische Dramatik von Unseen World in seinem sanften Score-Panorama, sowie die von zielstrebigen Beats angetriebene, nichtsdestotrotz getragene Lana’eske Klavierballade Place in the Sun weniger für sich, als eher im Kontext funktionieren.
In der von Wolfe und Sitek so kunstvoll zwischen den hier proklamierten Orientierungspunkten verorteten Klangwelt entfaltet sich die persönlich offener als bisher, brütet in einer plötzlich nüchternen Welt. „Watch this empire/ As it burns and dissipates/ Haunted, on fire/ On the wings that we create“ und „I will go through the fire“ singt Wolfe zuletzt, hinterlässt dabei aber weniger verbrannte Erde, als einen besonders ergiebigen Nährboden für die stilistisch immerdar mutierende 40 jährige.
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