Chelsea Wolfe – Birth of Violence

von am 20. September 2019 in Album

Chelsea Wolfe – Birth of Violence

Spätestens wenn im Schlußstück The Storm der Regen einzusetzen beginnt, könnte Birth of Violence zwar tatsächlich nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm im dunkel dräuenden Universum der Chelsea Wolfe sein. Bis dahin stellt das sechste Studioalbum der Kalifornierin allerdings eine beklemmende Einkehr dar.

Birth of Violence ist nach der kräftezehrenden, immer massiver artikulierten Hinwendung zur Heavyness auf Abyss und Hiss Spun ein abgründiges Durchatmen geworden, eine stilistische Nachjustierung mit Vergangenheitsbezug sogar. Eine Abkehr vom Metal, dafür die Rückbesinnung auf den Dark Folk, Gothic-Americana und die Ethereal Wave-Intimität bedeuten keine Rückkehr zu The Grime and the Glow und Unknown Rooms – eher der Ausblick auf die Essenz aus der Distanz und Höhe, die Chelsea Wolfe seitdem gerade auf ihren vorangegangenen zwei Studioalben bewältigt hat.
Birth of Violence st ein bisschen die Heimkehr in ein vertrautes Zuhause, das sich in der Zeit der Abwesenheit ebenso verändert hat, wie man selbst. Meist reduziert auf Wolfes Stimme und eine rostige Akustikgitarre im Zentrum, um die herum die grandiose Produktion sowie der fantastische Mix so subtil wie detailliert die Nuancen bewegen, klingen die somnambulen 44 Minuten der nachtwandelnden Platte einsam, sanft und melancholisch.

Eine meditative Introspektion, die eigentlich nur im hartnäckigen Ohrwurm Deranged for Rock & Roll mit seinem konventionellen, zu oft wiederholten Refrain wirklich griffig und eben per se rockig auftritt – und damit die Dynamik der Platte ankurbelt, aber ausnahmsweise zu schnell erfassbar auch ein kleines bisschen aus dem Rahmen fällt.
Abseits davon haben Wolfe und ihr Kompagnon jedoch Chisholm eine Plate aufgenommen, die im so reduzierten (aber niemals kargen) Klanggewand an die staubigen Westernlandschaften von Michael Gira im Verbund mit Anna von Hausswolff denken lässt, oder gar das schickssalergeben darbende Märtyrer-Element von David Eugene Edwards beschwört (wie im körperlos gehauchten Apokalypse-Schreiten von Little Grave, das hinten raus sogar ausnahmsweise die Distortion zwischen den staubigen Fingern zerinnen sieht).
Vielleicht ist Birth of Violence nicht nur in Momenten wie dem superben American Darkness (wo im entschleunigten Tempo und elegischen Goth-Flair die archaische Gitarre und ein jazziges Schlagzeug in Zeitlupe kaum greifbar geloopte Effekten aus dem Ambient und der gespenstischen Stimme folgen) oder dem ähnlich lichtscheu am Besen vom Singer/Songwriter-Folk mit Darkwave-Patina funkelnden Schwofer Dirt Universe sogar mehr als alles andere das Album geworden, dass Marissa Nadler mit For My Crimes nicht liefern konnte, und das Droneflower gar nicht sein wollte – und dennoch ist Nadler die erste Referenz für die elegant schreitende Ästhetik von Birth of Violence: unaufgeregt und fesselnd, ein bisschen morbide und dystopisch, intensiv einwirkend durch die zurückgenommene Instrumentierung im Kontrast zwischen stimmungsvoller Weite und atmosphärischer Tiefe gedeihend.

Nur selten – wie gerade in Erde – verlässt sich Wolfe dafür eher nur auf das erzeugte Flair und die Ausstrahlung der Inszenierung, den Sound, während kompositorisch scheinbar nicht viel in einem elegisch plätschernden Song passiert. Obwohl sich die beklemmende Spannung immer bedrohter anzuziehen beginnt, die Nummer ungemütlich kippt, doch die mahnende Botschaft letztendlich nicht ausschöpft, sondern zu abrupt vor dem zwingenden Klimax abdreht. Auch When Anger Turns to Honey wälzt sich zwar mit knochigem Rhythmus und rostigen Gitarren zu astralenen Synthchören ganz weit hinten, zur dystopischen 80er-Färbung, skizziert dichter werdend das Cinemascope – lässt wie einige Stücke auch Potential liegen. Doch Birth of Violence ist ein Grower, dessen Songwriting und Details erst nach und nach greifen, ohne die emotionale Frontalität vorangegangener Werke zu erzeugen.
Das getragene, den überragenden Beginn der Platte einleitende  The Mother Road bricht auf der Rout 66 ins Ungewisse auf. Launige, nautische Streicher schließen sich an, dazu ein immer epischer werdender Rhythmus, der den Opener von Birth of Violence wie einen epischen Score entfaltet. Durch den Titelsong ziehen sich später mystische Soundschleifen und eine scheinbar konturlos pochende Slo-Motion-Bassdrum. Kurz erhebt sich die Stimme und Lautstärke wehklagend, doch das Instrumentarium ist auf zutiefst ruhige Art unruhig.
Be All Things arbeitet wieder nach bekannten Muster, traurig und erhebend – da sind sogar wieder diese postapokalyptisch fließenden Streicher.  Das Piano von Preface to a Dream Play schwankt zwischen Suspence und Industrial, wohingegen Highway ein beinahe versöhnliches Stück ist; eine erhebende, an Duke Garwood erinnernde Gratwanderung zwischen Melancholie und Hoffnung, ohne jede Brutalität.

Ein Fakt, den man den weniger zwingenden Phasen von (gerade zur Mitte hin etwas weniger unbedingt fesselnden) Birth of Violence vielleicht als Unentschlossenheit auslegen könnte – ein oder zwei als Katalysator dienende Gäste hätten wohl auch wirklich für eine spektakulärere Entwicklung gesorgt, indem sie allzu festgefahren anmutende Strukturen mit Fortdauer aufbrechen.
Im Gegensatz zu vorangegangenen Platten bietet Wolfe diesmal aber eben nur keine brachiale Katharsis, keine punktuelle Erschöpfung. Das Album als Ganzes laugt eher unterschwellig aus, will alleine konsumiert werden. Was sich bemerkbar macht, wenn man plötzlich im finalen Regen steht und mit The Storm die gesammelte Einsamkeit hereinbricht, reinigend und irgendwo sogar friedlich, man die gar nicht gewaltsame Birth of Violence in ihrer etwas vergänglicheren Art reflektieren möchte, aber lieber zu einem neuerlichen Durchgang greift, um in die Welt einer der konstantesten Musikerinnen des vergangenen Jahrzehnts einzutauchen. Birth of Violence funktioniert im Kontext der restlichen Diskografie allerdings wohl dennoch besser, als auf sich alleine gestellt.

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