Chelsea Wolfe – Hiss Spun
Mit der Wucht einer dicht stehenden, potenten Doom-Band im Rücken verfolgt Chelsea Wolfe auf Hiss Spun jene Pfade in den Metal konsequent weiter, mit denen sie auf dem direkten Vorgänger Abyss bereits zu liebäugeln begann.
„There were some things I hadn’t dealt with before, from the dark past of my family, to relationships I’d had, to my own health, some of the songs became a personal exorcism and some of them were written in dedication to the hardships that others have faced.“ Hiss Spun ist Katharsis, würgt innere Dämonen aus, übersetzt aber auch die Einflüsse von außen in den nächsten Evolutionsschritt einer sich stets weiterentwickelnden Karriere. All die Kooperationen und Tourgemeinschaften der letzten Jahre mit Bands wie Mutoid Man, Russian Circles, Converge, Swans oder den Queens of the Stone Age konnten ja nicht spurlos an der 33 Jährigen vorbei ziehen: Chelsea Wolfe ist auf ihrem fünften Studioalbum aus den Gefilden des Darkwave und Folk kommend weitestgehend endgültig im Doom mit latentem Goth-Flair und zwingender Metal-Kante gelandet, gefühlsmäßig und auch inhaltlich. Doch entzieht sich Hiss Spun klaren Definitionen, Referenzen bleiben vage Anhaltspunkte. Wo die Malträtierungen einer Pharmakon im Noise liegend schmerzen, haben die Schläge von Wolfe beispielsweise immer aber auch etwas sanftes, tröstendes; wo eine Emma Ruth Rundle das Zerbrechliche forciert, werkelt hier eine mächtige Gewalt.
Hiss Spun ist ein sinistres Gebräu. Elegisch und massiv, hypnotisch und malmend, apokalyptisch und sphärisch. Mit einer Schönheit, die sich auch durch fließende Härte ausdrückt. Stets hält das Album eine stilvolle Balance , wo die immanente Theatralik und der ablebende Pathos nunmehr noch physischer artikuliert werden. Da poltern die Drums beängstigend und schieben die Gitarren in einer wuchtigen Klaustrophobie, während die Kompositionen zwar immer wieder Raum lassen, um die bisherigen Entwicklungsphasen durchscheinen zu lassen, die zwölf Songs in ihre doomigen Veranlagung aber grundsätzlich mit einer stringenten Heavyness bestimmt und konsequent dort weiter arbeiten, wo Abyss 2015 sein Territorium zu markieren begann.
Gleich Spun schält sich dort aus der Dissonanz, um ein hart walzendes Riff aus der Finsternis zu zerren, während Wolfe sich mit ihrem typisch ätherischen Gesang über den sonoren Brocken schleppt, der heult und bratzt. Wolfe bleibt dabei so beherrscht und entrückt, haucht verletzlich und legt sich anmutig in die Stimmung. Die Gitarre faucht beschwörend aus der Monotonie heraus, liebäugelt schwindelerregend mit dem Alleingang, baut dann aber doch synergetische Spannungen auf, drangsaliert und fordert.
Schon im Opener erweist sich die Integration von Troy Van Leeuwen als Gewinn für die Songs: Sein distinktives, psychedelisch entrücktes Spiel setzt die markanten Akzente, wo Mother Tongue-Gitarrero Bryan Tulao oder Christopher Orr an den Saiten vor allem im Dienst der Atmosphäre agieren. Da wie dort formen die beteiligten Musiker unter der grandiosen, mit seiner organischen Textur und Stärke hervorragend zur Profil der Kalifornierin passenden Produktion von Kurt Ballou einen fantastischen Bandsound, der Chelsea als Fels in der Brandung umspült.
So gut sogar, dass die Tiefe der erzeugten Ästhetik und das transportierte Flair der Wolfe’schen Klangwelt phasenweise sogar dann fesseln, wenn das Songwriting an sich nicht restlos zu Ende gedacht zündet: Vex pocht etwa geduldig, die Leadgitarre surrt, aber erst Gast-Stimmband Aaron Turner (Sumac, Old Man Gloom) brüllt den Song auf ein anderes Niveau und setzt das nötige Momentum, um mangels sonstiger Entwicklung auszuschmücken, dass die Komposition zu mäandern scheint, ohne die in Aussicht gestellten Höhepunkte erreichen zu können.
Überhaupt bewegen sich einige Songs deutlich einem zu archetypisch aufgelösten Climax im kontemplativen Rausch entgegen. The Culling erklingt etwa im modrigen Kontext, grollt mit gespenstischer Wucht heran und bricht beschwörend auf, erlebt seinen erhabenen Scheitelpunkt und deckt sich dann mit seiner wohligen Schwärze einfühlsam zu. Auch der zurückgenommenen perkussive Doom Folk von Twin Fawn gibt sich erst filigran, einfühlsam und zauberhaft, nur um umso eruptiver zu detonieren und hinten raus zu randalieren, bevor Static Hum als ambienter Space Rock mit beeindruckender Gesamgsleistung rauh und intim seiner obligatorischen Explosion entgegen sinniert – es ist allerdings auch eine der Stärken des Albums, dass es die wenigen klischeebeladenere Szenen gerade im kohärenten Gesamtfluss kaum spürbar macht.
Dass es jedoch ohnedies auch anders geht, zeigt Two Spirit: Mit Akustikgitarre strahlt Wolfe Richtung Marissa Nadler, verweigert den prolongierten Ausbruch allerdings und lässt die leise Wohltat stattdessen noch zärtlicher werden und das Szenario eher hintergründig anschwellen. So frontal Hiss Spun auch werden kann, so wütend (aber nicht agressiv) sich die 49 Minuten auch mitunter aufbäumen – im Grunde hat Wolfe mit der Band um den wie immer kongenial an den Instrumenten dienenden Ben Chisholm hier aber eine Platte aufgenommen, die wenn nötig mit Gewalt in ihre Welt reißt, dort aber mit regelrecht transzendentalen kleinen Gesten die Emotionen steuert.
Homogen und in sich geschlossen klingt Hiss Spun wie ein stilistisches Ankommen für Chelsea Wolfe, ein natürlicher Habitat. Mit subtiler Variabilität (Strain pulsiert als knisterndes Ambient-Intermezzo, schraubt beklemmend und knarzend; Offering wandelt maschinell zwischen Industrial-Versatzstücken und abgedunkeltem Pop, pflegt eine schöne, nervös schwelgende Dynamik, die gleichzeitig ruhelos und getragen ist; die Überleitung Welt wird dystopisch aus dem Wave mit bedrückend barockem Piano geboren) lässt das sogar immer wieder eine Hinwendung zu deutlich konventionelleren Strukturen zu: 16 Psyche ist ein in schwarz gekleideter Romantiker mit einem die Verstärker durchdrückenden Alternative Rock-Refrain zum Niederknien vor dem Hexenzirkel im Wald, als würden Type O Negative die griffigsten, zurückgelehntesten Momenten von Isis anschmachten – ein relativer Hit also.
Das kompakte Scrape mag dann als Schlusspunkt ein wenig zu abrupt aus der Klanglandschaft der Platte reißen, entlässt mit einer bittersüß flehenden Chelsea in ihrer glockenhellen Pracht aber mit betörender Schlagkraft. Auch Particle Flux sucht ein synthietreibend unterwandertes weißes Rauschen im Drone, nimmt immer mehr an Fahrt auf und wird zum pushenden Husarenritt, der Verschnaufen darf, aber nur eine Richtung kennt.
Wie sehr das erst live zünden wird, will man sich vorerst gar nicht erst vorstellen, während bereits klar ist, dass Hiss Spun nicht nur hier merklich das Zeug dazu hat, etwaige profaner und noch expliziter im Metal verwurzelte Kollegen mit seiner Präsenz und dem unbedingten Auftreten in den Boden zu stampfen. Dass man sich deswegen aber noch lange nicht auch festlegen muss, ob Hiss Spun deswegen tatsächlich das bisher beste Album von Chelsea Wolfe geworden ist, spricht nur für die imposante Discografie dieser Ausnahmeerscheinung.
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