Chat Pile – Cool World

von am 14. Oktober 2024 in Album

Chat Pile – Cool World

Watch it change in my hands/ Watch the whole goddamn world change„: Im Jahr der Kreuz-Artworks jubeln Chat Pile darüber, dass sie ihr Zweitwerk Cool World justament zum Jubiläum des ersten Korn-Klassikers veröffentlicht haben.

Das ist verständlich, tragen Chat Pile ihre schon auf dem 2022er-Einstand God’s Country unkaschierte Liebe für die 90er und Vorbilder wie The Jesus Lizard, Helmet oder Deadguy nun auf Cool World noch weiter hinaus – oftmals aber auch direkt hinein in eine abstrahierte Erinnerung an die Ästhetik des Nu Metal.
Nachdem I am Dog Now den Frankenstein-Hybrid aus Industrial Noise Rock und Sludge  Metal mit einem maßgeblich allgegenwärtigen, manisch-stoischen Groove von der Leine gelassen hat, dessen torkelnde Dissonanz für Balance sorgt, ist Frownland beispielsweise ein derart offener Liebesbrief an Fieldy und David Silveria (selbst wenn die Chat Pile dazu Unsane-Riffs und die Innenausstattung von Godflesh addieren, wo sich Raygun Busch psychotisch sprechsingend a la Protomartyr im The Difference Between Me and You Is That I’m Not On Fire-Modus gegen die tief gepolsterten Wände einer Math-Psychose werfen kann), dass die Band aufgrund der Releasetag-Überschneidung schon verständlicherweise an Schicksal glauben will.

Tatsächlich hat sich der Horizont für Chat Pile aber in mehr als eine Richtung vertieft. Cool World ist als Ganzes homogen und rund angelegt, streut die Konzentration seines Vorgängers jedoch variabler, wo das Songwriting kompositorisch zugänglicher und griffiger, ja fast catchy, ausgefallen ist, gleichzeitig jedoch weniger direkt angelegt zu sein scheint.
Shame könnte insofern das hauseigene 1979 der Band mit einer fiesen Type 0 Negative-Garstigkeit sein. Busch rezitiert auf einem kaputten Podest, das von einer Planierraupe auf dem Highway mit Vollgas zu einem hymnischen Horizont geschleppt wird – den Death-Schatten im Nacken und den Post-Grunge vor Augen.

Stichwort Grunge: Überhaupt sitzen Nirvana der Band als alptraumhafte Dämonen deutlicher denn je im Nacken, was gerade in den mit Melodik und relativem Gesang infizierten Stücken wie Milk of Human Kindness enorm beklemmend wirkt. Funny Man könnte dagegen eine tonnenschwer-misanthropische Sludge-Variation von Bury My With It darstellen, dessen unermüdlich polternde Drums nicht ersticken, sondern Teil der unerbittlichen Dynamik auf Cool World sind. Tape ist das Snuff-auspeitschende Erbe von In Utero als verstörende Massenvernichtungswaffe, selbst wenn Busch leichter verdaulich brüllt als sonst, und The New World vegetiert im Kontrast aus knackig rockend und züchtigend durchatmend.
Masc agiert zwar dort, wo man sich den Bastard von Thou und Big Black vorstellen könnte – allerdings fast hoffnungsvoll und mit No Wave-Tendenzen ringend – bevor No Way Out die Ausweitung der Komfortzone etwas redundant abrundet: „No escape, no way out“. Ein klein wenig kommt der Platte hinten raus so die Prägnanz abhanden, gut, aber darauf kann die Selbstkasteiung keine Rücksicht nehmen.

Cool World covers similar themes to our last album, except now exploded from a micro to macro scale, with thoughts specifically about disasters abroad, at home, and how they affect one another“ vermisst Busch das gewachsene Spektrum um den Trademark-Sound, das in seiner fiesen Aggression mehr, nun ja, Spaß macht, als es God’s Country tat – ja, sogar Hits im dreckigen Chat Pile-Universum abwirft.
Oder wie Bassist Stin es schlüssig ergänzt: „While we wanted our follow-up to God’s Country to still capture the immediate, uncompromising essence of Chat Pile, we also knew that with Cool World, we’d want to stretch the definition of our “sound” to reflect our tastes beyond just noise rock territory.
Die bisherigen Grenzen werden also ausgereizt, die Kampfzone erweitert – tatsächlich auch nach innen. Der Sound von Uniform-Mann Ben Greenberg (Algiers, Drab Majesty, Metz) unterstützt diese Expansionsgedanken ideal.
Im herausragenden Camcorder mit seiner faszinierend entschleunigten Rhythmik kommt das Amalgam aus Mehr und Optimierung wie in einem pechschwarzen Herzstück zusammen, marschiert mit einer Liebe für die Hochzeit von Korn und pendelt dann in der Halluzination Cobain‘scher Depressionen mit der selben rohen Energie, die Ross Robinson einst aus Bands pressen konnte. Wie ein aus der Zeit gefallener, eklektische Katalysator schleppen sich Chat Pile dabei endgültig zu einer Unverkennbarkeit, die mit hart angezogenen Stellschrauben und intensiver Atmosphäre dystopisch malträtiert. Süchtig machend, bevor das Quartett aus Oklahoma City die nächste Stufe auf seiner radikal eigenwilligen Erfolgsgeschichte zündet: „I didn’t stop here to stay, but I can feel it/ But I can feel it all/ Lets watch it again.

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